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Interview: Recherche auf dem Schwarzmarkt

Die drei größten Erfolge der kubanischen Revolution sind Bildung, Gesundheit und Sport. Die Misserfolge: Frühstück, Mittag- und Abendessen, sagt Autor Maik Brandenburg

GEO Special: Sie haben tagelang auf dem Schwarzmarkt recherchiert. Offiziell gibt es die Schattenwirtschaft auf Kuba nicht. Wie funktioniert etwas, das gar nicht existiert?

Maik Brandenburg: Oh, bestens. Fast jeder Kubaner ist involviert, der Schwarzmarkt ist überlebenswichtig geworden. Wenn man sich morgens zum Beispiel überlegt, dass man abends Fisch essen möchte, aber wenn auf dem Rationierungsbüchlein „libreta“ mal wieder nur Reis, Zucker und Bohnen zu haben sind, dann muss man sich zu helfen wissen. Man überlegt, ob man nicht jemanden kennt, der Fisch besorgen kann. Meist sind das Verwandte oder Nachbarn, die in einer Fischfabrik arbeiten und heimlich Ware abzweigen können. Vielleicht sogar Blauen Marlin, einen ganz besonderen Fisch.

GEO Special: Und dann?

Maik Brandenburg: Bezahlt wird in der Ersatzwährung Pesos Convertibles, abgekürzt CUC. Die eigentliche Währung, den Peso Cubano, nennen die Einheimischen verächtlich „Schlafanzug“ – er sei schlicht kaum noch etwas wert und existiere nur, um nicht völlig nackt dazustehen.

Den Kubanern, die ihm Einblick in ihre schwarzen Geschäfte erlaubten, hat GEO-Special-Autor Maik Brandenburg Anonymität zugesichert. Deshalb ist er auf dem Foto mit seinem Dolmetscher zu sehen.
Den Kubanern, die ihm Einblick in ihre schwarzen Geschäfte erlaubten, hat GEO-Special-Autor Maik Brandenburg Anonymität zugesichert. Deshalb ist er auf dem Foto mit seinem Dolmetscher zu sehen.
© Maik Brandenburg

GEO Special: Aber nicht jeder ist flüssig in CUC, oder?

Maik Brandenburg: Nein, natürlich nicht, deshalb wird oft getauscht. Zylinderkopfdichtung gegen Fisch. Kacheln gegen Würste oder Benzin gegen Zement. Man muss extrem einfallsreich sein, was die Tauschware angeht: gebackene Pizza, stundenweise Müllsammeln. Oder Alkohol. Die Fahrradrahmen sind meist innen hohl. In ihnen lässt sich spielend leicht Rum aus der eigenen Fabrik transportieren, den man sich „organisiert“ hat. So führt der Schwarzmarkt die kubanische Wirtschaft seit Jahren in einen Teufelskreis: Je weniger in den staatlichen Läden ankommt, umso besser laufen die Geschäfte. Umso mehr wird wiederum aus den staatlichen Läden und Fabriken gestohlen – was zu weiteren Engpässen führt. Analysten schätzen, dass gegenwärtig schon 50 Prozent der Konsumgüter auf dem Schwarzmarkt umgesetzt werden.

GEO Special: Und dagegen geht der Staat nicht vor?

Maik Brandenburg: Mein Eindruck ist - nur, wenn eine illegale Nummer zu auffällig wird. Aber die Strafen für diejenigen, die tatsächlich auffliegen, können drastisch sein; sie reichen von hohen Bußgeldern bis hin zu mehrjährigen Gefängnisaufenthalten. Deshalb findet der Handel nach wie vor im Halbdunkeln statt, etwa am frühen Morgen etwa – während des Schichtwechsels der Polizeistreifen.

GEO Special: Sie haben es geschafft, dabei zu sein. Wie?

Maik Brandenburg: Schon vor meiner Reise hatte ich ständigen Kontakt zu einem Kubaner. Seinen Namen kann ich leider nicht nennen, aber diese Person hat mir dann so sehr vertraut, dass sie mich anderen vorgestellt, mich in die Szene eingeführt hat. Ein großes Privileg. Überrascht war ich, wie offen die Menschen auf mich reagierten. Den Schwarzmarkt unterhalten ganz normale Kubaner; Rentner, Beamte und Hausfrauen. Für viele ist er eine moralische Belastung: Sie haben an das System geglaubt und müssen plötzlich Regeln brechen – weil es nicht anders geht.

GEO Special: Und wie ging es Ihnen beim ersten Einkauf nach der Reise?

Maik Brandenburg: Ich war überwältigt vom Angebot im örtlichen Supermarkt. Zwei Wochen wie ein Kubaner zu leben, war ein einschneidendes Erlebnis. Aber ich wusste ja auch: Ich komme jederzeit raus. Die Nerven, mich in meinem normalen Leben den ganzen Tag damit zu beschäftigen, wie ich an Essen komme, hätte ich nicht. Die Kubaner sind großartig, selbst in schwierigen Zeiten sind sie von überwältigender Lebenslust.

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