Der Fotograf Harf Zimmermann ist zurückgekehrt in die Straße, die zehn Jahre Mittelpunkt seines Lebens war. Mit Pferdeschwanz und Outdoor-Kleidung, die sowohl einen Kontrapunkt zum modischen Mainstream der Straße setzt als auch den Expeditionscharakter seiner Aufgabe unterstreicht, betrachtet er die Umgebung. Jeden Winkel, jede Ecke, jedes Geschäft hat er hier 1986 für seine Diplomarbeit fotografiert und die Handabzüge für 2,50 Ostmark verkauft. "Wenn ich fünfe sagte, zuckten se schon!"
Inspiriert durch das Buch "East 110th" des Magnum- Fotografen Bruce Davidson, in dem jener das Leben in einem New Yorker Wohnblock dokumentierte, war auch Zimmermann mit einer alten Vorkriegs- Linhof 9x12 durch seine Straße gezogen, die er als so besonders empfand. Die Hufeland war ja nicht irgendeine Straße; mit ihren vielen kleinen privaten Geschäften und den schönen Altbauwohnungen war sie schon zu DDR-Zeiten eine Oase des Bürgerlichen.
"Das war nicht Proleten-, sondern Vorderhaus-Prenzlauer Berg", sagt Zimmermann. Er wollte mit seinen Bildern die Schönheit des Quartiers bewahren, weil er annahm, dass sie sich bald verflüchtigen würde. 23 Jahre später sucht er nun nach den Menschen, die er damals fotografiert hat, weil er sie jetzt in derselben Umgebung noch einmal vor die Kamera stellen möchte. Er klopft an Türen, klingelt, fragt. Sucht nach Spuren des Alten, aber findet fast nur Neues. Ungläubig betrachtet er jenen Ort, der ihm entglitten ist, in den Jahren, da er ihn nicht mehr betrat. Es ist ja nicht so, dass hier Gebäude zerstört worden wären, im Gegenteil, mit viel Geld wurde herausgeputzt und verschönt, und dennoch scheint es, als hätte eine große Welle alles weggespült, was einmal die Substanz der Straße war.
Zu Ostzeiten, sagt Zimmermann, habe er darunter gelitten, dass der Krieg an jeder Ecke noch sichtbar gewesen sei. Heute irritiere es ihn, dass er gar keine Geschichte mehr sehe. Natürlich sei er froh, dass die Häuser erhalten geblieben sind, doch komme ihm seine alte Straße heute vor, "als habe jemand die Neustart-Taste gedrückt".
Statt Gardinenspannerei und Laufmaschenladen jetzt Umstandskleidung und Kindermode. Spielzeugläden mit Laufrädern aus Holz, an denen "spiel gut"- Aufkleber pädagogischen Wert attestieren. Helle Cafés mit reichhaltigem Müslisortiment und die Kreativ-Kita "Bunter Elefant", die Wohlfühl- und Heilpflanzenkurse anbietet. Statt der alten Linden, die eingegangen sind nach der Umstellung auf Erdgas, jetzt schnell wachsende Platanen, vor deren Schatten sich einige Bewohner fürchten, weil sie den Wert ihrer hellen Vorderhauswohnungen mindern könnten. Das Durchschnittsalter der Anwohner liegt bei 36 Jahren, die Gegend ist fest in der Hand junger Familien. Ausgetauscht: Fassaden, Geschäfte, Anwohner. Geschichte, Heimat, Gedächtnis.