GEO WISSEN: Herr Fehling, haben Sie ein Lieblingsgericht?
Kevin Fehling: Ja, schon seit meiner Jugend. Das ist so eine Art Rührei mit frischen Tomaten und Harissa, einer Würzpaste mit Chili und Kreuzkümmel, sowie Thunfisch aus der Dose.
Das klingt aber nicht gerade nach Sterneküche.
Ich weiß, aber ab und zu gönne ich mir das und esse es mit drei Toast. Das wird so richtig schön matschig. Die Kreation kommt aus Tunesien, ein einfaches Arme-Leute-Gericht. Das liebe ich.
Ist es vor allem der Geschmack, der es zu Ihrem Lieblingsgericht macht – oder weckt es bei Ihnen angenehme Assoziationen?
Das lässt sich nicht trennen. Der Vater eines guten Freundes, ein tunesischer Koch, hat das Gericht immer dann zubereitet, wenn ich dort übernachtet habe. Das sind schöne Erinnerungen.
Beruflich müssen Sie ständig neue Formen von ungewöhnlichem kulinarischen Geschmack entwickeln. Ist das auch mit Emotionen verbunden oder ein eher rationaler, technischer Prozess?
Häufig ist es schlicht Inspiration. Die kann überall entstehen. Die Idee zu einer Nachspeise kam mir einmal, als meine Tochter eine Parfümflasche fallen ließ. Die Kopfnoten des Duftes aus Walderdbeere und Himbeere, die zuerst wahrzunehmen waren, und andere Aromen wie Alpenveilchen und Magnolie habe ich als Anregung für die geschmackliche Komposition genommen.
Gerade blumige Aromen harmonieren gut mit der Süße eines Desserts. Hinzu kam die Architektur, die Gestaltung der Nachspeise, die ich an die Form der Parfümflasche anlehnte.
Ist ein solcher Prozess auch auf komplexe Gerichte übertragbar?
Durchaus. Wir machen seit einigen Jahren im Winter Urlaub in Dänemark. Jedes Mal, wenn ich dort am Ostseestrand bin, habe ich diese Aromen in der Nase, von angespülten Muscheln, dem Salzwasser, Fisch, Algen, hinzu kommt ein eisiger Luftzug. Ich hatte schon oft darüber nachgedacht, ein Gericht daraus zu entwickeln, das über Geschmack und Geruch meinen Eindruck vom Strandspaziergang transportiert.

Das vollständige Interview lesen Sie in GEO WISSEN Ernährung Nr. 3 "Genuss erleben, Qualität erkennen".
Darin verrät Ihnen der Sternekoch Kevin Fehling, welche Rolle das Ambiente beim Essen spielt ud was Astronomie mit dem Kochen zu tun hat.
Wie können wir uns den Ostseewinter auf einem Teller vorstellen?
Dazu gehört ein Stück Makrele, das von außen mit einem Bunsenbrenner geflämmt wird, aber innen roh und kalt ist. Dazu Krabben in einer Art Miesmuschelschale; die besteht aus einem Frühlingsrollenteig, der mit Sepia-Tinte bestrichen und zuvor in einer Blindform zwischen zwei Original-Miesmuschelschalen gebacken wurde.
Zudem gibt es eine Seeigelcreme und kleine Kammmuscheln, die in kochendem Wasser gegart werden, aber nur fünf Sekunden lang, also medium well. Sie sollen das Meeresaroma noch in sich tragen.
Und das Eisige, das Sie am Strand wahrgenommen hatten?
Das manifestierte sich in gefrorenem Dillstaub: eine Komposition aus Buttermilch, Milch und viel Dill, fein gemixt, eingefroren und mit einem vierschneidigen elektronischen Schwert von der Oberfläche abgeschabt, ähnlich wie bei einer Vollbremsung mit Schlittschuhen. Außerdem habe ich noch essbaren Sand zugefügt: aus selbst hergestellten Algenchips und Maltodextrin, einem Kohlenhydrat-Gemisch.
Erfahren Sie oft, ob Ihre Gäste nachempfinden können, was Sie sich da gedacht haben?
In diesem Fall sogar ganz direkt. Ich hatte vor einiger Zeit ein Paar am Tisch, das seit Jahren in Australien lebt, aber aus einem Ort nur 15 Kilometer entfernt von unserem Urlaubsort stammt. Beide haben mir versichert, das Gericht erinnere sie an ihre Kindheit, an ihren Ursprung an der dänischen Küste.
Der Ausgangspunkt für guten Geschmack ist also oft der Geruch.
Ja, aber das ist nicht sonderlich erstaunlich, wenn man weiß, dass Geschmack immer ein Zusammenspiel ist von dem, was im Mund und in der Nase geschieht. Aber ein Ausgangspunkt für ein Gericht kann bei mir auch etwas ganz anderes sein, etwa ein Gemälde.
Das müssen Sie bitte erklären.
Ich bin auf das Bild eines russischen Künstlers aufmerksam geworden, das er gemalt hat, nachdem er über Russland geflogen war, etwas Abstraktes mit einem grünen und einem gelben Streifen. Das sah für mich aus wie eine Gänseleberterrine, über der ein Streifen Algengelee liegt und die mit einer japanischen Yuzu-Zitrone verfeinert ist.
Und weil es um das Thema Russland ging, kam mir Rote Bete in den Sinn, mit unterschiedlichen Texturen, einer Creme, einem gegarten Rechteck und rohen ausgestochenen Scheiben, die über der Gänseleber positioniert werden, dazu ein Stück Auster. Das Bild des Künstlers möchte ich gern ausstellen, wenn wir dieses Gericht servieren, damit die Gäste dem Geschmack visuell nachspüren können.
Ist das Rezept denn schon fertig?
Noch nicht, denn ich denke zwar schon seit Langem darüber nach, wie man Gänseleber und Auster in einer Vorspeise vereinen könnte, doch ist mir noch nichts Abschließendes dazu eingefallen. Ich weiß, dass es passt, aber ich muss es noch perfektionieren.

Wie lange dauert es gewöhnlich von einer Idee bis zum Gericht?
Meist drei bis vier Monate, allerdings dann für ein gesamtes Menü von 14 Gängen.