Zürich
Auftakt beim Titelverteidiger, schließlich gilt Zürich seit Jahren weltweit als eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität. Und schon in den ersten Minuten ist klar, dass dies keine unangenehme Partie werden wird. Das Spieltempo ist vorbildlich: Niemand trödelt, keiner hetzt, und es scheint, als würden die Einwohner nicht nur über eine abstrus hohe Anzahl von Uhrengeschäften verfügen, sondern auch über die entsprechende Zeit. Selbst die Straßenbahnen überfahren Fußgänger hier vermutlich eher gemächlich und ohne Warngeklingel.
Lebensqualität für alle
Entspannt spaziere ich an den sandsteinfarbenen Fassaden entlang. Großartig erhaltene Gebäude sind es, gelitten haben über Jahrzehnte hinweg wohl nur die Mieter. Denn unter den 230 teuersten Einkaufsmeilen weltweit liegt die exklusive Bahnhofstrasse inzwischen auf dem 15. Platz. 540 CHF Miete müsste ich hier im Monat zahlen – für einen Quadratmeter Ladenfläche. Vielleicht könnte ich mir den noch leisten, nur hätte ich dann kein Geld mehr für irgendwelche Waren.
Weiter zum Paradeplatz, früher Viehmarkt, heute bedeutender Sitz der Banken. Besonders auffällig, dass sich die Passanten fast ausnahmslos an einen vermutlich vom Ordnungsamt erlassenen Dresscode halten, der dunkelblaue Kostüme und Anzüge vorschreibt. Dasselbe Amt scheint sich auch um die übrigen, geradezu verstörend sauberen Straßen zu sorgen: kein Abfall zu sehen, keine Kothaufen.
Das soll nicht heißen, dass Zürich tierfrei oder gar tierfeindlich ist. Da man um Lebensqualität für alle gemeldeten Einwohner bemüht ist, gibt es für die 6300 registrierten Hunde „Hundeversäuberungsplätze“, wo Geschäfte ganz diskret auf Zürcher Art erledigt werden können. Obendrein kenne ich keine andere Stadt, die einen Ansprechpartner für Beobachtungen von Glühwürmchen beschäftigt. Leider kann Herr Hose, Tel. 044/412 46 22, von mir an diesem Tag nicht profitieren.
Halbzeitpause am See
Halbzeitpause auf einer Rasenfläche am See, wo ich in meinem eigenen 16-Meter-Raum zwischen Blumenrabatten und Ufer zu Boden gehe. Kurz frage ich mich, ob das Mustergültige dieser Stadt nicht auch anstrengend sein kann? Und fahre deshalb dorthin, wo man früher mit Sicherheit im Abseits stand: ins ehemalige Industriequartier Zürich-West. Klassische Arbeiterkultur ist allerdings auch hier längst Ateliers und vor allem Clubs gewichen, die angeblich mehr Fläche für Tanz- und Flirtwütige bereithalten als Paris und London zusammen.
Zum Schluss noch in die Gegend um die Langstrasse. Aber selbst im Milieu geht es heute kultiviert und formal korrekt zu. So sieht der Wirt einer Eckkneipe mit seiner Schürze aus, als würde er in einem Fondue-Stübchen und nicht im Rotlichtviertel arbeiten, und wenige Meter weiter hängt ein Schild: „Wegen Knie-Renovation der Köchin sind von 14 bis 24 Uhr keine Speisen erhältlich.“
Fazit
Champion mit gewohnt solider Leistung. Niederlage unwahrscheinlich.
Basel
Ein weniger leichtes Spiel werde ich mit Basel haben. Schließlich heißt es von den Einwohnern der Kunst- und Fußballhochburg, dass sie einen eher defensiven Stil pflegen. Also mache ich den Freundlichkeitstest, frage mehrere Passanten nach dem Stadt-Casino, stoße dabei aber auf fast stürmische Auskunftsfreudigkeit. Weil ich mein Vorurteil zumindest mit einer halbwegs schnöseligen Antwort bestätigt wissen möchte, frage ich beharrlich weiter, bis mir ein Passant entgegenkommt, der mir zuvor schon den Weg gewiesen hat und mit einem verstörten Blick an meiner Auffassungsgabe zu zweifeln scheint. Erfolglos breche ich den Versuch ab.
