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Neuer Werder-Sponsor: Kicken mit Chicken

Der Geflügelproduzent Wiesenhof ist neuer Sponsor des SV Werder Bremen. Fußballfans und Tierschützer protestieren - und lösen eine neue Diskussion um Fleischkonsum und Massentierhaltung aus

Der SV Werder Bremen gehört laut einer Umfrage des Deutschen Fußballverbandes zu den sympathischsten Vereinen der Bundesliga. Siegreichen Vorrunden und vielversprechenden Spieler-Verpflichtungen zum Trotz starten die Fans mit einem Skandal in die neue Saison: Nach dem Sportwetten-Anbieter "bwin" und der Discountkette "kik" bestätigte das Management am vergangenen Wochenende ihren neuen Deal mit dem Geflügelproduzenten Wiesenhof. Passt der Erstligist Werder Bremen mit einem derart umstrittenen Unternehmen zusammen? Zuletzt veröffentlichte die Tierschutzorganisation PETA Videomaterial, das die inakzeptablen Haltungs- und Schlachtbedingungen in einem der zahlreichen Entenmastbetriebe zeigte. Zwischen den mehr als 14.000 Masttieren und Küken entdeckten Ermittler tote, überzüchtete oder krankhaft gemästete Tiere. Auch die ARD schloss sich der Enthüllungsgeschichte an und strahlte ihre Reportage "Das System Wiesenhof" im vergangenen Jahr zur besten Sendezeit aus: Sie handelte von mangelnder Hygiene, Tierquälerei und ordnungswidrigen Löhnen. Gegen zahlreiche Mitarbeiter laufen laut PETA derzeit Ermittlungsverfahren wegen Tierquälerei.

Bremen: Dr. Ingo Stryck (Geschäftsführer Marketing Wiesenhof) und Klaus Allofs (Geschäftsführer Werder Bremen) präsentieren vor der Wiesenhof-Loge stolz die Wiesenhof Spezialitäten
Bremen: Dr. Ingo Stryck (Geschäftsführer Marketing Wiesenhof) und Klaus Allofs (Geschäftsführer Werder Bremen) präsentieren vor der Wiesenhof-Loge stolz die Wiesenhof Spezialitäten
© nph/Kokenge

Für die Beschaffung eines Hauptsponsors ist aber nicht der Verein Werder Bremen selbst verantwortlich. Das Marketing ist seit drei Jahren der Schweizer Firma Infront Sports & Media überlassen. Die hat Wiesenhof mit einer Summe von über fünf Millionen Euro pro Saison verpflichtet. Auch deshalb reagieren Fußballfans und Tierschützer mit Empörung auf den Deal. Schon bevor das Sponsoring bestätigt worden war, brach in sozialen Netzwerken ein "Shitstorm" aus. Eine neue Seite gründete sich bei Facebook - "Wiesenhof als Werder-Sponsor? Nein, danke!" - und gewann innerhalb der letzten Tage über 20.000 Anhänger. "Wer will schon Hühnerbrust tragen?", fragt sich Facebook-User Rainer und ergänzt, "man solle lieber mit blanker Brust als Hühnerbrust spielen." Im Werder-Forum treten 78 Prozent der Fans dem geplanten Sponsoring mit ähnlichem Protest gegenüber. Auch der offizielle Tag der Fans am Samstag in Bremen wurde boykottiert: Als Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs erstmals öffentlich den neuen Sponsor vorstellte, reagierten die anwesenden Fans mit Pfiffen und Buhrufen. Ein großer Teil der Werder-Anhänger steht auf Kriegsfuß mit dem Geflügelproduzenten und ist enttäuscht von seinem Lieblingsverein. "Das über Jahrzehnte erarbeitete gute Image dürfte beachtlichen Schaden erleiden", äußert ein Fan. "Wir stehen zwar zu 100 Prozent hinter unserem Fußballverein, aber zu 0 Prozent hinter den Tierquälern von Wiesenhof!", schreibt Holger. Er findet zwar, dass den Spielern für den umstrittenen Deal mit Wiesenhof keine Schuld zugewiesen werden dürfe, da Infront die Entscheidungsmacht innehält, hat seine Mitgliedschaft allerdings schon gekündigt. Um dem Missmut Ausdruck zu verleihen, feilen die Fans gerade an einem Schlachtruf, falls sie einen Stadionbesuch antreten sollten.

Eine Pressekonferenz am Montag sollte aufklären. Allofs plädierte stellvertretend für die gesamte Chef-Etage des Vereins für die Professionalität des neuen Sponsors: "Wir freuen uns sehr, dass wir erstmals nach langer Zeit wieder einen Hauptsponsor aus dem Werder-Land gewinnen konnten", erklärte er. Als deutscher Marktführer würde Wiesenhof auf unternehmerische Kontinuität, wirtschaftlichen Erfolg und Zuverlässigkeit setzen. Genau diese Eigenschaften hätten bei der Sponsorenwahl überzeugt. Die Bosse des Vereins wären zuvor außerdem selbst in den Ställen gewesen: "Wir haben uns vor Ort überzeugt und einen sehr guten Eindruck bekommen." Dazu würden sie in Zukunft auch Fans animieren wollen: "Jeder von ihnen ist herzlich eingeladen, sich in den Betrieben von Wiesenhof ein Bild zu machen", hieß es von Dr. Ingo Stryck, dem Marketing-Geschäftsführer bei Wiesenhof. Auch bereits gekaufte Trikots würden auf Kosten des Vereins nachträglich mit dem neuen Logo bestickt werden. Stryck betonte zudem seine Zufriedenheit über den Deal. Er freue sich, dass das Unternehmen Wiesenhof von nun an Teil der Werder-Erfolgsgeschichte sein könne.

Screenshot der Facebookseite "Wiesenhof als Werder-Sponsor? Nein, danke!" Hier protestieren Fußballfans und Tierschützer gegen das geplante Sponsoring
Screenshot der Facebookseite "Wiesenhof als Werder-Sponsor? Nein, danke!" Hier protestieren Fußballfans und Tierschützer gegen das geplante Sponsoring

Doch genau diese Erfolgsgeschichte ist mit dem zweifelhaften Deal ins Stocken geraten: Werder hat seit der Vorstellung des neuen Sponsors am Samstag bereits Vereinsaustritte registrieren müssen. Es bleibt zwar noch abzuwarten, ob die Stimmen der Fans leiser werden, wenn die sportliche Leistung zu überzeugen beginnt. Doch immerhin haben sich Menschen im Laufe des immensen "Shitstorms" gegen Wiesenhof vermehrt über Geflügelmast und -produktion informiert und zum Teil das "Tierschutz-Gen" in sich entdeckt. Facebook-Mitglied Sven ist mit seinem Entschluss sicher kein Einzelfall: "Wiesenhof hin oder her. Ich esse nur noch Fleisch vom Metzger aus dem Dorf. Jedes Fleisch aus dem Supermarkt wird so 'zubereitet' wie das von Wiesenhof." Mara reagiert: "Wir sollten im Allgemeinen weniger Fleisch essen und bewusster einkaufen."

Ein Gutes löst der Wiesenhof-/Werder-Skandal demnach unwiderruflich aus: ein Nachdenken in der Bevölkerung!

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