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SARS-CoV-2 Ganze Populationen bedroht: Corona bringt Menschenaffen in Gefahr

Flachlandgorilla Silberrücken
So mächtig die Erscheinung des 37 Jahre alten Silberrückens auch wirkt - gegen das Virus SARS-CoV-2 könnten ganze Populationen machtlos sein
© mauritius images / age fotostock / Eric Baccega
Übertragen Menschen SARS-CoV-2 auf Schimpansen oder Gorillas, kann das Virus ganze Populationen ausrotten. Doch auch wenn sie den Tieren fernbleiben, bringt das ihren Schutz in Gefahr. Tierschützer sind in einer Zwickmühle

Nur der breite, goldbraune Strom des Kadéï schneidet durch das grüne Dickicht des Waldes. Wie eine Schneise mäandert der Fluss durch den Dzanga-Sangha-Nationalpark im Südwesten der Zentralafrikanischen Republik. An einer breiten Flusskehre haben Forscher und Naturschützer einen menschlichen Außenposten in die Natur gebaut - seit dreißig Jahren kümmern sie sich um den Erhalt und den Schutz des Nationalparks.

Normalerweise arbeiten 250 Menschen für das Projekt, seit Anfang März sind noch 50 von ihnen vor Ort. „Seit uns klar wurde, wie sehr sich das Virus weltweit verbreitet, haben wir alle Mitarbeiter, die nicht unbedingt nötig sind, nach Hause geschickt“, erzählt Terence Fuh Neba. Seit 2010 arbeitet er als Forschungs- und Naturschutzkoordinator für das WWF im Dzanga-Sangha-Nationalpark. In der Natur, fernab von großen Menschenansammlungen, fühle er sich sehr sicher vor dem Virus, auch um seine Mitarbeiter mache er sich keine Sorgen.

Umso mehr um die rund 1.200 Westlichen Flachlandgorillas, die im Nationalpark leben – kommen sie in Kontakt mit SARS-CoV-2, könnte ein Ausbruch der Krankheit die gesamte Population dahinraffen.

Das Virus würde weiter vorantreiben, woran sich der Mensch seit Jahrhunderten versucht: an der Ausrottung seiner nächsten Verwandten, der Menschenaffen. Zum Vergnügen jagte er Gorillas, für seinen Ackerbau holzte er Regenwälder ab, in denen Schimpansen und Orang-Utans zuhause waren. 504 Primatenarten gibt es heute noch - 60 Prozent von ihnen sind in ihrer Existenz bedroht.

Das Immunsystem der Primaten ist auf das Virus nicht vorbereitet

Meist sind Projekte wie der Dzanga-Sangha-Nationalpark die einzigen, die Menschenaffen überhaupt noch einen Lebensraum bieten, ihr Aussterben verhindern. Fuh Neba und seine Mitarbeiter wollen dafür sorgen, dass die lokale Bevölkerung vom Naturschutzgebiet profitiert, dass Touristen kommen und Geld ausgeben, dass Spenden in den Naturschutz fließen. Die Gorillas von Dzanga-Sagha werden von Menschen in ihrer Existenz bedroht - und können nur durch menschliche Hilfe überleben.

Gleichzeitig wird der Mensch derzeit ungewollt zum größten Feind der Tiere – die Gefahr trägt er in sich, seit sich SARS-CoV-2 weltweit verbreitet. Dass er für Menschenaffen ebenso lebensbedrohlich werden kann, liegt an ihrer genetisch nahen Verwandtschaft zum homo sapiens: Das Erbgut von Schimpansen unterschiedet sich nur um 1,37 Prozent von dem des Menschen, zu 1,75 vom Gorilla und um 3,4 Prozent vom Orang-Utan. Daher ähnelt die Physiologie der Menschenaffen sehr der des Menschen – was eine Übertragung des Virus bei Kontakt der beiden ermöglicht.

Das Immunsystem der Menschenaffen allerdings unterscheidet sich deutlich von dem des Menschen: Es kam mit anderen Krankheitserregern in Kontakt als diejenigen, die während der Erkältungswellen durch menschliche Städte wandern. So raffte das Respiratory Syncytial Virus, das Menschen auf die Tiere übertragen hatten, ganze Schimpansenpopulationen dahin, 2016 brach das Coronavirus OC43 unter Schimpansen in der Elfenbeinküste aus.

