Wer von "Morning Glory" schwärmt, muss weder den Song der Band "Oasis" im Ohr haben, noch den gleichnamigen halluzinogenen Pflanzen zugetan sein. Ein morgendlicher Spaziergang am Golf von Carpentaria genügt völlig, um die Faszination zu wecken. Dort, im Nordosten Australiens, ist mit schöner Regelmäßigkeit - vor allem aber in der Trockenzeit von April bis Oktober - ein spektakuläres Naturschauspiel zu beobachten. Flache Wolkenrollen von gigantischer Länge bilden sich und ziehen, mal einzeln, mal parallel gestaffelt, vom Meer landeinwärts. Sie erstrecken sich über mehrere hundert Kilometer und sind auch von Satelliten aus zu erkennen. Ursache des Schauspiels sind abendliche Seewinde über der Halbinsel Cape York, die auf trockene Winde vom heißen Kontinent treffen und über Nacht die Formationen bilden. Begleitet werden diese von abrupten Luftdrucksprüngen um etliche Millibar und plötzlich aufkommendem Wind mit Geschwindigkeiten um 15 Meter pro Sekunde.
"Morning Glorys ähneln Meereswellen, wobei die Wolken die Krone der atmosphärischen Wellen bilden", sagt Michael Reeder, Meteorologe an der School of Mathematic Sciences der Monash University in Melbourne. Der Forscher hat gemeinsam mit dem australischen Bureau of Meteorology und Kollegen der Universität München das farbenprächtige Phänomen untersucht. Die Wolkenwellen können zwar theoretisch überall auf der Welt auftreten - wie zum Beispiel am 8. Oktober 1987 über Südbayern. Doch nur über dem Golf von Carpentaria entwickeln sie sich beinahe täglich. Für die Forscher bietet die Regelmäßigkeit dieses Wetterphänomens besonders gute Bedingungen zur wissenschaftlichen Beobachtung und Prognose atmosphärischer Vorgänge. Mit Flugzeugen und Wetterballons jagen die außergewöhnlichen "Wellenreiter" den Wolken hinterher. Neben den Wolkenrollen ist für diese Region auch die North Australian Cloud Line (NACL) typisch - eine Linie aus Kumuluswolken, die sich ebenfalls über die gesamte Länge des Golfes erstrecken kann.
In der Regenzeit entwickeln sich daraus mitunter gewaltige tropische Stürme, die dann große Gebiete Nordaustraliens heimsuchen. Auch die Erforschung von Entstehung und Verhalten dieses Wolkenphänomens soll künftige Wettervorhersagen erleichtern - nicht nur für Australien, sondern in den gesamten Tropen.