
Die Rundtour durch den Südosten Mallorcas, die in Cala d’Or beginnt, stellt selbst ambitionierte Radler zufrieden: eine hübsch geschwungene Straße durchs Flachland, ein knackiger Anstieg und immerzu wundervolle Ausblicke. Wer weniger ehrgeizig ist, fährt einfach am Berg vorbei und genießt eine leichte Tour durch hügelige Landschaft, vorbei an Getreidefeldern und nie so steil, dass man den kleinsten Gang einlegen müsste.
1: Cala d’Or
Cala d’Or ist nicht gerade ein Basislager für Outdoorfanatiker. Aber immerhin gibt es in dem Badeort einige Läden, die Rennräder verleihen. Ich hole meines am Morgen im Ortszentrum ab und fahre gen Norden, vorbei an noch geschlossenen Läden. Hinter dem Kreisverkehr radle ich auf dem Seitenstreifen der Landstraße. Es ist Sonntag, der Verkehr ist entspannt.
Richtig schön wird die Strecke ab dem Dorf Calonge: Über eine kurvige Straße rolle ich vorbei an Hügeln, auf denen vereinzelte Fincas stehen - im Frühjahr blühen hier überall die Mandelbäume. Rechts ragt der Puig de Sant Salvador 509 Meter hoch in den Himmel. Auf seinem Gipfel wacht das gleichnamige Kloster wie eine Burg. Doch dazu kommen wir später.
2: Felanitx
Nach einer Stunde stoppe ich in Felanitx, wo früher die Bauern der Umgebung ihr Getreide mahlen ließen. Sonntag ist Markttag. Auf dem Hauptplatz springen Kinder in einer Hüpfburg auf und ab, Touristen befühlen Handtaschen und T-Shirts. Die Senioren des Städtchens sitzen in den Cafés im Schatten und diskutieren. Ich nehme die Straße zur Kirche Sant Miquel, deren schlichte Fassade von einem Barockgiebel gekrönt wird.
Keine gute Idee: Ich muss mich mit dem Rad durch ein Spalier von Ramschständen schlängeln. Es wird gedrängelt und geschimpft. Ich stelle das Rad ab und flüchte über die Freitreppe in die Kirche. Dort ist es ruhig und kühl: durchatmen vor der Herausforderung.

3: Puig de Sant Salvador
Der Anstieg zum Puig de Sant Salvador liegt vor mir. Bergetappe. Wie hart die ist, macht kurz nach dem Abzweig Richtung Sant Salvador ein Schild unmissverständlich klar: 4,8 Kilometer, durchschnittlich 6,4 Prozent Steigung. Ich rechne: Ich muss mehr als 300 Höhenmeter überwinden - kaum weniger als die Höhe des Berliner Fernsehturms.
Für Radtouristen, die in Felanitx, Porto Cristo oder Manacor wohnen, ist die Strecke die einzige Möglichkeit, um in der Nähe am Berg zu trainieren. Im Frühjahr, wenn Zehntausende Radler auf der Insel sind, strampeln jeden Tag Hunderte die Serpentinen hoch. Die Profis kommen schon früher, im Januar und Februar. Sie jagen oft mehrmals nacheinander hinauf, um fit zu werden für die Rennsaison. Ich habe selbst ein Rennrad zu Hause. Allerdings hängt es meist an der Wand. Ich bin mir sicher: Wenn ich es auch nur ein einziges Mal auf den Puig schaffen würde - ich würde mich fühlen wie einst Jan Ullrich bei der Ankunft in L’Alpe d’Huez.
Der erste Kilometer ist der härteste. Gleichmäßig steigt die Straße an, nie überaus steil, aber auch ohne Pause, ohne Gnade. Die Oberschenkel brennen, ich keuche. Irgendwann gewöhne ich mich an den Schmerz. Die Kiefern duften, die Vögel zwitschern, und die Aussicht wird mit jeder Kurve besser. Zuerst sehe ich nur ausgedörrte Felder, gesprenkelt mit Oliven- und Mandelbäumen, später die rotbraunen Dächer der Dörfer, schließlich das Meer. Nur die Autos, die links an mir vorbeiziehen, stören.
Ich strample weiter. Die Durchhalteparolen kommen vom Asphalt: „Vamo, Berni!“ hat dort jemand mit Kreide hingekritzelt. „Go Miquel!“ Anfeuerungen für Radler, die hier in der Gruppe trainieren. Nicht aufgeben, denke ich, auch wenn zum Hintergrundschmerz allmählich Durst kommt. Ein Weißhaariger überholt, gruß- und scheinbar mühelos. Ich kämpfe mich weiter. Meter um Meter. Kurve um Kurve. Dann ist es vollbracht. Ich bin auf dem Gipfel, stolz, kein einziges Mal abgestiegen zu sein.

