Für den Zwischenstopp hier in "MacTown" am Rande des antarktischen Eisschelfs hatten wir einige Tage eingeplant, die sich nun als wertvolle Reserve erweisen.
Denn der letzte Feinschliff unserer Vorbereitung auf die Dry Valleys zieht sich hin: Seit einer Woche schon stellen wir Zelte, Schlafsäcke, Koch-, Navigations- und Geologenausrüstung zusammen und überarbeiten in Abstimmung mit den verschiedenen Forschergruppen, die wir begleiten wollen, immer wieder neu unseren Zeitplan.
Wir haben seitenlange Anträge geschrieben und zahllose Verhandlungen mit den Bürokraten der Station geführt, um einige der besonders geschützten Gegenden der Dry Valleys besuchen zu dürfen. Wir werden im Umgang mit Schneemobilen und ATVs ("All-Terrain-Vehicles") geschult, die wir auf den vereisten Seen im Herzen der Trockentäler zur Fortbewegung benutzen wollen. Und: Wir trainieren, mit der Kälte zu leben.
Der Forscher Robert Garrott (r.) von der Montana State University beschäftigt sich seit 30 Jahren mit den "Weddell-Robben", der südlichsten Säugetier-Population der Erde. Manche der Tiere verirren sich in die Dry Valleys - und verdursten. Was sie dazu bringt, was ihren Orientierungssinn irritiert, ist eine der Fragen, die er verfolgt und im Interview mit GEO-Redakteur Lars Abromeit erläutert.
Interview mit Robert Garrot (Mp3, 4,1 MB)
Das umfangreiche Reglement des US-Antarktisprogramms schreibt vor, dass jeder, der die MacMurdo-Station über Nacht verlassen will, zuvor einen dreitägigen Überlebenskurs im Eis absolviert haben muss. Diese "Happy Camper Snowschool" soll einen darauf vorbereiten, im Notfall auch jene antarktischen Stürme unbeschadet zu überstehen, die mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde über das Eis fegen und einem innerhalb von Minuten die Sicht nehmen können. Mein Kurs allerdings findet unter angenehmeren Bedingungen statt: Bei strahlendem Sonnenschein und windstillen 16 Grad unter Null bringen uns die beiden Bergführer Travor und Cecilia im Trainingsareal "Snow Camp City" in aller Ruhe und Ausgelassenheit bei, wie man aus dem vom Wind steinhart planierten Schneeboden passgenaue Blöcke für eine Schutzmauer aussägt, eine Notrufantenne aufbaut, eine Eishöhle gräbt und die Zelte gegen plötzlich aufziehende Stürme verankert. Am Ende bleibt sogar noch etwas Zeit, um aus überschüssigen Eisblöcken Skulpturen auszusägen, mit denen wir unsere weiße Festung garnieren.
Und weil selbst in der Nacht keine echte Katastrophenstimmung aufkommen mag, greifen die Bergführer am nächsten Morgen zu drastischeren Mitteln, um den "White Out" zu simulieren: Sie stülpen uns weiße Plastikeimer über den Kopf - und lassen uns so präpariert im Eisfeld nach einem Vermissten suchen. Zu zwölft im Abstand von zwei Metern an ein Seil gebunden, meistern wir die kollektive "Blinde Kuh"-Übung eher schlecht als recht. Immerhin: Für das "Snowschool"-Diplom reicht es zumindest. Und in den Dry Valleys gibt es ja ohnehin wenig Schnee.
Während wir nun noch auf die Erlaubnis warten, die Glaziologin Erin Pettit beim Abseilen an einer 30 Meter hohen Gletschersteilwand am Rande der Trockentäler zu begleiten und dafür einen Bergführer aus der Station mitzunehmen, starren wir bereits alle Viertelstunde sehnsüchtig aus dem Fenster des kleinen Büros, das wir für unsere Vorbereitung im Hauptlabor von MacMurdo zugewiesen bekommen haben. Auf der anderen Seite der eisbedeckten Bucht, irgendwo zwischen den Gipfeln der transantarktischen Bergkette am Horizont, liegt der Eingang zu den Dry Valleys. Die feinen Kristalle in der Luft lassen das Gebirge ganz nah erscheinen. Aber Trugbilder sind häufig hier in der Schneewüste. Noch sind wir weit vom Ziel entfernt.
Gestern haben wir immerhin schon einmal unser Schneemobil-Training nutzen können, um die "Seal Heads" am Rande des Eisschelfs zu besuchen: eine Forschergruppe aus Montana, die sich mit der Populationsdynamik von Weddell-Robben beschäftigt. Kein anderes Tier dringt soweit nach Süden bis zur Küste vor wie die bulligen, bis zu 550 Kilogramm schweren Robben, die mit einem einzigen Atemzug bis zu 80 Minuten lang unter Wasser bleiben können. Vor Fressfeinden sicher, tauchen sie an den Spalten auf und bringen auf dem Eis ihre Jungen zur Welt. "Ihr Orientierungssinn unter Wasser ist fast so genau wie unser GPS-System", erzählt uns der Biologe Rob Garrott. Auf dem Rückweg aber verirren sich manche Wedell-Robben - und wandern über das Eis in die Dry Valleys hinein, wo sie kläglich verenden. "Wie es zu diesen Ausreißern kommt, ist bislang ein Mysterium", sagt Garrot. Die Forscher vermuten, dass ein besonderer, in der Antarktis heimischer Parasit das zentrale Nervensystem der Tiere durcheinanderbringt. Langsam haben wir den Verdacht, dass es uns ähnlich ergehen wird, wenn wir noch sehr viel länger hier in McMurdo bleiben.
Die Weibchen der "Weddell-Robben" kommen an Spalten, die sich an der Küste durch die Gezeiten ergeben, aus dem Wasser und gebären ihre Jungen. Die Mütter bewegen sich zehn Tage lang nicht vom Eis und säugen ihren Nachwuchs mit der fettreichsten Milch des Tierreiches: mehr als 50% Fettgehalt.