Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus? Nachhaltig soll sie sein und tiergerecht. Aber auch die Weltbevölkerung gesund und preisgünstig versorgen. Wie kann das klappen? Eine mögliche Lösung: Sensortechnik, Robotik und die Vernetzung intelligenter Systeme – »Smart Farming« versetzt die Agrarindustrie in freudige Wallung, der Begriff steht für Geräte, die das Tierwohl steigern, Pflanzen schützen oder Unkraut jäten sollen. Ihre Einführung in den Bauernalltag könnte ähnlich umwälzend wirken wie die Melkroboter in den 1990er-Jahren. Heute längst Alltag, machten sie in den Milchställen zunächst ein komplettes Umdenken notwendig: weg von der mühsamen Hand arbeit, hin zum voll automatisierten System.
Das Experiment glückte. Die Roboter verschafften den Landwirten mehr Freiheit, sie waren die festen Melkzeiten los, außerdem konnten sie oft ihre Erträge steigern. Die Kühe erhielten Bewegungsfreiheit, wo sie zuvor angebunden in Boxen standen. Sie leben nun vielfach in Laufställen und suchen den Melkstand von selbst auf, angelockt vom dort ausgeschütteten Kraftfutter. Während sie fressen, reinigt ein Greifarm ihre Euter, setzt die Melkbecher an (die richtige Position ermittelt ein Laser) und desinfiziert die Zitzen. Eine Kuh, die nicht zum Roboter kommt, wird genauso registriert wie eine, deren Milchleistung abfällt.
Das ist nun der Standard. Was aber geschieht morgen? Werden Drohnen über die Äcker fliegen und Roboter ihre Runden drehen, wo zuvor Erntehelfer in den Furchen knieten?
Sound Hooves - Sensortechnik für artgerechtere Tierhaltung
Smart Farming ist für Boris Kulig vor allem eine Chance auf bessere Tierhaltung. "Um Tiere artgemäßer halten zu können", sagt der Agrartechniker am Standort Witzenhausen der Universität Kassel, "werden wir mehr Sensortechnik einsetzen müssen." Zweieinhalb Jahre tüftelte der Wissenschaftler an »Sound Hooves«, einem System, das lahmende Rinder am Schrittklang erkennt.
Hat eine Milchkuh Schmerzen, ist das nicht nur ein tierschutzrelevantes Problem, sondern auch ein wirtschaftliches. Ein geplagtes Rind frisst weniger und gibt weniger Milch, oft muss es vor der Zeit zum Schlachter. Rund 25 Prozent aller Milchkühe hierzulande leiden an schmerzhaften Lahmheiten, manche Schätzungen liegen weit höher. Die Hauptursache sind Klauenprobleme, hervorgerufen durch Infektionen oder Pflegemängel. Es wäre wichtig, sie frühzeitig zu erkennen. Doch wie macht man das in Ställen, in denen Hunderte Kühe leben? Zum einen sind die Tiere tapfer, sie verbergen ihre Beschwerden lange Zeit. Zum anderen ist das menschliche Auge nicht besonders gut darin, Lahmheiten im Anfangsstadium zu erkennen.
Vielleicht kann es das Ohr besser, dachten sich die Witzenhäuser Agrar-Akustiker. Das war der Startschuss für Sound Hooves: Das Projekt soll Klauenprobleme hörbar machen, noch bevor man sie sieht.
Simple Hardware, komplizierte Software
"Die Hardware ist ziemlich simpel", sagt Kulig. Sie besteht aus einer drei Meter langen Trittfläche aus Kunststoff. Im ersten Meter steckt die Messtechnik, die das individuelle Tier erkennt (mithilfe eines RFID-Systems, wie es auch bei gechippten Haustieren zum Einsatz kommt). Auf den restlichen zwei Metern zeichnet ein Mikrofon die Schrittgeräusche jeder Kuh auf. Die Trittfläche liegt optimalerweise vor dem Melkroboter, den die Tiere eigenständig aufsuchen.
Ganz und gar nicht einfach gestrickt ist hingegen die Software. Der Teufel steckt im Detail, das heißt: in den Sounddateien und den Algorithmen. Das ist der Part, für den Boris Kulig zuständig ist.
