Die Diplombiologin Gülcan Nitsch, in Berlin geboren und aufgewachsen, ist Mitbegründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der ersten türkischsprachigen Umweltorganisation in Deutschland, Yesil Cember ("Grüner Kreis"). Vor kurzem wurde sie für ihr Engagement mit dem Umweltpreis "Tropheé des femmes" der Fondation Yves Rocher ausgezeichnet.
Frau Nitsch, wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Umweltschutz auf Türkisch anzubieten?
Mir ist aufgefallen, dass sich in den deutschen Natur- und Umweltschutzverbänden fast keine türkischsprachigen Personen engagieren. Diese Lücke wollte ich schließen. Immerhin leben ja fast drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland.
Wie bringen Sie das Thema an den Mann und die Frau?
Wir zeigen mit unseren Veranstaltungen, Schulungen und türkisch-deutschen Informations- und Bildungsmaterialien, wie jeder in seinem eigenen Umfeld und in seinem Alltag die Umwelt schützen kann: zu einem Ökostromanbieter wechseln, auf Ökosiegel achten, Recyclingpapier benutzen. Wir zeigen den Menschen, wie sie mit vielen kleinen Schritten die Welt ein bisschen besser machen können. Unsere Angebote sind sehr niedrigschwellig. Wir halten die Dinge so simpel wie möglich.
Wie sind die Reaktionen?
Wenn ich nach Hunderten Veranstaltungen mit Tausenden Menschen ein bisschen verallgemeinern soll: Anfangs ist da eine gewisse Skepsis. Aber nach den ersten zehn bis fünfzehn Minuten ist das Interesse geweckt. Türken sind viel leichter für den Umweltschutz zu gewinnen als Deutsche, und viele sind schnell bereit, in ihrem Alltag etwas zu verändern. Zuletzt hatte ich eine Schulung in Hamburg. Nach dem ersten Schulungstag hatte schon die Hälfte der Teilnehmer den Stromanbieter gewechselt.
Was machen Sie denn anders als Ihre deutschen Kollegen?
In den deutschen Naturschutzverbänden werden die Dinge manchmal sehr kompliziert dargestellt. Und oft mit dem moralischen Zeigefinger. Das machen wir überhaupt nicht. Wir versuchen die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Ich habe auch schon Frauen geschult, die nicht einmal lesen und schreiben konnten. Das Umweltbewusstsein hängt nicht vom Bildungsniveau ab. Auch wenn Studien genau das Gegenteil behaupten.
Gibt es auch Themen, die Sie lieber aussparen?
Dass man weniger Fleisch essen sollte, haben wir bisher immer nur am Rande behandelt. Türken essen sehr viel Fleisch, und es ist sehr schwierig, da etwas zu verändern. Auch das Thema Mobilität ist schwierig. Wenn Türken in Deutschland das ganz Jahr gearbeitet haben, möchten sie auch einmal im Jahr in die Türkei fliegen. Das kann man ihnen schlecht verbieten. Wir informieren aber darüber, wie die verursachten CO2-Emissionen kompensiert werden können.
Wie steht es eigentlich um den Umweltschutz in der Türkei?
In der Türkei ist die Sensibilität gegenüber Umweltschutzthemen nicht sehr ausgeprägt. Ich bin gerade in der Südtürkei am Strand und sehe jeden Tag, dass Kippen, Plastikflaschen, Papiertaschentücher einfach weggeworfen werden. Dabei sind die Türken im Herzen Naturschützer. Sie werfen den Müll einfach aus Gewohnheit in die Natur. Weil jeder es macht. Wenn man ihnen aber erzählt, dass eine Plastiktüte Hunderte von Jahren braucht, um zu verrotten, haben sie ein schlechtes Gewissen.
Aber auch auf offizieller Ebene wird das Thema wichtiger. Vor kurzem haben wir in Istanbul zusammen mit einer türkischen NGO, dem Ökoinstitut und dem Bundesumweltministerium eine Konferenz veranstaltet, auf der wir für die Einführung des Umweltsiegels "Blauer Engel" in der Türkei geworben haben. Auch das türkische Umweltministerium war mit einem Beitrag vertreten. Es gibt also auch von Seiten der Regierung ein Interesse daran, mit aussagekräftigen Labeln umweltschonendes Konsumieren leichter zu machen.
Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen mit Ihrer Bewegung?
Bisher sind wir schon in sieben deutschen Städten vertreten. Bis 2020 wollen wir in 20 Städten sein und eine Million türkischsprachige Menschen in Deutschland erreichen. Dafür arbeiten wir an speziellen Schulungen für Schulungen für Lehrer, Jugendliche, Mediziner, Journalisten und Unternehmen. Das sind wichtige Multiplikatoren.
Was genau meinen Sie mit "erreichen"?
Wir wollen, dass die Menschen, die wir ansprechen, mindestens ein Tonne CO2 im Jahr einsparen. Das ist gar nicht schwer. Man schafft es schon dadurch, dass man zu einem Ökostromanbieter wechselt. Oder auf Inlandsflüge verzichtet und stattdessen die Bahn nimmt.