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Welche Aussicht ist die schönste?
Der Blick vom gut 3000 Meter hohen Jabal Shams, Omans höchstem Berg, in die tiefe, staubtrockene Felsenschlucht des Wadi Ghul? Oder das Panorama des Nachbarmassivs mit seinen üppig wuchernden Oasengärten, in denen es nach Pfirsich duftete? Und welches Schwimmbecken war erfrischender?
Der elegante Designer-Pool der Luxusherberge, der direkt in einen Canyon zu schwappen schien? Oder das glasklare, natürliche Becken, umrandet von mannshohen Felsbrocken, in dem mir nach einer schweißtreibenden Wanderung ein Wasserfall auf den Kopf plätscherte? Schwer zu sagen.
Einfach hingegen: Dies waren nur zwei der unerwarteten Kontraste, die unsere Wanderungen durch Omans Bergwelt zu so wunderbaren Erlebnissen machten. Vier Tage lang erkundeten wir in einem 4x4-Geländewagen das Jabal-Akhdar-Massiv – den höchsten Teil der Hajar-Kette, die sich 450 Kilometer parallel zum Golf von Oman in Richtung Süden zieht.
Die Landschaft war meist schroff und wüst, doch um manche Dörfer herum blühte es plötzlich erstaunlich grün. Ausgedörrte Flussbetten verwandelten sich über Nacht in Fluten. Und auch das Leben der Einheimischen pendelte, in unseren westlichen Augen, zwischen topmodern und ziemlich archaisch. Eines allerdings war überall gleich: ihre Freundlichkeit. Omaner wie Gastarbeiter grüßten, sprachen uns von sich aus an, erzählten, waren offen. Und so fühlten wir uns, trotz unserer Fremdheit, überall willkommen.
Tag 1: Maskat - Misfat Al Abryeen
Eineinhalb Stunden fährt man von Omans Hauptstadt Maskat über eine Tipptopp-Autobahn in die Stadt Nizwa, wo hinter den neuen Universitätsgebäuden eine Straße ins Jabal-Akhdar-Massiv abzweigt. Oder vielmehr: in eines der Trockentäler, die den Felskoloss mit Furchen durchziehen wie Runzeln ein altes Gesicht. Ab da führt unser Weg durch gigantische Haufen aus Geröll, Erde und Sand. In der Ferne wachsen sie höher und höher, schimmern in allen Nuancen zwischen Pfeffer und Zimt.
Irgendwo da oben, auf 1000 Meter Höhe, muss das Misfah Old House liegen, unsere Unterkunft. Gefühlte 100 Serpentinen später verkündet ein Schild: Misfat Al Abryeen – endlich! Wir halten vor einem asphaltierten Schulhof mit blauer Eisenrutsche. Ein paar Dutzend Häuser gruppieren sich darum, allesamt neu, mit Balkonen und bunten Kacheln. Aha? So hatten wir uns ein omanisches Bergdorf nicht vorgestellt…
Da zeigt ein junger Mann in Kandura – dem traditionellen weißen Gewand der Omaner – weiter bergaufwärts. "Here new village, in five minutes old village." Er lächelt: "Other world!" Wohl wahr. "Liebe Besucher, bitte respektieren Sie die Ruhe der Bewohner sowie die lokalen Kleidungssitten und bedecken Sie Schultern und Knie", begrüßt uns ein Schild. Dahinter betreten wir ein Labyrinth aus engen Gassen mit ein- bis dreistöckigen Lehmhäusern.
Ihre niedrigen Decken stützen sich auf schiefe Holzbalken, in glaslosen Fenstern hängen Wasserkrüge aus Ton. Nur wenige Häuser scheinen noch bewohnt. Sieht aus wie die Kulisse für einen Historienfilm, denke ich, während wir über steile Treppchen steigen und immer wieder den Kopf einziehen müssen, um uns nicht an Torbögen zu stoßen. Das Old House wurde von seinem Besitzer Ahmed Al Abri so einfach wie charmant restauriert; von der Terrasse aus blickt man auf grüne Palmen.
