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Madrid Jetzt sind wir gefragt: Warum die Klimakonferenz ein Weckruf sein muss

Klimakonferenz Madrid
Mini-Kompromiss nach zähem Ringen: Carolina Schmidt aus Chile, Präsidentin des Klimagipfels, spricht vor dem Abschlussplenum der UN-Klimakonferenz
© picture alliance / Xinhua News Agency
Nach dem zähen Ringen von Madrid zeigen sich Beobachter der Klimakonferenz von dem Ergebnis enttäuscht. Womöglich zu Unrecht

+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++

Man kann den Delegierten der Klimakonferenz von Madrid nicht vorwerfen, sie hätten sich keine Mühe gegeben. Im Gegenteil: Wohl noch nie auf einer Klimakonferenz wurde so hart und so lange um den Text der Abschlusserklärung gerungen. Ganze anderthalb Tage überzog die chilenische Leitung die angesetzte Dauer der Konferenz. In schlaflosen Nächten wurde bis zuletzt gefeilt, beraten, gerungen, wurde Überzeugungsarbeit geleistet.

Das Ergebnis allerdings erinnert in seiner paradoxen Gleichzeitigkeit an den 20. September 2019. An jenem Tag gingen 1,4 Millionen Menschen in Deutschland auf die Straße, um für einen entschlossenen Klimaschutz zu demonstrieren. Am Nachmittag desselben Tages trat ein erschöpftes, aber strahlendes Klimakabinett der Bundesregierung vor die Presse, um sich für sein so genanntes Klimapaket loben zu lassen. Das entpuppte sich bald als ein Luftpostbriefchen. Viel zu spät, viel zu wenig: Der Klimaforscher Mojib Latif nannte es eine "Sterbehilfe für das Klima".

Die Lücke zwischen Wissen und Handeln klafft immer weiter

Und jetzt Madrid: Die Meldungen über einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg, über das Erreichen von Kipp-Punkten und Zeitfenster, die sich binnen weniger Jahre schließen, reißen im Jahr 2019 nicht ab. Während also die Feuerwalze auf unser Haus zustürmt, debattiert man in Madrid darüber, ob und wer bei der Feuerwehr anruft, und was das kosten würde. Der wichtigste Streitpunkt der Konferenz: die Ausgestaltung des internationalen Handels mit Treibhausgaszertifikaten – auf das nächste Jahr verschoben. Glasgow wird’s schon richten. Nie klafften Wissen und Handeln weiter auseinander. Gleichzeitig zeigt sich, dass die reichen, früh industrialisierten Nationen nicht bereit sind, für die sich heute schon abzeichnenden, gigantischen Schäden im globalen Süden aufzukommen. Wenn sie sich, wie die USA, nicht gleich ganz aus der Verantwortung stehlen.

An wem oder was lag es nun? An der chilenischen Konferenzleitung? An den absurden Forderungen der Brasilianer? An der Blockadehaltung der Kohleländer? Am Ausscheren der USA, des zweitgrößten Klima-Schwergewichts nach China? Es ist müßig, darüber zu spekulieren. Selbst die deutsche Umweltministerin, die sich nach der Konferenz enttäuscht zeigte, kann nicht mit ausreichenden Ambitionen, geschweige denn mit guten Ergebnissen des ehemaligen Klima-Klassenprimus aufwarten.

Anfangen? Kann jeder!

Im Jahr 2019 zeigt sich die ganze Tragik des politischen Klimaschutzprozesses: Er ist unverzichtbar, und die Anstrengungen sind beispiellos. Aber die Herausforderung ist größer. Mit dem bislang Erreichten schaffen wir das 2015 in Paris gesteckte Minimalziel nicht. Schon bis zur Mitte des Jahrhunderts könnten wir sogar die 2-Grad-Marke überschritten haben. Das ist nicht weniger als eine Katastrophe. Es bedeutet – um einmal eines der seltener angeführten Beispiele zu nennen –, dass alle Korallenriffe, jene Kinderstuben des Lebens im Meer, absterben werden. Und wir steuern bis zum Ende des Jahrhunderts unverändert auf 3,5 bis 5 Grad zu.

Aber die seltsame Paradoxie von Madrid macht noch etwas anderes deutlich: Der politische Wille zum Klimaschutz formiert sich nicht in holzgetäfelten Berliner oder schnell zusammengezimmerten Madrider Konferenzzimmern. Und wahrscheinlich auch nicht nächstes Jahr in Glasgow. Sondern in jedem einzelnen Kopf, in jedem einzelnen Herz.

Erst wenn weitaus mehr als 1,4 Millionen Menschen in Deutschland auf die Straßen gehen, nur wenn eine kritische Masse Klimaschutz lebt, wird die Politik aufhören, nur Attrappen zu fabrizieren. Das enttäuschende Ergebnis von Madrid sollten wir nicht mit einem Achselzucken routiniert abhaken – sondern es als Weckruf verstehen: Wir wissen längst, dass wir von allem viel zu viel verbrauchen, dass wir über die Verhältnisse des Globus und auf Kosten anderer leben. Keine Regierung in Berlin (auch nicht eine grüne), keine Weltklimakonferenz wird damit Schluss machen. Außer wir tun es selbst. Und das Beste: Wir können es. Fangen wir an. Wäre doch ein schöner Vorsatz für 2020.

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