Herr Peter, man kann sich gemütlichere Arbeisplätze vorstellen als eine über 1000 Meter tiefe Höhle. Wie riskant ist so ein Job für Sie?
Carsten Peter: Man unterschätzt leicht, was es bedeutet, so eine Höhle zu befahren. Da drin darf auf keinen Fall etwas passieren. Schon eine banale Verletzung wie ein verstauchter Fuß kann problematisch und in den tagfernen Regionen lebensbedrohlich sein. Ganz zu schweigen von mittelschweren Verletzungen, denn: Wer soll einen wieder hinaus bringen? Spezialisten aus ganz Europa müssten rekrutiert werden, man müsste zusätzliche Seilstrecken einbohren, Seilbahnen bauen, Engstellen raussprengen, damit eine Trage durchpasst. Es gibt Wasserfälle, in denen der Verletzte auskühlt, zu wenig unterirdische Camps, um Retter zu beherbergen, Gefahr von Wassereinbrüchen ... und so weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Rettungsaktion noch weitere Unfälle passieren würden, ist einigermaßen hoch. Ganz zu schweigen davon, ob eine Rettung überhaupt möglich wäre. Kurz: Man muss ganz massiv auf Sicherheit spielen.

Gab es im Riesending eine brenzlige Situation?
Einer aus unserem Team hat sich über eine schadhafte Stelle im Seil abgelassen, und musste kurz danach einen so genannten Mantelriss miterleben. Ein Schock. Sie müssen sich vorstellen: Man hängt an einem einzigen Seil in diesen riesigen, dunklen Schächten. Da braucht man viel Gottvertrauen, denn der Stress auf die Seile ist enorm. Sie laufen über Kanten, es gibt Steinschlag, überall ist feiner Lehm, der in den Abseilern schmirgelt ... Zum Glück hat der Kollege sofort reagiert: Er hat seine Steigklemme über der Schadstelle ansetzten können und der intakte Kern des Seils hat ihn lange genug gehalten. Dann konnte er wieder aufsteigen und das Seil erneuern.
Sie waren eine Woche in der Höhle. Was haben Sie eingepackt?

Es ist ähnlich wie bei einer Everest-Expedition: Man überlegt sich bei jedem Ding drei Mal, ob man es wirklich braucht. An Kleidung hatte ich nur das dabei, was ich auf dem Leib trug, dazu einen Faserpelz für Standzeiten. Ich hatte Expeditionsfertiggerichte eingepackt, man kippt heißes Wasser drauf, fertig. Nein, keine Rücksicht auf Komfort. Die "Höhlenbewetterung" im Riesending ist ziemlich stark, nachts liegt man in seinem Schlafsack im Zugwind und fröstelt. Trotzdem habe ich nach der körperlichen Anstrengung gut geschlafen. Und ich hatte völlig absurde Träume. Als wären es Fieberträume. Wahrscheinlich, weil die extreme Situation alle Sinne fordert.
Wie geht man da unten auf Toilette?
An jedem Biwakplatz gibt es einen ausgewiesenen Bereich, man vergräbt sein Geschäft und schmeißt Karbid drauf, um es zu desinfizieren. Der Platz wird danach ausgesucht, dass es keine hydrologische Verbindung gibt - um ja nicht das Wasser zu verunreinigen, denn davon lebt man ja. Aber es gibt auch Höhlen mit besonders sensiblen Ökosystemen, in denen nichts zurückgelassen werden darf – da bringt man dann auch sein Fäkalien-Beutelchen wieder mit nach oben.
Wie fotografiert man in den extremen Bedingungen einer Höhle?
Die erste Herausforderung ist ja: Die Ausrüstung heil nach unten und wieder hinauf zu bekommen. Ich hatte sie stoß- und wasserfest verpackt in einem Schleifsack, eine Art besonders robuster Seesack, den man hinter sich herziehen kann. Es geht weiter damit, dass die Blitzgeräte ständig ausfallen, wegen irgendwelcher störender "Kriechströme", die an der Oberfläche eines Isolierstoffes entlang fließen, oder wegen anderer, unvorhersebarer Probleme. Und dass meine Kamera überlebt hat, eine Nikon D3, grenzt an ein Wunder. Wasserfälle, Gischt, Nebel, Kälte, feinster Lehm-Staub ... Man gelangt ständig an die Grenze des technisch Möglichen.
Wie lange haben Sie gebraucht für ein Foto?
Rund eine Stunde. So lange dauert es, bis das Licht gesetzt ist. Allein hätte ich das nie machen können, das geht nur im Team, und darum möchte ich mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei Ulrich Meyer und seinen Männern bedanken, den Entdeckern und Erforschern der Höhle, die uns begleitet und die Reportage erst ermöglicht haben. Sie sind absolute Spezialisten in Sachen Speleologie, es gibt weltweit nur ganz wenige, die so viel drauf haben wie sie. Nein, dort unten zu fotografieren ist anstrengend - für alle. Sie müssen herumklettern, um die Blitzgeräte zu setzen. Müssen warten. Beginnen zu frieren. So eine Fotopause ist jedes Mal eine Plage, und ich muss dann immer den Motivator geben, der versichert: Kommt Jungs, einmal noch, es lohnt sich wirklich.
Wie haben Sie sich vorbereitet auf die zu erwartenden Strapazen?
Ich mag Sport, ich spiele Eishockey, fliege Gleitschirm, gehe Skitouren, erkunde seit meiner Kindheit Höhlen, gehe Tauchen, und so weiter. Klar: Die allgemeine Fitness muss bei solchen Touren stimmen. Dennoch fühlt man sich nach seiner Rückkehr, als sei man einmal komplett durchgemergelt worden. Wirklich, ich war fix und fertig.
Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr als erstes gemacht?
Mir den Bauch vollgeschlagen und ein langes, heißes Vollbad genommen.
Was ist der Reiz eines solchen Abenteuers?
Zunächst einmal ist das eine absolut spektakuläre Höhle. Es gibt riesige, wunderschöne Gänge und kirchturmhohe Schächte ... ein gigantisches Naturerlebnis. Klar kommt der Nervenkitzel hinzu, wenn man sich 180 Meter tief in die Dunkelheit abseilt. Man ist immer voll konzentriert, ein stundenlanger Flow, das ist fast meditativ. Hinzu kommt das Entdeckergefühl. Wo findet man in Deutschland noch Neuland? Im Riesending fühlt man sich wie Mungo Park bei der Entdeckung des Niger – nur, dass die Expedition ins Unbekannte direkt vor der eigenen Haustür stattfindet. Und: Steigt man in die Höhle, ist unsere technophile Welt schlagartig verschwunden. Man ist vollkommen abgekoppelt von der Außenwelt. Kein E-Mail, kein Telefon, der Alltag ist komplett ausgeblendet. Das hat etwas Befreiendes. Und dann ist da noch die soziale Komponente. Jeder ist für das Leben des anderen verantwortlich. So entstehen ganz tiefe Bindungen. Man macht gemeinsam etwas sehr Anspruchsvolles in einer absolut menschenfeindlichen Umgebung. Das macht irrsinnig Spaß.
Das Interview führte Ariel Hauptmeier.