Sein Neffe Sultan serviert ein Tässchen Kaffee und Datteln, wie es sich im Oman für gute Gastgeber gehört. Der 30-jährige Sultan ist in Misfat Al Abryeen groß geworden und lebt wie die meisten der etwa 700 Einwohner seit ein paar Jahren im neuen Teil, "mit Badezimmer und Klimaanlage". Eigentlich arbeite er als Englischlehrer in der Nachbarstadt Al Hamra. Doch er vermisse das Dorf seiner Kindheit so sehr, dass er gern zurückkehre, um Besuchern die "Sehenswürdigkeiten" zu zeigen.
Ob wir Lust hätten auf eine Tour? Na klar! Schon auf dem Weg zum Old House haben wir sie bemerkt, die berühmten Falajs: Kanäle und Rinnen, in denen frisches Wasser durchs Dorf sprudelt. Mit Sultan verfolgen wir ihren Lauf, balancieren auf den Betonmauern der Kanäle, bis wir am Dorfrand einen steilen Hang erreichen: Schmale, zum Teil nur handtuchgroße Terrassen steigen hier wie Stufen an.
Dattelpalmen, Bananen-, und Feigenbäume wachsen auf den Minifeldern, in ihrem Schatten reifen Tomaten, Gurken und Zwiebeln. "Vor mehr als 400 Jahren haben Menschen diese Terrassen in den Berg gegraben. Und die Kanäle haben sie von der Quelle aus genau so verlegt, dass alle genügend Wasser abbekommen", erklärt Sultan. "Es funktioniert bis heute."
Zurück in der Dorfmitte zeigt er uns die Sibla, das Haus, in dem die Dorfältesten früher die Belange der Gemeinschaft diskutierten."Nur wer sich durch gutes Verhalten Respekt verschafft hatte, durfte hier sitzen."Kurzer Blick auf mich. "Also natürlich nur die Männer." Sultan seufzt leise. "Heute ist das ja alles etwas anders." Seine Mutter habe ihre Tage noch damit verbracht, Futter für die Kühe zu ernten und Käse herzustellen.
"Die Frauen meiner Generation sind sich zu fein für die Landwirtschaft, sie wollen lieber auf die Universität." Noch ein Seufzer. "Und wir Männer haben auch andere Jobs." Stattdessen erledigen Gastarbeiter aus Indien und Bangladesch die Knochenarbeit. Wir sehen sie mit Bananenstauden und Grasbüscheln auf den Schultern durchs Dorf eilen, zwischendurch stopfen sie Steine und Stofflappen in die Kanäle, um den Wasserlauf zu ändern. Sultans Lob klingt wehmütig: "Sie beherrschen die Falaj-Technik mittlerweile besser als wir."
Was den jungen Mann offenbar schmerzt: Der Alltag der Omaner hat sich während seines kurzen Lebens radikal verändert. Bis 1970 hatte der alte Sultan Said das Land rigoros von der modernen Welt abgekapselt. Nur wenige Kilometer geteerte Straßen existierten damals. Dann stürzte ihn sein eigener Sohn: der bis heute herrschende Sultan Qabus. Er begann, das Land mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft von Grund auf zu erneuern.
Ab Ende der 1970er Jahre holte er eine große Zahl asiatischer Arbeiter ins Land, die unzählige Straßen und Gebäude bauten, eröffnete ab Mitte der 80er Schulen, Universitäten und Hospitäler. Und er förderte die Ausbildung von Frauen – so sehr, dass in Studienfächern wie Medizin mittlerweile Männerquoten vorgeschrieben sind. Im Herbst 2016 wird der Sultan 76. Und ist noch immer hoch angesehen beim Volk. In Hotelzimmern und auf Hauswänden, in Büros und Wohnungen, überall hängt sein Bild.
Warum er seit einer ultrakurzen, kinderlosen Ehe als Single lebt – kein Thema, zumindest kein öffentliches. Ebenfalls nur im Privaten reden die Untertanen darüber, dass auch ihr Herrscher sich in jüngster Zeit das Recht herausnimmt, kritische Journalisten verhaften zu lassen. 2011, während des Arabischen Frühlings, hatte Sultan Qabus noch angekündigt, die absolute Monarchie nach und nach in eine konstitutionelle umzuwandeln.
