Der Meeresspiegel steigt: je nach Berechnung zwischen einem und zwei Meter bis zum Ende unseres Jahrhunderts. Um die Mitte des Jahrtausends könnten sogar zehn Meter erreicht sein. Und schon lange vorher muss Küstenschutz völlig neu gedacht werden. Denn langfristig sind mehr als 25 Millionen Menschen in wirtschaftlich bedeutsamen Regionen entlang der Nord- und Ostseeküsten in Gefahr.
Doch wie der Küstenschutz der kommenden Jahrhunderte aussehen und wie er bezahlt werden könnte: dazu gibt es kaum Überlegungen.
Diese Lücke füllen jetzt Wissenschaftler von niederländischen und deutschen Forschungseinrichtungen. Im Bulletin of the American Meteorological Society präsentieren Sjoerd Groeskamp und Joakim Kjellsson einen Vorschlag, der zunächst größenwahnsinnig klingt: Die Nord- und Ostseeanrainer sollten zusammenarbeiten – und einen Damm entwickeln, der die Nordsee komplett abriegelt.
Nach den Vorstellungen der Forscher soll ein rund 160 Kilometer langes Teilstück zwischen Cornwall und der Bretagne den Ärmelkanal absperren. Im Norden könnte ein fast 500 Kilometer langes Bollwerk zwischen Schottland und Norwegen die Nordsee vom Atlantik trennen. Große Teile der Nord- und Ostsee würden so in ein gigantisches, von Menschenhand geschaffenes Binnenmeer verwandelt. Die Bewohner der Küstenregionen von 15 Ländern würden vom Meeresspiegelanstieg unabhängig.
Kosten: bis zu 550 Milliarden Euro
Ein Problem sind dabei nicht nur die erforderlichen, gewaltigen Materialmengen, sondern auch die Wassertiefen: Vor der Küste Norwegens ist die Nordsee bis zu 321 Meter tief. Zum Vergleich: Eines der größten vergleichbaren Projekte ist der Saemangeum Seawall in Südkorea. Der Damm ist 33 Kilometer lang und bis zu 290 Meter breit. Für die internationale Schifffahrt wären riesige Schleusen oder Umschlagplätze erforderlich. Zudem müsste das Wasser aus den Flüssen der Deutschen Bucht und im Ostseeraum über den Damm gepumpt werden - rund 40.000 Kubikmeter pro Sekunde. Die Gesamtkosten des Projekts taxieren die Autoren auf 250 bis 550 Milliarden Euro.
Die Idee, das geben die Autoren zu, könne zunächst "überwältigend und unrealistisch" wirken. Im Vergleich zu alternativen, kleinräumigen Küstenschutzprojekten und großflächigen Umsiedlungen könnte sie sich langfristig aber als der einfachere Weg erweisen.
Die Küstenschutzexperten liefern keine konkrete Bauanleitung, sondern vorläufige Schätzungen. Doch "die bloße Vorstellung, dass so umfängliche Lösungen wie NEED eine praktikable und kosteneffektive Schutzmaßnahme sein könnte", so heißt es in der Studie, illustriere eine außergewöhnliche globale Bedrohung. NEED sei eine "drastische" Lösung, sagt Joakim Kjellsson vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, einer der beiden Autoren. "Darum sollten wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, unsere CO2-Emissionen zu reduzieren, um zu verhindern, dass der Meeresspiegelanstieg ein so drastisches Problem wird."