Der Erste bin ich allerdings nicht hier oben. Scharen von Ausflüglern fotografieren sich vor der gewaltigen steinernen Christusstatue, die von einem pompösen Sockel die Ebene überblickt. Ein Heiligtum, gegründet 1348 zur Verehrung der Passion Christi. Die Leidensgeschichten, die hier heute geschrieben werden, handeln aber nicht von Kreuzen, sondern von schmerzenden Muskeln und platten Reifen. Zumindest Letzteres bleibt mir erspart.
Ich mache eine Pause, genieße die Aussicht bis zur Insel Cabrera im Süden und den bleichen Gipfeln der Tramuntana im Nordwesten, dann schlendere ich zur Wallfahrtskirche mit ockerfarbenem Dach und einem barocken Hochaltar. Das wahre Heiligtum jedes Radtouristen hängt in der Eingangshalle des Klosters. Trotzdem gehen viele an den Bilderrahmen mit den weißen Leibchen achtlos vorbei. Auf manche sind Schwarz-Weiß- Fotos von Rennradlern gepinnt. Auf einem Bild winkt einer mit Blumenstrauß, daneben eine Unterschrift: "Guillermo Timoner".
Als Junge hatte er der Heiligen Jungfrau von Sant Salvador das Siegertrikot versprochen, sollte er je Weltmeister werden: An den hohen Wänden hängen sechs Leibchen des Radrennfahrers aus Felanitx, alle erkämpft zwischen 1955 und 1965. Am Brunnen vor dem Kloster zapfe ich eine Flasche Wasser, dann setze ich mich wieder aufs Rad, rolle den Berg hinunter und lege mich in die Kurven, am Horizont das Meer, beim Blick abwärts Dörfer und Felder. Den Weg kenne ich ja schon. Aber das Tempo! Bei all der Aussicht vergesse ich manchmal fast zu bremsen.
Unten angekommen, biege ich in Richtung Portocolom ab. Die Straße schlängelt sich jetzt wieder über flaches Land. Ausruhen kann ich mich trotzdem nicht: Fast die halbe Strecke liegt noch vor mir. Ein paar Kilometer fahre ich über eine frisch geteerte Extraspur, aber der Luxus währt nur kurz, bald radle ich wieder am Rand der Landstraße vorbei an flachen Büschen der Macchie. Autos schießen vorbei. Eilige biegen hier am Kreisverkehr wieder in Richtung Cala d’Or ab.

4: Portocolom
Viel schöner ist es aber, geradeaus nach Portocolom hineinzurollen. In der Bucht der hübschen Hafenstadt, deren farbenfrohe Häuschen direkt am Wasser aufgereiht sind, liegen auf der Kaimauer Fischernetze zum Trocknen. Ich folge der Uferstraße und fahre in eine zweite Bucht.
5: Cala Marçal
Die Bucht Cala Marçal mit ihrem schmalen Sandstrand ist zwar nicht gerade abgelegen und menschenleer, das Wasser dafür umso klarer. Hinter einem Hotelklotz biege ich rechts nach S’Horta ab. Der Schotterweg ist holpriger als die Landstraße, dafür aber ruhiger. Ich radle ungestört zwischen Steinmauern, die Kornfelder und Olivenhaine säumen. Nach einer halben Stunde erreiche ich wieder die Hauptstraße, die mich zurückbringt - zu den Pinien und dem türkisfarbenen Wasser von Cala d’Or.
Aus Ausgabe Nr. 05/2015: GEO SPECIAL Mallorca

Den ganzen Bericht über die verschiedenen Routen sowie eine ausführliche Karte finden Sie im Magazin GEO SPECIAL Mallorca.