Die "Majlis Al Shura", die "beratende Versammlung" aus gewählten Regionalvertretern, verfügt sogar über beschränkte Legislativ- und Kontrollbefugnisse. In ihr sitzt allerdings nur eine Frau. Wie kommt das?, frage ich unseren Guide. "Shwai, shwai – langsam, langsam", antwortet er. "Wir Omaner sind eine konservative Gesellschaft. Nicht alles, was in Europa normal ist, muss hier normal sein."
Seine Tour endet kurz darauf an einem alten Eselspfad, der hinter der Dorfquelle zum Jabal Shams führt, zum "Berg der Sonne", mit 3009 Höhenmetern der höchste Gipfel des Oman. Da wollen wir am nächsten Tag hin. Doch Sultan warnt: "Der Weg ist extrem steil. Steigt lieber durchs Wadi Ghul hoch. Wobei…", er schaut in den Himmel, "ich glaube, da zieht ein Gewitter auf. Wenn es nach Monaten der Trockenheit stark regnet, wird das Wadi oben in den Bergen zum reißenden Fluss. Viel zu gefährlich, da zu wandern."
Keine halbe Stunde später beginnt es zu donnern und zu schütten, als wären wir in den Tropen und nicht in der arabischen Wüste.
Tag 2: Wadi Ghul - Jabal Shams (Balcony Trail)
Bis zum frühen Morgen regnet das Wasser in Massen vom Himmel – und ertränkt unsere Wanderpläne. Statt zu Fuß zum Gipfel zu stapfen, steigen wir in den Geländewagen. Aus reiner Neugierde folge ich bald einem Omaner, der von der Asphaltstraße zum Jabal Shams über eine steile Piste ins Wadi Ghul abbiegt. Frische Autospuren zeigen: Hier kann man trotz des nächtlichen Wolkenbruchs fahren. Der perfekte Übungsplatz für Off-road- Beginner.
Während der Jeep des Omaners mit spritzenden Wasserfontänen davonbraust, suche ich den Weg der geringsten Hindernisse. Wir schaukeln über Steine, kurven durch Pfützen, erst behutsam, dann mit ordentlich Schwung. Endlich lohnt sich das riesige Auto mal!
Nach etwa einem Kilometer wird das Wadi enger, die Steinbrocken größer, der Wasserlauf tiefer. Dazwischen liegen immer wieder große Sandbänke trocken. Und wo außerdem Bäume Schatten werfen, parken zu unserer Überraschung viele Autos. Einheimische Familien haben bunte Decken ausgebreitet, plaudern, picknicken, genießen das seltene Glück, im Fluss zu planschen.
Als das Wasser zu tief wird, kehren wir zurück zur Straße, die sich in engen Schleifen den Jabal Shams hochwindet. Der Motor röhrt. Bald schleichen wir über eine Holperpiste, blicken kilometerweit auf rötlich-grauen Fels, auf zerfurchte Täler und ferne Gipfel, die aussehen wie Haifischflossen.
Die Kurverei macht Spaß – jedenfalls solange ich nicht darüber nachdenke, dass der Berg neben der Straße Hunderte Meter tief ins Wadi stürzt. Oben angelangt - oder zumindest fast, denn der höchste Punkt des "Sonnenbergs" liegt in militärischem Sperrgebiet –, steigen wir aus. Geschafft! Ein frisches Windchen weht, Beduinenmädchen kommen herbei und bieten Armbänder aus Schafwolle an. Wir aber wollen erst mal nur gucken: hinein in das gut 1000 Meter tiefe, wild zerfurchte Wadi Ghul, den Grand Canyon des Oman. Grandioser Blick.
