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Mikroplastik Der Streit um Kunstrasen verdeckt das eigentliche Problem

Kunstrasen
Kunststoffgranulat von Kunstrasenplätzen gelangt als Mikroplastik in die Umwelt
© Carmen Jaspersen/dpa/picture alliance
Machen wir uns nichts vor: Kunstrasen sind umweltschädlich. Aber es gibt ein viel drängenderes Mikroplastik-Problem, das durch die erhitzte Debatte ausgeblendet wird

+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++

Ob Asbest in Baustoffen oder Bisphenol A in Outdoor-Kleidung: Einst als state of the art gefeiert, erweisen sich neue Stoffe in Nachhinein oft als gesundheits- oder umweltschädlich. Jetzt hat es das Kunststoffgranulat erwischt, das tonnenweise auf 5000 deutsche Kunstrasenplätze geschüttet wird. Das ist gut und richtig. Denn in der öffentlichen Debatte ist angekommen, dass Mikroplastik aus verschiedensten Quellen ein gewaltiges Umweltproblem darstellt. Dass die EU das Problem jetzt angeht, ist nur folgerichtig.

Es ist bitter, aber wahr: Die Vereine haben jahrelang auf eine innovative, aber, wie sich jetzt zeigt, umweltschädliche Technologie gesetzt. Und Eltern schicken ihre Kinder, die in der Schule und zu Hause tagein, tagaus das Mantra vom schädlichen (Mikro-)Plastik hören – auf riesige Emissionsquellen für Mikroplastik. Jedes Jahr werden allein in Deutschland 300 solcher Platze neu gebaut, 150 grundüberholt. Jetzt müssen Lösungen oder Alternativen gefunden und eingeführt werden.

Die EU-Kommission hat übrigens inzwischen klargestellt, dass sie ein Verbot von Kunstrasenplätzen weder plant noch beabsichtigt. Da mag Innenminister Seehofer noch so sehr versuchen, Umweltschutz und Breitensport gegeneinander auszuspielen: Fakt ist, dass die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) zurzeit lediglich prüft, welche Auswirkungen eine Beschränkung des Einsatzes von Kunststoffgranulat hätte – um den Breitensport möglichst nicht zu beeinträchtigen.

Und falls die Plastikkügelchen doch irgendwann verboten würden, wäre das nicht das Ende des Breitensports. Das will in der EU niemand.

Die Sportplatzdiskussion lenkt vom entscheidenden Problem ab

Die aktuelle, erhitzte Debatte um den konstruierten Zielkonflikt zwischen Umwelt und Breitensport verdeckt etwas Entscheidendes: Sport- und Spielplätze sind relevante, aber bei weitem nicht die schlimmsten Mikroplastik-Verpester der Republik. Das sind, mit großem Abstand: Autoreifen.

Nach einer Studie des Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT aus dem vergangenen Jahr landen Sportplätze nur auf Platz fünf. (Auf Platz zehn übrigens – im krassen Gegensatz zur öffentlichen Aufmerksamkeit – Fleecepullis und Co. Kosmetik folgt sogar erst auf Platz 17.) Während Fußballplätze sozusagen den Sonderfall darstellen, produzieren fast 65 Millionen PKW, dazu LKW, Busse und Motorräder, jedes Jahr zigtausende Tonnen Mikroplastik.

Warum spricht eigentlich niemand außer Robert Habeck über einen möglichen Verzicht auf Autoreifen aus synthetischem Kautschuk? Warum stecken die Forschungen zu biologisch abbaubaren Alternativen in den Kinderschuhen? Warum gilt nicht längst Tempo 30 in Städten, Tempo 100 auf Autobahnen? Warum gibt es kein internationales Label, das besonders langlebige, abriebarme Reifen auszeichet? Oder verkehrspolitische Maßnahmen, die eine vorausschauende, materialschonende (und spritsparende) Fahrweise fördern?

Doch nicht etwa, weil unnötig viele PS, eine ruppige Fahrweise und der Geruch von verbranntem Gummi auf Asphalt zumal für viele Deutsche zu den gefühlten Grundrechten gehören?

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