Geballte Reserviertheit finde ich in der wichtigsten Messestadt des Landes lediglich auf der „Baselworld“, wo mannequinähnliche Hostessen an Rolex- oder Patek-Philippe-Ständen die Besucher mit einem Blick taxieren, der sich auch zum Schockfrosten von Gemüse eignen würde. Ein Heer aus Sicherheitsbeamten bewacht diese Welt, in der so leise und diskret gesprochen wird, als handele es sich um eine Fachtagung für Waffenhändler und nicht um die weltgrößte Messe für Uhren und Schmuck.
Überpünktliche Straßenbahnen
Pause mit Weitblick im 31. Stock des Messeturms, dem mit 105 Meter höchsten bewohnten Gebäude der Schweiz. Gut lässt sich von hier aus sehen, vielmehr nicht sehen, was dieser Stadt zu mehr Lebensqualität fehlt: Denn Berge sind weit und breit nicht in Sicht, und statt blau leuchtender Seen ist da nur der Rhein, der an diesem Tag wie ein breiter Erdstreifen an den Gebäuden jener Chemie- und Pharma-Riesen vorbeizieht, die Basel wirtschaftlich stark gemacht haben. Aber etwas, erklärt mir ein Basler am Ausgang, spreche doch eindeutig für seine Stadt: die von der Burgundischen Pforte einströmende mediterrane Luft. Der verdanke Basel sein besonders mildes und sonniges Klima. Dann spannen wir beide unsere Schirme auf und gehen hinaus in den Regen.
Ich nehme eine der überpünktlichen Straßenbahnen, die bereits eintreffen, wenn sie laut Anzeige noch zwei Minuten entfernt sein müssten. Dazu passt, dass das Zentrum mit rotem Rathaus und Münster den Charakter einer Modellbau-Platte besitzt.
Noch 35 Minuten. Was tun, was Basel voranbringen könnte? In eines der rund 40 Museen gehen? Oder in alle? Das würde nicht ein-mal ein frisch eingewechselter Kunstbesessener schaffen. Oder Architektur ansehen, für die Basel berühmt ist? Das SBB-Zentralstellwerk von Herzog & de Meuron? Oder das ebenfalls vom bekanntesten Schweizer Architekten-Duo entworfene Fußballstadion?
Ende verbaselt, alles verbaselt
Ich entscheide mich dafür, lieber den Ort anzusehen, an dem diese Bauwerke ihren Ursprung fanden – Herzog & de Meurons Büro. Dieses liegt direkt am Rhein hinter einer eher unspektakulären Glasfront, an die ein junger Mann gerade einen dekorativen Scherenschnitt hängt. Vielleicht ist es aber auch der Entwurf für ein neues UNO-Gebäude. Weiter komme ich allerdings nicht. Klassisches Stürmerschicksal – das Tor ist wie vernagelt.
Also spaziere ich noch am Fluss entlang und verpasse am Ende meinen Zug. Das war vorherzusehen. Schon bei der Ankunft war mir aufgefallen, dass ich meine Uhr verlegt hatte. Oder, wie man in dieser Stadt vermutlich sagt, verbaselt.
Fazit
Team mit Potenzial. Für Spitzenplatz bessere Chancenauswertung nötig.
Genf
Für Reisende unter Zeitdruck ist das französisch geprägte Genf ein Albtraum. Der Bus- und Bahnplan sieht aus wie eine Taktikskizze auf einem Trainerseminar, und so fahre ich eine Ewigkeit mit dem Finger wirre, farbige Linien nach. Kaum habe ich in einer Straßenbahn Platz genommen, stellen sich die Maßstäbe des Plans als völlig willkürlich heraus – denn Stationen, die eine halbe Tagesreise entfernt schienen, erreiche ich schon nach fünf Minuten.
