Mein Leben hat zurzeit einen Goldgrund. Doch. Kann ich so sagen. Wie auf diesen Heiligenikonen. Wobei ich mit Heiligkeiten nicht viel anfangen kann. Aber hinter meinem mitunter öden Alltag scheint etwas durch. Ein stabiler Glanz, der allem schärfere Konturen gibt. Eine Freude aus etwas, das erst mal gar nicht so sehr meinem eigenen Leben nützt.
Es fing mit einer E-Mail von mir an zwei Freunde an. Die Mieten in München, die Gentrifizierung, die Luxus-Wohnanlagen hinter hohen Zäunen: Lasst uns etwas dagegen tun. Wir werden die Welt nicht revolutionieren, aber schon aus Gründen der Seelenhygiene müssen wir uns doch mal wehren.
Und weil das, was da geschieht, München zerstört.
Ich jedenfalls will mit meiner Familie nicht in einer Stadt leben, die sich eigentlich nur noch Anwälte und Millionenerben leisten können. Und die sich allein durch die hohen Mieten sozial entmischt. Oder haben Sie schon mal eine türkische Großfamilie im wohlhabenden Glockenbachviertel gesehen?
Statt uns aber mit einem Empörungs-Pappschild an den Marienplatz zu stellen, haben wir uns dem Feind anverwandelt – und eine Immobilienfirma namens "Goldgrund" gegründet, samt Website, Flyer und angeblichem Büro mitten in Boomtown Schwabing.
Und dann haben wir überall den Plan von "Goldgrund" verkündet, den traditionsreichen Platz "Münchner Freiheit" mit einem monströsen neuen Klotz zu bebauen, dem "Arche de Munich", wir wir ihn nannten, exklusiv für finanzielle High-Performer.
In den Häusern der Nachbarschaft haben wir Flyer verteilt, kostspielige Souterrain-Apartments angeboten, nebst krisenfesten Jobs in den Bereichen Subsistence Management, Security und Domestic Responsibility.
Und dann haben wir die Leute noch zu "Schnäppchen und Häppchen" in unser angebliches Büro geladen, weil wir doch feiern wollen, dass der Markt unser Objekt mit so großem Genuss aufgenommen hat.
Die Münchner kamen in Scharen, um sich über die feindliche Übernahme der Münchner Freiheit aufzuregen. Es gab dann aber natürlich weder Schnäppchen noch Häppchen, sondern eine Podiumsdiskussion zu den Fragen: Wem gehört die Stadt? Was können wir tun gegen die Mietpreisspirale? Und wie wollen wir leben?
Es war ein fabelhafter Abend. Informativ, bestgelaunt, ermutigend.
Nun kann man gegen ein solches Engagement einwenden, dass da ja wieder mal nur die Gutausgebildeten, Besserverdienenden, vielfach Vernetzten zusammengekommen sind.
Der Göttinger Politologe Franz Walter sagt, im Akt der Partizipation – die ja immer eine Aura von Egalitarismus und Graswurzeldemokratie umgibt – verberge sich "ein Ferment der Ungleichheitsverschärfung". Schließlich würden sich solch ein zivilgesellschaftliches Engagement nur diejenigen zutrauen, die in ihrem gut gepolsterten Leben bereits Erfolg, Gelingen und Bestätigung in Form von Selbstwirksamkeit erfahren hätten.
Menschen der neuen Unterschichten hingegen hätten meist nur immer und immer wieder die verletzende Erfahrung des Scheiterns und der Zurückweisung gemacht, weshalb sie auch nicht aktiv würden, bringt schließlich eh nix, haben sie gelernt.
Da aber, so Walter, die Vernetzten, Engagierten in ihren Gruppierungen oftmals doch nur für die eigenen Belange kämpften, sehe er in vielen Aktionen nur gut camouflierten Egoismus und Klientelismus: Man engagiere sich nicht für eine bessere Welt, sondern für seine bessere Welt. Die eigene. Zumal solches Engagement mittlerweile sehr oft der Lebenslaufoptimierung dient, schließlich gibt einem solche Arbeit ethisch-moralische Credit-Points, die sich in jeder Bewerbung und jedem Curriculum Vitae gut machen.
Forscher des Zentrums für Nonprofit-Management der Universität Münster bestätigen den Trend, dass sich das Engagement vieler Menschen schon lange wegbewege vom traditionellen langjährigen Ehrenamt bei der freiwilligen Feuerwehr oder dem Sportverein hin zu zeitlich flexiblem Engagement "solidarischer Individualisten".
Deren Motivation sei nicht mehr nur allein am Allgemeinwohl orientiert, sondern im gleichen Maß an Selbstverwirklichung und der Optimierung von Karrierechancen. Man springe von einem Engagement zum nächsten.
Mag ja sein. Aber entwertet so ein Motiv das Engagement?
Zum einen sind diejenigen, die ein Ehrenamt tatsächlich nur als Investment ins eigene Lebensportfolio sehen – deren Engagement also ausschließlich strategische Gründe hat, weil sie das bisschen an geopferter Freizeit eins zu eins in Karriere ummünzen wollen –, meist bald wieder weg. Weil wirkliches Engagement vor allem eines braucht: Engagement. Das heißt Zeit, Ausdauer und Mitgefühl.
Vielleicht noch wichtiger aber ist etwas anderes. Wer sagt denn, dass Engagement nur dann erlaubt ist, wenn es reinstem Altruismus entspringt?
Warum soll, wie es in der Bibel heißt, die Linke nicht sehen, was die Rechte tut, wenn man jemandem ein Almosen gibt? Klar soll sie's sehen, schließlich kann man viel besser zupacken, wenn man genau sieht, wo man hinfassen muss.
Mit anderen Worten: Warum sollte man nicht nebenbei auch eigenen Nutzen daraus ziehen dürfen, dass man seine Zeit für andere und anderes opfert?
Der Nutzen beginnt ja schon damit, dass es schlicht Spaß macht, sich zu engagieren.
Den gesamten Text lesen Sie in der neuen Ausgabe von GEO WISSEN "Was gibt dem Leben Sinn?".