+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++
Spazierengehen ist ja ein bisschen wie Kaffee und Kuchen. Klingt erst mal nach langen, manchmal langweiligen Sonntagnachmittagen mit älteren Verwandten. Also wie etwas, das irgendwie dazugehört – aber auch ein bisschen mufft. Etwas, das keiner weiteren Erwähnung bedarf. Heliskiing ist spannender.
Ich gebe zu: Es ist nicht ganz einfach, sich von dem stickigen Klischee freizumachen, das dem Spazierengehen anhaftet. Aber es lohnt sich.
Um es gleich vorwegzunehmen: Rausgehen war schon immer gut und wichtig. Und es wird jetzt, in Zeiten der Coronapandemie, noch wichtiger. Denn wir halten uns im Herbst, wenn es draußen langsam ungemütlich und immer früher dunkel wird, immer weniger im Freien auf. Und viele gehen, weil sie zu Hause arbeiten, noch weniger als die durchschnittlichen 600 Meter pro Tag zu Fuß.
Dass Bewegung an frischer Luft guttut, ist ja hinlänglich erforscht. Studien über die positiven Effekte auf das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem gibt es zuhauf. Spazierengehen soll ja sogar das Risiko senken, an einer Demenz zu erkranken.
All das glaube ich sofort. Aber das Gute ist: Man muss es gar nicht glauben. Jeder kann sofort am eigenen Leib spüren, dass das Draußen-Sein und die Bewegung an frischer Luft reine Wellness ist – vor allem nach langen Stunden vor dem Computer. (Sitzen: böse! Auf-den-Bildschirm starren: blöd für die Augen! Trockene Raumluft: Stress für die Schleimhäute!)
Späte Erkenntnis: Unsere Eltern hatten Recht, wenn sie uns rausschickten.
Aha-Erlebnis an der frischen Luft
Schon beim ersten Schritt aus der Haustür merke ich, wie die kühle, frische Luft direkt ins Gehirn einströmt, Gedankenschleifen auslöscht, Raum schafft für anderes. Sonne und Wind berühren mein Gesicht, verwuscheln mir die Haare, Birkenblätter rauschen flirrend, quittengelbe Ahornblätter leuchten wie von innen. Es ist dieser eine Moment, in dem ich sofort spüre: Das tut gut!
Eine Viertel- oder halbe Stunde um den Block, durch den Park: Die Lungen füllen. Kleine Entdeckungen machen. Sich wundern. Auf andere Ideen kommen. Überhaupt auf Ideen kommen.
Man muss das Spazierengehen nicht zum coolen Mikro-Abenteuer verklären. Oder eine Wissenschaft daraus machen (die gibt es wirklich, nennt sich Promenadologie). Oder zum Body-Mind-Workout pimpen. Sicher, man kann im Gehirn mitjoggen, indem man Wörter beim Gehen rückwärts buchstabiert oder Preise von Einkaufslisten im Kopf addiert. Kann man alles machen, muss es aber nicht. Denn nichts geht über das Aus-der-Tür-Treten, diesen einen Moment, der den Kopf frei macht.
Und nun aber raus mit Ihnen!