Nun könnte man dahinter die Eitelkeit der zweitgrößten Schweizer Stadt vermuten, die sich gerne als Metropole sähe, obwohl sie weit weniger Einwohner als Zürich hat. Beim Gang durch das Zentrum wird aber schnell deutlich, dass es unangemessen wäre, Genf der Hochstapelei zu verdächtigen: Charmant, aber unspektakulär präsentieren sich die Bauten in den Einkaufsstraßen am See, und würde nicht hin und wieder ein Porsche oder ein Lamborghini wie auf der Flucht vor der Steuerfahndung über die Straßen hinauf zur Altstadt rasen, man wollte zunächst nicht glauben, dass dies die teuerste Stadt im teuren Lande ist. Dabei scheint der offensichtlichste Reichtum zweifelsfrei der an Panoramen zu sein, der Blick auf den Genfersee und auf die Berge.
Mehr Millionäre als Arbeitslose
Der Reichtum der Einwohner dagegen ist nur zu erahnen – in Vierteln mit versteckt liegenden Villen oder den Filialen exklusiver Designer, die sich nicht um Kundschaft sorgen müssen. Schließlich soll Genf die Stadt sein, in der es mehr Millionäre als Arbeitslose gibt und mehr Privatflugzeuge als in London Heathrow. Es sei ein Ort, hat bereits Voltaire gesagt, der nichts anderes zu tun habe, als Geld zu verdienen. Aber unauffällig. Heute mit Rohöl, edlen Uhren und Finanzdienstleistungen. So groß ist auch durch die Mitarbeiter der internationalen Organisationen das Interesse an der Stadt geworden, dass in den kommenden zehn Jahren 50 000 neue Wohnungen entstehen sollen.
Kleinwagen für Croissant
Für den Kurzurlauber wird Genf seinem exklusiven Ruf vor allem in den Restaurants und insbesondere in dem unscheinbaren Café gerecht, in das ich mich nach der Führung durch das Museum des Internationalen Roten Kreuzes setze (auf einen Besuch des gegenüberliegenden Sitzes der Vereinten Nationen verzichte ich, nachdem sich die Großdemonstration am Eingang als Warteschlange entpuppt). Zunächst gebe ich meinem brüchigen Französisch die Schuld, dass ich den Betrag für Croissant plus Kaffee nicht verstehen kann. Als mir der Kellner schließlich den Bon vorlegt, zahle ich den Preis eines Kleinwagens und lasse in einem Anflug von Genfer Weltläufigkeit den Gegenwert eines Reserverades als Trinkgeld zurück.
Fazit
Millionenteam mit eleganten Kombinationen. Zum Sieg fehlt Drang nach vorn.
Bern
Schon von Beginn an ist klar: Diese letzte und alles entscheidende Begegnung könnte in die Verlängerung gehen. Denn Bern, sagte mir ein Kollege, sei das Berlin der Schweiz – und in Deutschlands Hauptstadt brauche ich schon 90 Minuten, um im Bahnhof den Ausgang zu finden. Das schaffe ich im eher übersichtlichen Bern dagegen in knapp 60 Sekunden. Kurz darauf stehe ich schon zwischen den Renaissance-Bauten der UNESCO-geschützten Altstadt, über die Berlin meines Wissens ebenso wenig verfügt wie über ein ungefähr sechs Kilometer langes Netz aus Arkaden. Unter diesem kann der Berner auch bei schlimmstem Sturm so entspannt schlendern wie an einem lauen Frühlingstag.
Und genau in dieser grundsätzlichen Bummelfreudigkeit besteht das größte Problem eines eiligen Reisenden und der Hauptunterschied zwischen Bernern und Berlinern. Denn im Vergleich zum Hauptstadtdeutschen, der sich – wie die Universität Hertfordshire gemessen hat – mit geradezu laufstarken 5,89 Stundenkilometern fortbewegt, steuert der Bundesstadtschweizer sein Ziel (sofern er dieses besitzt) mit nur 3,79 Stundenkilometern an – weltweit können ihm bei diesem Tempo allenfalls die Bürger aus Bahrain und Malawi im Weg stehen.