„Wie SARS-CoV-2 auf die Gorillas in unserem Park wirken würde, wissen wir einfach nicht“, sagt Fuh Neba. „Wir wissen nur, dass es sehr gefährlich werden kann, wenn das Virus eingeschleppt wird – für die gesamte Population.“

Doch nicht nur die Gorillas im Dzanga-Sangha-Nationalpark wären dann gefährdet, die einzelnen Gruppen sind in Interaktion mit anderen Gruppen, bewegen sich, tragen das Virus weiter. „So könnte es sich von hier aus in den Kongo, nach Kamerun, bis nach Gabun ausbreiten“, fürchtet Fuh Neba.

Bleiben die Touristen fern, bleibt das Virus fern – und die Einnahmen

Diese Gefahr besteht seit der weltweiten Ausbreitung von Covid19 an jedem Ort, an dem Menschen und Menschenaffen in Kontakt kommen. Deshalb fordern 25 führende Experten in einem offenen Brief im Magazin Nature alle Organisationen und Regierungen weltweit auf, den Kontakt zwischen Mensch und Tier so weit möglich einzuschränken und verweisen auf ein Handbuch der ICUN zum Schutz der Menschenaffen von gefährlichen Erregern: „Aufgrund der aktuellen Situation empfehlen wir, den Menschenaffen-Tourismus auszusetzen und die Feldforschung weitestgehend zu reduzieren.“

Das treibt Fuh Neba, der den Brief unterzeichnet hat, und sein Team in eine Zwickmühle. Denn gerade der ökologisch kontrollierte Tourismus finanziert große Naturschutzprojekte wie den Dzanga-Sangha-Nationalpark. Seit über zwanzig Jahren wird der Wald mit Flachlandgorillas bevölkert, die Naturschützer haben die Tiere an menschlichen Kontakt gewöhnt, um das Projekt in Einklang mit dem Tourismus und der lokalen Bevölkerung zu bringen – das allein dauerte sieben Jahre, jährlich kostet der Schutz der Gorillas rund 200.000 Euro. Kosten, die über Spenden und Touristen gedeckt werden, die sich den Traum erfüllen, einem Silberrücken in freier Wildbahn einmal im Leben ganz nah zu kommen.

Die Spenden alleine decken die Kosten nicht. Trotzdem haben sich die Parkschützer dafür entschieden, strikte Maßnahmen zu ergreifen. Der Schutz der Tiere vor dem Virus hat vorerst oberste Priorität.

Anfang März stornierten die Parkwächter alle Reservierungen, Forscher dürfen nicht mehr in das Camp reisen, Großspendern wurden alle Besuche untersagt. Normalerweise müssen Mitarbeiter und Touristen mindestens sieben Meter Abstand von den Gorillas halten, jetzt sind es zwanzig. Bevor die Naturschützer in den Wald gehen, setzen sie Schutzmasken auf, desinfizieren Kleidung, Schuhe und Hände. Niemand, der Symptome zeigt, werde noch in die Nähe der Gorillas gelassen, versichert Fuh Neba.

Trotzdem sei es enorm wichtig, dass die Naturschützer auch jetzt Präsenz zeigen und die Gorillas genau beobachten – allein schon, dass niemand ihnen zu nahe kommt. Denn wenn das Virus in der Zentralafrikanischen Republik ankommt, ist es schnell überall. „In dieser Region leben weit verstreut ungefähr 13.000 Menschen. Wir haben ein winziges Krankenhaus für alle – da arbeitet aber nur ein Arzt. Ansonsten nur Gesundheitsposten ohne Geräte und ohne medizinisches Personal, ein Geländewagen fungiert als Krankenwagen für alle und bringt die nötigste Versorgung, Hygiene gibt es oft nicht“, erzählt Fuh Neba. „Wenn die Pandemie zu uns kommt, können wir sie nicht bewältigen.“

Und wenn die Menschen die Pandemie nicht bewältigen können, können sie auch die Gorillas in den Wäldern nicht schützen.

Doch auch wenn die Pandemie nicht kommt, sind die Gorillas in Gefahr. Die stornierten Buchungen für März und April kosten die Naturschützer 40.000 Euro. Im April könne man die Gehälter noch zahlen, sagt Terence. Was danach kommt, weiß keiner.

Nur eines scheint gewiss: Die Folgen der Corona-Pandemie treffen besonders diejenigen, die Schutz ohnehin dringend nötig hätten – das gilt für menschliche Gesellschaften ebenso wie für das globale Ökosystem.

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