Jetzt also auch Tauschen. Was unsere Vorfahren über Jahrtausende betrieben haben, das Geld verdrängte und nur in engen Nachbarschaften, Tauschringen oder bei Währungsschwankungen fortlebte, soll auf einmal wieder sexy sein. Im Internet boomen Plattformen wie www.kleiderkreisel.de, auf der junge Frauen vernachlässigte Bestände ihrer Kleiderschränke gegen neues Zeug eintauschen und sich dabei sogar als Weltverbesserer fühlen können: Statt wegzuwerfen und neu zu kaufen, geben sie Kleidung untereinander weiter, verlängern deren Nutzungsdauer und vermeiden Neuproduktion. So weit zumindest die Theorie.
Algorithmen sollen den perfekten Tausch möglich machen
Ich will dieses neue Tauschen ausprobieren, und zwar auf der Tauschbörse www.netcycler.de, die wie ein Ebay für Tauscher funktioniert. Netcycler hat in Deutschland rund 15000 Mitglieder, die 6000 Gegenstände anbieten, von der Hundeleine bis zum Tee-Service. Sogar eine Kefir-Pilz-Kultur ist dabei - "wie neu". Ich wühle in meinen Flohmarktkisten, um etwas Tauschbares zu finden, finde einen Magazinhalter aus Edelstahl, und stelle ihn mit Foto auf www.netcycler.de ein. Das Tauschen kann beginnen. Doch gleich kommen mir Zweifel: Ob den wirklich jemand haben will, der noch dazu etwas anbietet, was mir gefällt?
Netcycler nutzt einen speziellen Algorithmus, um die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Tausches zu erhöhen. Bis zu fünf Mitglieder werden automatisch zu einem Tauschring verknüpft. Das funktioniert so: Ich gebe meinen Magazinhalter an jemanden mit einer Wandergitarre und bekomme dafür den Weltempfänger einer dritten Person, die sich eine Gitarre wünscht. Oder so ähnlich.
Online-Tauschen kostet Zeit
Doch dafür muss ich erstmal selbst Wünsche formulieren. Ich starre minutenlang auf das Eingabefeld, mir fällt nicht viel ein, ein Ventilator vielleicht oder eine Backform? Lieber blättere ich die Fotos durch, die andere eingestellt haben - Videospiele, Bügeleisen, Damenuhren. Ein Diktatoren-Quartett klingt spannend, wäre aber ein schlechter Tausch. Ernsthaft interessiert mich nur ein Camping-Wasserfilter ("macht jedes Wasser trinkbar") und eine alte Milchkanne, gelistet unter "Sonstiges Utensil". Die würde ich gerne auf den Balkon stellen. Ich biete meinen Magazinhalter zum Tausch und bekomme die Nachricht: "Anbieter wird informiert." In beiden Fällen müsste ich 4,90 Euro Porto bezahlen. Viel lieber würde ich vor Ort in Berlin tauschen, von Mensch zu Mensch. Doch eine rein lokale Suchfunktion gibt es bei Netcycler nicht.
Eine Woche später habe ich immer noch keine Rückmeldung zu Milchkanne und Wasserfilter. Wahrscheinlich hätte ich einen ganzen Tag damit verbringen müssen, die Sachen meiner Flohmarktkiste und meine Wünsche digital einzupflegen, um den Algorithmus zu füttern und die Chance auf einen glücklichen Tausch zu erhöhen. Ich gebe auf. Das neue Tauschen, wie es bei Netcycler funktioniert, ist mir viel zu zeitaufwendig.
www.kleiderkreisel.de probiere ich gar nicht erst aus, allein schon, weil ich absolut nicht zur Zielgruppe gehöre. Von den 840000 Mitgliedern in Deutschland sind 95 Prozent Frauen, die meisten davon unter 25 Jahre alt. Sie stellen ihre gebrauchten Kleidungsstücke ein, Nachtcremchen oder Gürtelschnallen - aktuell um die fünf Millionen Artikel - legen einen Preis in Euro fest und verkaufen sie oder tauschen gegen Gleichwertiges. Im Unterschied zu Netcycler gibt es eine rein lokale Tauschfunktion, einige Nutzerinnen verabreden sich sogar zu privaten Tauschpartys.
Kochkurs gegen Einkaufshilfe
Dennoch frage ich mich, ob das am Ende zu weniger Konsum führt oder einfach nur zu mehr Wechsel im Kleiderschrank? Geht es in anderen Bereichen der Share Economy wie Carsharing vor allem um Zugang zu einer gemeinschaftlich genutzten Sache, die dadurch nicht jeder kaufen muss, erwirbt man bei Kleiderkreisel Eigentum, oft sogar gegen Bezahlung, wenn sich ein Tausch nicht anbietet. Revolutionär ist das nicht.