Wie klingen die Trittgeräusche einer Kuh, die anfängt, einen Huf zu entlasten? Wo liegt die Grenze, ab der ein Algorithmus eine kranke Kuh von einer gesunden unterscheiden können muss? Mit Sound Hooves wird der Körperschall gemessen – also der Schall, der sich im Kuhkörper ausbreitet. Das hat den Vorteil, dass man die Umgebungsgeräusche ausfiltern kann. "Wir können inzwischen relativ störungsfreie Sounddateien aufnehmen", sagt Kulig, "das ist gar nicht so einfach, weil wir hier keine teure Hardware einsetzen." Schließlich soll das spätere Gerät für Landwirte erschwinglich sein. Doch bei der Algorithmus-Entwicklung braucht Kulig Daten von hoher Qualität, "viel höher als hinterher im realen Betrieb". Nur so lernt das System, dass eine Kuh mit beginnender Klauenfäule anders auftritt und andere Geräusche macht als eine mit einem Sohlengeschwür.
Der Prototyp steht derzeit im Versuchsund Bildungszentrum der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Eine Webcam in Kuligs Büro zeigt die Kühe, die dort die Anlage testen. Und die Tücken des Alltags, mit denen sich der Agrartechniker gerade herumschlägt: Ein paar Schwarzbunte verlassen nicht brav nacheinander den Melkstand, sie drängeln sich zusammen und stehen zu mehreren auf der Trittfläche herum. "Für die Sounddateien", sagt Kulig, "ist das natürlich Mist."
Sein Projekt wird von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gefördert und neben der Uni Kassel von der Tierärztlichen Hochschule Hannover sowie dem Stallanlagen-Produzenten Hölscher + Leuschner betrieben. In zwei Jahren könnte Sound Hooves in Serie gehen.
MS Korund - Mit Ultraschall gegen Klauenerkrankungen
Die niederländische Firma MS Schippers will ebenfalls Klauenerkrankungen bei Rindern frühzeitig erkennen, mithilfe eines Ultraschall-Scanners. Er ist das Herzstück eines vollautomatischen Systems, das »MS Korund« heißt. Es steckt noch mitten in der Entwicklung, hat aber im November 2018 schon einen Tierschutzpreis der Fachmesse Eurotier gewonnen.
Wenn die Kühe den Melkstand verlassen, soll ein Selektionstor einzelne Tiere auswählen und zu einer Scanner-Einheit leiten. Dort erfasst ein Ultraschallgerät die Klauen und ermittelt ihre Sohlendicke. Auch das Gewicht des Tieres wird gespeichert. Gibt es Handlungsbedarf, führt das System die Kuh weiter in die »Hoof Care Box«, in der ihre Klauen gewaschen und anschließend vom (menschlichen) Klauenpfleger behandelt werden. Zu diesem Zweck erhält der Klauenpfleger die analysierten Daten, die Scannerfotos und das Gewicht der Tiere auf sein Tablet oder Handy. Auf diese Weise können die Tiere besser überwacht und Probleme im Ansatz entdeckt werden.
Im Moment tüftelt der Entwickler Rico Jansen noch an grundsätzlichen Dingen. "Ist Ultraschall die ultimative Lösung, die wir einsetzen können", fragt er, "oder gibt es noch andere Techniken?" Als wissenschaftlichen Beistand hat er sich den Tiermediziner Kurt Bach von der Universität Kopenhagen dazugeholt, der viel zu Klauenpflege und Ultraschall forscht. Eine andere Überlegung ist, ob unbedingt die Vorderklauen mitgescannt werden müssen. Denn je komplexer das Ganze ist, desto höher steigt das Risiko von Fehlmessungen. "Die Hauptprobleme zeigen sich in der Regel an den Hinterklauen", sagt Jansen.
Das System ist bereits testweise in einem Betrieb mit etwa 200 Kühen gelaufen, es wurde mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Noch ist offen, wann es marktreif sein wird.
Bonirob - Unkrautvernichter ohne Chemie

Der Ackerroboter »Bonirob« wurde von einer Tochter des Bosch-Konzerns entwickelt und in kleiner Stückzahl unter anderem an die Universität Freiburg verkauft. Dort hat ein Forscherteam den Ackerroboter zum Unkrautjäger hochgerüstet. Der Bonirob – ein Metallkorpus auf einem stelzenartigen Gestell, vollgepackt mit Sensortechnik – hat nun das Zeug zur Allzweckwaffe. Neben der Unkrautbekämpfung kann er den Wachstumszustand einzelner Pflanzen analysieren und Dünger ausbringen. Eine Aufklärungsdrohne fliegt ihm voraus und führt den Roboter zu vermuteten Unkrautnestern.
Dann treten zwei Kameras an der Unterseite des Roboters in Aktion, ihre Bilder werden in ein hoch spezialisiertes Bilderkennungssystem eingespeist. Das entscheidet mithilfe Künstlicher Intelligenz, bei welchen Pflanzen es sich um unerwünschten Beiwuchs handelt. Kann der Algorithmus Unkräuter unter dem Roboter ausmachen, schießt ein Metallbolzen hervor und drückt sie ins Erdreich. "So gewinnen die Nutzpflanzen den entscheidenden Wachstumsvorsprung, der sie die Unkräuter überwachsen lässt", sagt Alexander Schaefer, Mitglied des Freiburger Teams. "Ganz ohne den Einsatz von Chemie."