Muße mus sein
Umgerechnet bewegt sich ein Berner mit 1,05 Metern pro Sekunde durchs Leben, was noch unter der verbindlichen Norm liegt, die der Schweizer Verband der Straßen- und Verkehrsfachleute beim Einrichten von Fußgängerampeln voraussetzt. Glücklicherweise ist die Altstadt fast autofrei. Einerseits überrascht diese Langsamkeit natürlich, zumal Bern zwar nur 128 561 Einwohner, aber 146 500 Arbeitsplätze besitzt und so zumindest die Menschen mit Doppelbelastungen ein anderes Tempo vorlegen müssten.
Andererseits hat der Berner guten Grund, sich Zeit zu lassen. Denn es bedarf Muße für die historische Kulisse seiner Stadt, die als eines der großartigsten Beispiele mittelalterlichen Städtebaus gilt und bis in die Neuzeit Genies inspirierte. In der Kramgasse 49 beispielsweise entwickelte Albert Einstein die Relativitätstheorie. An selber Adresse habe ich dagegen den begrenzt genialen Einfall, im Restaurant schräg gegenüber ein vermutlich ebenfalls unter UNESCO-Schutz stehendes Schnitzel zu essen. Das kostet mich ein Vermögen und 30 Minuten obendrein.
Persönliches Wunder von Bern
Ich muss mich daher beeilen, und natürlich kann man selbst in der Bundesstadt ein wenig das Tempo anziehen. Mit einem Fahrrad zum Beispiel, das sogar Politiker gerne für den Weg zur Haushaltsdebatte nutzen, oder mit den vorwiegend erdgasbetriebenen Bussen. Mit diesen fahre ich unermüdlich die Straßen rauf und runter und vollbringe so mein persönliches Wunder von Bern: In regulärer Spielzeit besuche ich das Bundeshaus (im Vergleich zum Berliner Reichstag mit grün oxidiertem Dach statt Glaskuppel) und die Wappentiere im berühmten Bärengraben (Braun- statt Eisbären).
Schub für die Lebensqualität
In einer zum Kulturzentrum umgewandelten Schule höre ich sogar noch Teile eines Vortrags von Rodolphe Luscher – dem Architekten, der vor wenigen Jahren der Berner Lebensqualität mit dem teuersten Gebäude der Schweiz einen kräftigen Schub verpasste. Rund 350 Millionen Franken hat das „Stade de Suisse“ gekostet, das nicht nur ein Fußballstadion sein soll. „Es ist eher eine Mehrzweckhalle mit schönem Innenhof“, kokettiert Luscher in leichtem Singsang und blickt auf die an eine Wand projizierte Rasenfläche, auf der auch problemlos Megastars wie Robbie Williams spielen können. So begeistert waren die Berner von diesem Großprojekt, dass sie schon vorab aus über 4000 handbemalten Zementsteinen die größte Grundsteinmauer der Welt bauten. Dem deutschen Hauptstädter, der bekanntlich eher ein gespaltenes Verhältnis zu Mauern hat und diese lieber abreißt, wäre das vermutlich nie in den Sinn gekommen. Wieder zu Hause, werde ich meinen Kollegen fragen, ob er überhaupt schon mal in Berlin gewesen ist. Oder in Bern.
Fazit
Überraschend starke Leistung des Underdog! Chance zum Kantersieg!
Endergebnis
Welche der folgenden Städte bietet die größte Lebensqualität? Diese Frage hat GEO Special 1100 Schweizerinnen und Schweizern gestellt – mit verblüffendem Ergebnis: 32 Prozent der Befragten verhalfen Bern zum furiosen Sieg. Der Bundessitz bekommt damit einen Sympathiepunkt mehr als das in solcherlei Umfragen stets erfolgsverwöhnte Zürich, Basel kam auf 13 Prozent, Genf auf 10 Prozent. Allerdings stehen die Chancen der größten Stadt im Lande für ein mögliches Rückspiel gut: Bei den jungen Schweizern behauptete sie ihre Spitzenposition – und zwar deutlich: 41 Prozent der 15- bis 29-Jährigen erwiesen sich als Zürich-Fans. Nur 28 Prozent waren für Bern. Die Partie bleibt also spannend.