Zum Einkaufen eine eigene Tasche mitnehmen. Mehrweg-Verpackungen den Vorzug geben. Produkte mit Kunststoff-Nanopartikeln vermeiden: Die Liste der Tipps und Tricks für ein plastikarmes Leben ist beliebig verlängerbar. Und der Markt dafür wächst. Immer mehr Menschen fragen sich, was sie selbst zum Umweltschutz beitragen können. Längst berichten nicht mehr nur die einschlägigen Öko-Magazine über umweltschonenden Lifestyle. Sondern Fernsehen, Radio, Print- und Online-Magazine und –Communities. Auch wir bei GEO.de. Offenbar treffen wir damit einen Nerv.
Neu ist, dass solche Anregungen immer öfter auch Kritik ernten, auch auf den Facebook-Seiten von GEO. Und die folgt, egal, ob es um Klimapolitik oder Plastikkonsum geht, oft denselben Mustern.
1. "Der Einzelne kann ohnehin nichts ausrichten."
Während die Anhänger des ökologischen Konsums behaupten, es käme vor allem auf den Einzelnen (also den einzelnen Konsumenten) an, behaupten wohl die meisten Menschen eher das Gegenteil. Weil es der intuitiven Wahrnehmung entspricht, dass es rein rechnerisch so gut wie keinen Unterschied macht, ob ein Einzelner eine Tüte spart oder nicht. Was sind 30 Gramm Plastik angesichts von 4,2 Millionen Tonnen Verpackungsmaterial, die jedes Jahr in Deutschland verarbeitet werden? Ein einzelner Mensch kann das Problem der Ressourcenverschwendung und der Plastikverschmutzung der Meere nicht lösen.
Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil es rechnerisch wahr ist. Und falsch, weil es ignoriert, dass der Mensch ein politisches Tier ist. Der Plastikvermeider wird andere (auch Politiker) zum Nachdenken anregen. Und vielleicht zum Nachmachen. Wenn alle Einzelnen sich entscheiden, beim Einkaufen auf Plastiktüten zu verzichten, könnten wir allein in Deutschland über sechs Milliarden Tüten pro Jahr einsparen.
Die mediale Resonanz auf Menschen wie die Familie Krautwaschl zeigt, dass der Plastikverzicht vielen Menschen wichtig ist. Und man darf vorsichtig optimistisch die Prognose wagen, dass diejenigen, die sich mit den Motiven der Familie auseinandergesetzt haben, selbst bewusster und sparsamer mit mineralölhaltigen Produkten umgehen.
Schließlich ist das Argument auch darum falsch, weil es die Verantwortung des/der Einzelnen ablehnt, um sie an „den Staat“ oder „die Wirtschaft“ zu delegieren. Womit wir beim nächsten Punkt wären:
2. "Die Politik und die Wirtschaft müssen es richten."
Stimmt. Ohne gesetzliche Einschränkungen, ohne die Anhebung von Umweltstandards für die Industrie wird es nicht gehen. Darum plädiert Michael Kopatz vom Wuppertal Institut völlig zu Recht für eine neue „Öko-Routine“. Die soll ökologisch vorteilhaftes Konsumieren leicht machen – weil die Produkte, aus denen wir auswählen, allesamt hohen Standards verpflichtet wären. So eine Routine könnte tatsächlich dazu führen, dass Verpackungen auf ein Minimum reduziert würden, dass ausschließlich ökologisch unbedenkliche Mehrweg-Verpackungen in den Handel kämen, etc. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, wie das Gerangel zwischen Industrie, Umweltministerium und Umweltverbänden um Mehrweg, Pfand und Verpackungen immer aufs Neue demonstriert.
Ohne Konsumenten, die Druck machen und ökologisch sinnvolle Lösungen einfordern, werden wir die Wende nicht schaffen. Wir alle sind gefragt, aktiv zu werden. Aus eigener Einsicht werden Industrie und eine wirtschaftsfreundliche Regierung erst einlenken, wenn eines fernen Tages der Preis für Mineralöl explodiert. Und dann ist es zu spät.