Die Plattform www.tauschgarten.de ist da konsequenter, zumindest was das Geld angeht. Hier kann man alles tauschen, was mit Garten zu tun hat - Samen, Pflanzen, Gießkannen. Ich stelle Tabaksamen ein, die im Schrebergarten eines Freundes letztes Jahr gut angegangen sind. Wenn sie jemand haben will, verschicke ich sie auf meine Kosten, bekomme dafür ein Ticket gut geschrieben - die Währung von Tauschgarten - und kann mir kostenlos andere Samen zuschicken lassen. Im Grunde ist Tauschgarten eine Schenk-Plattform, verrechnet wird nur das Porto, schwere Knollen oder Pflanzen "kosten" meist zwei Tickets. Die Idee finde ich super, die Gartennische auch, bleibt nur zu hoffen, dass sich vor dem nächsten Sommer jemand für meine Tabaksamen interessiert. Als Online-Tauscher muss man geduldig sein.
Nicht nur Gegenstände, auch Dienstleistungen werden im Internet getauscht. Tauschringe machen das schon lange, mit eigenen Währungen und fiktiven Konten ihrer Mitglieder. Da wird Babysitten mit Schrank aufbauen oder Lampe aufhängen verrechnet. Die Plattform www.exchange-me.de überträgt dieses Prinzip aufs Internet. Ich melde mich an und schaue, ob ich in meiner Nähe jemanden finde, der mir hilft, eine alte Waschmaschine in den Keller zu tragen. Insgesamt gibt es für Berlin 760 Einträge. Kleintierbetreuung, Schreibarbeiten, Geburtstagsständchen. Kochkurse, Einkaufshilfe, Bachblütenberatung.
Einer bietet auch "Tragen und Wiederaufbau von Möbeln" an. Wenn er mir mit der Waschmaschine helfen würde, bekäme er pro Stunde zehn *ME-Punkte gutgeschrieben und könnte sie bei anderen Mitgliedern wieder einlösen. Mein Konto würde ins Minus rutschen und ich müsste eine Dienstleistung anbieten, um es ausgleichen. Nur welche? Ich stelle mir vor, wie ich am Samstagnachmittag zum Blumengießen oder Rasenmähen nach Pankow fahre, um die *ME-Schulden auf meinem Exchange-Me-Konto abzuarbeiten. Und entscheide, lieber einen Freund zu fragen. Das neue Tauschen ist einfach nichts für mich.
Info
Kleidung tauschen:
Bei Kleiderkreisel tauscht, verkauft oder verschenkt man Kleidung und findet "neue" Stücke für den Kleiderschrank (www.kleiderkreisel.de).
Mamikreisel ist die Zwillingsseite von Kleiderkreisel, allerdings für Kinderkleidung und alles, was Mütter (und Väter) für ihr Kind brauchen (www.mamikreisel.de).
Auf der neuen Plattform Swapaholics kann man Kleidungsstücke direkt oder gegen Swap-Chips eintauschen, mit denen man andere Leidungsstücke "kaufen" kann (www.swapaholics.de).
Andere Sachen tauschen:
Bei Netcycler kann man seine Sachen nicht nur kostenlos tauschen, sondern auch verkaufen oder verschenken. Möglich ist eine Übergabe an einem Treffpunkt oder Versand, für den Netcycler eine Bearbeitungsgebühr erhebt (www.netcycler.de).
Bei Tauschgarten bekommt man erst Tickets, wenn man eigene Samen und Pflanzen an Interessenten verschickt. Wer nicht warten will, kann ein Starterpaket mit drei Tickets für 4,95 Euro kaufen (www.tauschgarten.de).
Tauschticket funktioniert ähnlich wie Tauschgarten, verlangt allerdings pro Artikel eine Gebühr von 0,49 Euro vom Käufer. Die meisten Sachen werden für ein Ticket getauscht, hochwertige Sachen können maximal 5 Tickets kosten, Versandkosten trägt der Anbieter. Für die ersten fünf Artikel bekommt man ein Bonus-Ticket (www.tauschticket.de).
Dienstleistungen tauschen:
Exchange-me nutzen deutschlandweit rund 5000 Mitglieder. Wer sich anmeldet, kann seinen Kontostand mit bis zu 100 *Me überziehen und später durch eine Gegenleistung wieder ausgleichen, eine Stunde Hilfe wird in der Regel mit zehn *ME verrechnet (www.exchange-me.de).
Die neue Plattform Qipoqo geht in den nächsten Wochen an den Start und vermittelt Dienstleistungen gegen Bezahlung oder im Tausch (www.qipoqo.com).
Die ebenfalls neue Plattform mila versteht sich als Marktplatz, auf dem man Dienstleistungen in seiner Umgebung kaufen kann, ein Tausch ist nicht vorgesehen (www.mila.com).