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Jugendprotest "Toll, dass diese jungen Leute sich politisieren!"

Fridays For Future
© mauritius images / Animaflora PicsStock / Alamy
Viele finden super, dass sich junge Leute politisch engagieren - und lehnen sich entspannt zurück

Als die Fridays-for-Future-Proteste im Jahr 2019 Fahrt aufnahmen, fühlte sich die Nation genötigt, Stellung zu beziehen. Nicht nur Schüler, die entscheiden mussten, ob sie mitdemonstrieren oder nicht, sondern auch Eltern, Lehrer, Schulleiter, Politiker. Einfach jeder. Einige der Statements spiegelten ziemlich gut die Widersprüchlichkeit und Unentschlossenheit der ganzen Nation beim Klimathema wider. Da kamen oberlehrerhafte Ermahnungen vom grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen lobte scheinbar auf Augenhöhe: »Es ist richtig, dass ihr uns Dampf macht!« Irgendetwas in der Art musste sie natürlich sagen, weil sie schließlich von 1994 bis 1998 Bundesministerin für Umwelt war und lange den inoffiziellen Titel »Klimakanzlerin« trug.

Aber was genau meinte sie damit eigentlich? Dass sie zwar irgendwie weiß, wie wichtig das Thema ist (sie sagt das bei jeder sich bietenden Gelegenheit), aber auch ein bisschen Getröte von der Straße braucht, damit sogar die Schnarchnasen aus ihrem Kabinett aufwachen? Da stellt sich doch die Frage, warum eine Regierungschefin Megafonansagen benötigt, um verantwortungsvoll Politik machen zu können. Denn die dramatischen Fakten kennt sie ja selbst. Auch Angela Merkel, das darf man unterstellen, hat mitbekommen, dass unser Haus schon an ein paar Ecken brennt.

Verräterisch kleines "Klimapaket"

Als das von Angela Merkel gegründete Klimakabinett im September 2019 mit einem sehr handlichen »Klimapaket« strahlend an die Öffentlichkeit trat, waren Klimaforscher entsetzt. Sie nannten es ein »Dokument der Mutlosigkeit« und »Sterbehilfe fürs Klima«. Zugleich wurde klar, was die Kanzlerin damals gemeint hatte. Nämlich so etwas wie: 'Toll, dass ihr jungen Leute, von denen wir alle dachten, ihr wäret mit dem neuesten iPhone zufrieden, für irgendetwas das Sofa verlasst und auf die Straße geht. Dass ihr euch ›politisiert‹. Das ist grundsätzlich mal eine feine Sache. Aber unter dem Strich, liebe Leute, ist Politik nun mal das, was möglich ist.' Anders ausgedrückt: 'Ich würde ja gerne, aber es geht nicht.' Eine Bankrotterklärung.

Cover "Das Klimaparadox" von Peter Carstens
© riva verlag

Während der Kollaps des Klimas durch Wetterkapriolen und -katastrophen in unser Bewusstsein dringt, wird die Kluft zwischen Wissen und Handeln immer größer. Doch nicht nur Regierungen und Weltklimakonferenzen versagen dabei, die größte Herausforderung der Gegenwart zu bewältigen. Sondern wir alle. Peter Carstens entlarvt in seinem Buch "Das Klimaparadox" die Ausreden und Rechtfertigungsmuster, mit denen wir uns selbst ausbremsen.

Und was macht der Rest der Republik? Zwar tragen die meisten Menschen weniger politische Verantwortung als die Bundeskanzlerin, verhalten sich im Prinzip aber genauso: 'Gut, dass ihr euch kümmert!', loben viele die junge Generation für ihr (klima-)politisches Engagement. Und leben weiter wie bisher. Ein Kolumnist des Magazins Stern überschrieb einen Artikel sogar: »Kinder, bitte rettet uns!« Was als anbiederndes Lob und Aufwertung daherkommt, ist nichts anderes als das Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit zu handeln. Und ein bequemes Delegieren von Verantwortung.

Das größte Verdienst der Fridays-for-Future-Bewegung ist nicht, dass sie der Regierung einen (lächerlich niedrigen) CO2-Preis und neue Regelungen für Ölheizungen abgetrotzt hat. Sondern dass sie die Inkonsequenz und Ineffizienz des Delegierens von Verantwortung sichtbar gemacht hat.

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