Und doch bescheiden im Vergleich zum Panorama, das uns der "Balcony Trail" eröffnet – ein Wanderweg, den Sultan uns empfohlen hatte. Parallel zum Gebirgskamm schlängelt er sich tief in die Schlucht hinein. Ihr Fels glüht in der Abendsonne wie von Rotlicht angestrahlt. Außer Ziegen mit Pudelfrisur und ein paar Geiern, die in der Thermik kreisen, sind wir völlig allein. Nach zwei Stunden erreichen wir den glasklaren Pool unterhalb des Wasserfalls. Sultan hat nicht übertrieben: ein wunderbarer Ort zum Übernachten.
Tag 3: Jabal Shams - Sayq-Plateau
"Ich zeige euch, warum der Berg Grüner Berg heißt!" Trekking-Guide Malik ist in einem Dorf des Jabal-Akhdar-Massivs als eines von zwölf Geschwistern geboren, hat Informatik studiert, doch in einem Büro hält ihn wenig. Viel lieber kurvt er mit dem hoteleigenen Landrover über das Sayq-Plateau und begleitet Gäste beim Wandern.
Am Aussichtspunkt Diana’s View – selbst Malik kennt den Ursprung des royalen Namens nicht – kommen wir der Sache näher. Vor uns öffnet sich eine dramatische Schlucht. Am Hang gegenüber kleben drei Dörfchen wie Schwalbennester: Al Aqur, Al Ayn und Al Shirayjah. Unter ihnen weite, grün bepflanzte Terrassen, die bis zur Talsohle reichen – und in unsere Richtung wieder bergauf ansteigen.
Es sind die berühmtesten und üppigsten Obstgärten des Oman. Über Steinstufen führt Malik uns abwärts, zeigt Feigen-, Mandel- und Quittenbäume. "Riecht ihr die Pfirsiche?", fragt er. "Sie sind fast reif." Sogar Trauben würden hier gedeihen. "Meine Brüder keltern daraus Wein; heimlich, versteht sich. Solange der Imam nichts erfährt…"
Wie in Misfat Al Abryeen ist die Fruchtbarkeit der kleinen Felder den Falaj-Kanälen zu verdanken. In Al Ayn – auf Deutsch: die Quelle –, das wir nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichen, sprudelt das Wasser direkt aus der Felswand und wird in die Gärten verteilt. An einem Rückhaltebecken stolpern wir fast über einen älteren Herrn, der an die Wand gelehnt ein Nickerchen machte. "Salam aleikum", grüßt er, streicht den weißen Bart zurecht, bietet uns mit seinem Becher einen Schluck Wasser an. "Try! Very fresh!"
Die Arbeit auf den Feldern und Plantagen erledigen auch hier meist Gastarbeiter aus Bangladesch, erklärt Malik. Pro Monat verdienen sie etwa 200 Euro, von denen der Großteil direkt an ihre Familien in der Heimat überwiesen wird. "Während der Haupterntezeit im Juli müssen aber alle mithelfen. Wenn ich bei 40 Grad stundenlang die Treppen im Garten meiner Eltern hoch- und runtersteige, beladen mit Körben voller Obst, bin ich so erledigt, dass nicht mal mehr das Abendessen meiner Frau schmeckt."
Seit wann er verheiratet sei, wollen wir auf der Rückfahrt zum Hotel wissen. "Seit sechs Monaten!", sagt Malik fröhlich. "Die vierte Frau, die meine Eltern für mich ausgesucht haben, hat mich endlich akzeptiert!" – "Deine Eltern haben deine Braut ausgewählt?", frage ich. "Natürlich! Als ich ihnen sagte, dass ich heiraten will, machten sie sich auf die Suche nach Kandidatinnen und kontaktierten deren Eltern." Die wiederum prüfen, ob Charakter und Moral des potenziellen Schwiegersohns einwandfrei sind. "Wenn ja, stellen sie ihn ihrer Tochter vor. Sie entscheidet dann, ob sie will oder nicht."
"Und warum haben dich drei Frauen abgelehnt?", hake ich vorsichtig nach. Malik zuckt die Schultern. "Ich glaube, es lag an meinem Job. Zu viel Kontakt mit fremden Frauen – das kommt nicht so gut an hier." Dann strahlt er übers ganze Gesicht: "Aber jetzt bin ich sehr, sehr glücklich."
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