Andere Kritiker der Öko-Tipps meinen:
3. "In anderen Ländern ist das Problem viel drängender. Sollen die doch anfangen."
Oft ist in Kommentaren zu lesen, wir verfügten doch schon über eine super Müllentsorgung und -trennung und ein vorbildliches Recycling. Entwicklungsländer hätten mit der Entsorgung ein viel größeres Problem.
Dass die Müllaufbereitung in Deutschland und anderen EU-Ländern technologisch auf einem hohen Stand ist, ist nicht zu bezweifeln. (Auch wenn die Recycling-Quote für Verpackungsmüll nicht einmal 40 Prozent liegt.) Richtig ist auch, dass andere EU-Staaten pro Kopf (noch) mehr Tüten verbrauchen. Oder dass die Berge von Plastikmüll an südostasiatischen Stränden noch viel höher sind an Nord- und Ostsee.
Ein Müllproblem haben wir trotzdem. Denn 830 Gramm Plastiktüten-Müll pro Kopf und Jahr sind zu viel – egal, wie viel andere Länder verursachen, egal, wie „sauber“ die Entsorgung (also überwiegend die Verbrennung) ist. Denn von diesem individuellen Müllhaufen landen immer noch genug Kunststoffreste in unseren Straßengräben, von wo sie über Bäche und Flüsse ins Meer gelangen. Und zu einem globalen Problem werden.
Wichtiger noch: Wer behauptet, das Problem der Plastikvermeidung – in Deutschland – sei vergleichsweise vernachlässigbar, blendet systematisch aus, dass unser Plastikkonsum symbolisch für einen unverantwortlich hohen Ressourcenverbrauch steht. Wir verbrauchen von allem viel zu viel – rund viermal mehr als in weniger entwickelten Ländern.
Schon heute wird an der Zunahme des motorisierten Verkehrs und den Emissionen dramatisch sichtbar, was es bedeutet, wenn diese Länder, etwa China, Indien und Brasilien, unseren maßlosen Lebensstil imitieren. Ihnen zu sagen: „Macht es nicht wie wir!“ wird nicht reichen. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Und weniger verbrauchen. Sehr viel weniger. Warum nicht mit Plastiktüten anfangen?
Andersherum: Wenn wir es nicht einmal schaffen, unseren Plastikkonsum in den Griff zu bekommen, also z.B. zu halbieren – wie wollen wir es dann hinbekommen, unseren gesamten Ressourcenverbrauch auf ein umweltverträgliches Maß zu drosseln? Wer gegen Plastikreduktion ins Feld zieht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, einen umweltverträglichen Lebensstil gar nicht zu wollen. Was zu dem schwächsten Argument führt:
4. "Mir Wurst!"
Obwohl klar ist, dass unser Lebensstil zum Klimawandel ebenso wie zur Vermüllung der Meere beiträgt, schaffen die meisten Menschen in den reichen Industrienationen es, ihr verschwenderisches Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen. Oder zumindest die Konsequenzen auszublenden. Es wird ihnen leicht gemacht. Schließlich gibt es keine Strafe für verschwenderisches Verhalten. Ganz im Gegenteil: Unsere Wirtschaft wird angetrieben vom Konsum, und damit auch von der Verschwendung. Außerdem gilt ein konsumorientierter Lebensstil immer noch als chic.
Folgerichtig ist die Mir-Wurst-Haltung völlig legal. Legitim ist sie darum noch nicht. Und das Mindeste, was die Kritiker der Kritiker tun können: die, die es besser machen wollen, in Ruhe lassen.
Hintergrundinformationen bei der Deutschen Umwelthilfe: www.duh.de/kommtnichtindietuete
und beim Umweltbundesamt: www.umweltbundesamt.de/publikationen/plastiktueten