MSR-Bot - Selektiver Schädlingsbekämpfer

Nacktschnecken können Äcker ratzekahl fressen, und bislang hilft gegen sie nur Schneckenkorn. Doch das Gift vernichtet auch geschützte Gehäuseschnecken und schädigt Igel, Vögel und Kröten, die vergiftete Weichtiere fressen.
Der Agrartechniker Christian Höing erfand an der Universität Kassel eine Lösung: den »MSR-Bot«, ein Raupenfahrzeug von der Größe eines Aufsitzrasenmähers – und zugleich ein Roboter mit dem Auftrag: Vernichte Schadschnecken, verschone Gehäuseschnecken. Dazu fährt der MSR-Bot selbstständig über das Feld, wenn die junge Saat aufgeht. Mithilfe dreier Kameras sucht er nach Schnecken ohne Haus. Wird er fündig, kartiert er die Stelle. Sie wird so zum Hotspot, einer bevorzugten Anlaufstelle bei den nächsten Suchrunden.
Um die Schnecken zu töten, kommt eine martialisch anmutende Spießmatrize zum Einsatz, acht mal acht Zentimeter groß. Quadratisch angeordnete Metallspitzen durchstoßen erst eine gelochte Platte, dann das Weichtier. Das Verfahren tötet schnell, im Gegensatz zum Gifteinsatz, bei dem die Tiere tagelang verenden.
Doch wie erkennt der Roboter die beiden Hauptschädlinge auf den Feldern, die Genetzte Ackerschnecke und die Spanische Wegschnecke? Nun: Das Gerät nimmt eine Spektralanalyse vor. Dabei wird die Wellenlänge des Lichts gemessen, das die Tiere im Nah-Infrarotbereich reflektieren – nur so sind die Weichtiere detektierbar, denn farblich haben sie sich an den Boden angepasst. Eine zusätzliche Mustererkennung stellt sicher, dass Gehäuseschnecken nicht aufgespießt werden. "Eine Nacktschnecke ist wie eine Zigarre geformt", sagt Höing. "Eine Gehäuseschnecke bildet dagegen ein unterbrochenes Muster ab, mit einem Kopfteil und einem Zipfel." Die ausgesparte Stelle ist das Schneckenhaus, das die Mustererkennung nicht erfasst – und der MSR-Bot folglich nicht attackiert.
All das geschieht übrigens nachts, wenn die Schnecken aktiv sind. Der Roboter navigiert autonom mittels GPS, seine Akkuladung reicht für acht Stunden. Bislang haben sich alle Komponenten einzeln bewährt. Jetzt, während der Erprobungsphase, wird sich zeigen, ob auch das Zusammenspiel aller Teile klappt.
Agrar-Roboter - Die Feldarbeiter der Zukunft?
Salah Sukkarieh, Professor für Robotik und Künstliche Intelligenz an der Universität Sydney, ist seiner Zeit noch ein gutes Stück weiter voraus. Seine Spezialität sind Feldroboter. 2017 hat er den Eureka Prize gewonnen, den wichtigsten Wissenschaftspreis Australiens. Aus seinem Labor stammt ein Roboter, der in Obstplantagen an Baumreihen entlangfährt. Dabei erfasst er die Anzahl der Früchte, erkennt also, wie viele Mangos, Avocados oder Nüsse an einem Baum hängen. Überdies kann er ihren Reifegrad ermitteln. Dazu hat Sukkariehs Team ein ganzes Set an Sensortechnik untergebracht, etwa Wärmebildkameras und Laser-Messsysteme (Lidar). Außerdem soll sich das Gerät mittels Künstlicher Intelligenz immer weiter selbst schulen.
In Australien findet Sukkarieh offene Ohren. Der Kontinent exportiert rund 80 Prozent seiner Agrarerzeugnisse ins Ausland, ist dabei aber dünn besiedelt. Wo Arbeitskräfte fehlen, könnten Roboter zum Zug kommen. Noch haben Menschen ihnen die Sensibilität und Feinmotorik ihrer Hände voraus. "Aber ich bin mir sicher", sagt Sukkarieh, "dass wir bald eine menschliche Hand nachbilden können." In etwa 15 Jahren könnten Roboter in der Landwirtschaft so verbreitet sein wie Staubsauger im Haushalt, große Landwirtschaftsbetriebe werden noch früher einsteigen: "Ich vermute, in etwa fünf Jahren."