Als vor einigen Jahren publik wurde, dass die Eierproduktion nichts mehr mit Bauernhofidylle zu tun hat (sondern eine Industrie ist), war das Entsetzen groß. Niedliche Küken, die von der Welt nur das Laufband sehen, auf dem sie in den Schredder oder ins Kohlendioxid fahren? Nur weil sie männlich sind und keine Eier legen können? 48 Millionen, jedes Jahr, allein in Deutschland? Das fühlt sich nicht gut an. Da stimmt was nicht.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) musste reagieren, kündigte einen "Ausstieg bis 2017" an. Und förderte die Erforschung von Verfahren, mit denen es möglich sein wird, das Geschlecht der Tiere noch vor dem Schlüpfen zu erkennen. Doch bis heute ist dieses Verfahren nicht praxistauglich. Soll heißen, zu teuer. Unwirtschaftlich. Am Kükengemetzel ändert sich vorläufig: nichts.
Warum, könnte man fragen, wird eigentlich erst jetzt geforscht? Offenbar, weil sich bislang einfach niemand um die Produktionsverfahren und das Leid der Hühner geschert hat. Die Öffentlichkeit wollte das alles gar nicht so genau wissen, und Behörden und Politik haben die Industrie machen lassen. Effizienz wurde so zur obersten Maxime: mit möglichst geringem Geldeinsatz ein Maximum an vermarktbarem Fleisch und Eiern zu erwirtschaften. So wurden Arbeitsplätze vernichtet und Antibiotika zum Standard, Umwelt- und Klimaschäden durch Futtermittel und Fäkalien inklusive. Und massenhaftes Leiden, das in keiner Wirtschaftlichkeitsberechnung auftaucht.
Das "Zweinutzungshuhn" dient vor allem: der Industrie
Und was nun? Eierproduzenten, die es gut meinen, bringen weitere Lösungsvorschläge ins Spiel: etwa das "Zweinutzungshuhn". Ein Huhn, das (wie früher) nicht mehr nur entweder der Eierproduktion oder der Fleischproduktion dient, sondern beides kann - wenn auch nicht so kosteneffizient.
Das klingt erst einmal nach einer smarten Idee. Denn schließlich hätte so ein Huhn das Potenzial, auf einen Schlag die ganze sinnlose Kükenschredderei zu beenden. Weil man ja auch mit den männlichen Tieren noch etwas anstellen könnte. Noch allerdings gibt es dieses Huhn nicht. Auch hier wird noch geforscht und gezüchtet (auch das mit Unterstützung des Bundeslandwirtschaftsministeriums).
Allerdings wäre mit dem Zweinutzungshuhn das moralische Problem nicht beseitigt, sondern nur verschoben. Die "geretteten" männlichen Küken hätten ja nicht automatisch ein tolles Leben vor sich. Wir Konsumenten könnten uns zwar die Vorstellung ersparen, wie flauschige Küken, die mit neugierigen Augen staunend in das Neonlicht der Brüterei blicken, aneinander gekuschelt in den Schredder fahren.
Aber sind die Turbomast mit Zehntausenden Tieren und der Schlachthof die verlockendere Perspektive?
"Bruderhähne" werden meist als Waisen aufgezogen
Auch der Ausdruck "Bruderhahn", der von der gleichnamigen Initiative ins Spiel gebracht wird, suggeriert heile Welt, wo keine ist. "Bruderhahn", das klingt nach Nestwärme und traulichem Beisammensein im Kreise der Familie. Das wäre in der Tat die "ethisch vertretbare Lösung", nach der die Initiative sucht - wenn man das Ende nicht bedenkt. Tatsächlich werden in der modernen Tierproduktion, sei es nun konventionell oder bio, Eltern und Kinder, Bruder und Schwester getrennt voneinander aufgezogen. Und selbst von den Bruderhähnen lernen nur wenige ihre weiblichen Geschwister kennen.
Ja, und das Ende: Die vier Cent Aufschlag, die wir für ein "Bruderhahn"-Ei zahlen, werden für die "Aufzucht und die Vermarktung" eines ansonsten schwer vermarktbaren Bruders investiert. Die Initiative garantiert den männlichen Tieren vier Monate Mindestlebenszeit. Tieren, die weit über zehn Jahre alt werden können. Ist das schon "ethisch"?
Der Ausdruck "Bruderhahn" ist ein Euphemismus. Ein Wort, das verdecken und beschönigen soll, was kaltes Faktum ist: dass die Tiere zur Nutzung durch den Menschen, also für die Mast und den Schlachthof bestimmt sind. Dass auch mit ihrem Leben Geld verdient werden soll. Da ist der Ausdruck "Zweinutzungshuhn" ehrlicher. Im Grunde wissen wir es längst: Wer Hühnereier will, nimmt viel Leid in Kauf - Kükenschreddern hin oder her. Und je billiger das Ei, desto größer das Leid.
Für alle, die daran etwas ändern wollen, gibt es eine gute Nachricht: Wir brauchen weder Hühnerfleisch noch -eier.