Tom Dauer arbeitet ungern mit Diktiergerät, aber während des Wanderns immer wieder den schweren Rucksack abzusetzen, um Block und Stift herauszufingern, ist eben auch nicht das Wahre. Weshalb der Journalist seine ganz eigene Speicher-Methode entwickelt hat: „Wenn mir etwas auffällt, dann merke ich mir dazu ein Stichwort und über den Tag hinweg die Anzahl meiner Stichwörter. Abends im Zelt schreibe ich dann alles in mein Notizbuch, meist mit Stirnlampe auf dem Kopf.“ Tief und quasi von selbst eingeprägt hat sich seine liebste Erinnerung, eine Verbindung aus Befriedigung und Anspannung inmitten faszinierender Natur: Am Tjälktja-Pass, dem höchsten Punkt des berühmten Weitwanderwegs Kungsleden, konnte Dauer die bereits zurückgelegte Strecke überblicken und sich „stolz auf die Schulter klopfen“. Gleichzeitig aber sah er in der anderen Richtung auch den vor ihm liegenden, „noch geheimnisvollen“ Abschnitt, dem er neugierig entgegen fieberte.
Der „Königspfad“ Kungsleden im schwedischen Lappland ist für Weitwanderer das, was der Hawaii-Ironman für Triathleten bedeutet: Einmal im Leben muss man ihn bewältigt haben. Pro Jahr erwandern sich rund 25 000 Menschen diesen Traum; knapp 1900 davon wie Tom Dauer während des „Fjällräven Classic“, einer Art Volkswanderwoche, die von einer schwedischen Outdoor-Firma organisiert wird. Es geht um Gold-, Silber- oder Bronzemedaille auf einem 110 Kilometer langen Teilabschnitt zwischen Nikkaluokta und Abisko. Der Start im hohen Norden Schwedens geriet sehr trubelig, weshalb für Dauer nach der ersten Nacht im Zelt die Überraschung umso größer war: Die Menschenmenge war verschwunden, eingestellt hatte sich ein Gefühl von Freiheit, Einsamkeit. Ein positives „Ausgesetztsein“ in einem sanft gekuppten, von Gletschern geschliffenen, mit kobaltblauen Seen gesprenkelten Gebirge.
Ganz allein war Dauer dennoch nie: Fotograf Moritz Attenberger begleitete ihn. Der Mann fürs Bild hat stets nach den besten Motiven Ausschau gehalten – und damit die Laufzeit „deutlich“ verlängert. „Wären wir nicht befreundet, hätte ich die vielen Stopps als ziemlich nervig empfunden“, sagt Dauer. Unterwegs ertrugen die beiden GEO-Special-Reporter Nieselregen und ließen sich nach einem harten Wandertag auch trockenes Tütenfutter schmecken. Für den Genuss gehöre aber definitiv etwas Schokolade ins Gepäck, empfiehlt Dauer, auch ein Regenschirm sei ratsam. Gelaufen ist Dauer trotz der Fotografiererei ziemlich schnell, 34 Kilometer am ersten, 31 am zweiten und 45 Kilometer am dritten Tag, das ergab am Ziel in Abisko die ersehnte Goldmedaille.
Seine Bewunderung aber gilt ausgerechnet einem Wanderer, der sieben Tage für die Strecke benötigt hat. Nicht der schnellste, sondern der langsamste wollte jener sein – und schaffte es dabei, den Kungsleden bestmöglich auszukosten. Dauer glaubt zwar, landschaftlich nichts verpasst zu haben, aber manche „Glücksmomente“ hätten sich noch steigern lassen. „Außerdem war der Langsame am Ende körperlich bestimmt nicht so kaputt wie ich“, sagt er. Für das nächste Mal hat sich Tom Dauer deshalb eine Bronzemedaille vorgenommen. Seine goldene hat er dem zweijährigen Sohn geschenkt: „Die liegt jetzt irgendwo im Kinderzimmer.“