Schmugglerware mitten in der Nacht
Irgendwann nach Mitternacht stoppt die "Liemba" ihre Maschinen. Immerhin muss ich geschlafen haben, einen unruhigen Kojenschlaf, der nur von dem Gefühl besänftigt wurde, alles sei in Ordnung, solange wir nur einfach fuhren. Selbst in diesen Zeiten und mitten auf dem Tanganjikasee irgendwo zwischen Tansania und dem Kongo, Sambia und Burundi. Aber jetzt sind die Signale der Bordsirene zu hören. Motorschaden? Piraten? Mann über Bord? Kurz darauf herrscht Stille, und auch sie ist unheimlich. 500 Passagiere haben sich für die Fahrt an die Südspitze des Sees nach Mpulungu in Sambia eingeschifft, die meisten in der 3. Klasse im Unterdeck, neben dem Maschinenraum, wo die Luft knapp und klebrig ist und höllisch der Lärm.
Schmugglerware mitten in der Nacht
Beunruhigt tappe ich hinaus ins Freie und beuge mich über die Reling. Nichts zu sehen. Ich suche den Kapitän, finde ihn auf der Brücke. Seif Mlambalazi starrt hinab aufs Ladedeck drei Meter unter uns. Im Licht der Bordscheinwerfer sind gewaltige Säcke zu sehen, die aus der Luke zwischen dem Ladedeck und dem überfüllten Laderaum im Schiffsbauch quellen. Ein jeder 100 Kilogramm schwer, aufgebläht von zigtausend Sardinen aus dem Tanganjikasee, deren scharfer Geruch in den Kommandostand hochsteigt. Davor Männer in T-Shirts, Frauen in bunten Wachstüchern: Händler, die ihren Anteil an der Fracht Tag und Nacht nicht aus den Augen lassen. "Was ist los?", frage ich. "Wir warten", sagt Mlambalazi. "Worauf?" - "Auf Fracht." Um zwei Uhr morgens? Mitten auf dem Tanganjikasee? Also Schmuggelware? Als könnte er meine Gedanken erraten, fügt der Skipper hinzu: "Am Ufer liegt ein Fischerdorf. Bestimmt werden alle kommen und Fracht bringen." Kurz darauf schießt eine Barkasse in den Lichtkreis, den die Bordscheinwerfer aus dem See herausschneiden. An Bord weitere 100-Kilo-Säcke Trockenfisch.
Vor 15 Jahren, erzählt Mlambalazi, sei der Tanganjikasee noch das Zentrum einer ruhigen Welt gewesen. Damals habe die "Liemba" ihre wöchentliche Sambia-Fahrt in Bujumbura gestartet, der Hauptstadt Burundis. Und auch die Häfen am kongolesischen Ufer, vor allem Kalemie, hätten auf ihrer Strecke gelegen. Doch dann brach das Unglück über die Großen Seen herein. Dem Morden unter Hutu und Tutsi in Ruanda und Burundi folgten die Kriege im Kongo und weitere Gräuel, wie etwa der Krieg gegen die Kinder in Uganda. So ist die Region zu einem der größten Katastrophengebiete der Welt geworden.
Am Tanganjikasee lebt die Wirtschaft von der "Liemba"
Am Tanganjikasee lebt die Wirtschaft vom Transport. Das heißt: in erster Linie von der "Liemba". 16-mal hält das Schiff zwischen Kigoma und Mpulungu. Vor 16 Dörfern, die Inseln zwischen Wasser und Wildnis gleichen. In einer Gegend, in der es auf Hunderten von Kilometern nicht eine Piste gibt. Nur Berge und Busch. Und selten, meist im Schutz einer kleinen Bucht, ein paar Hütten aus Lehm und Stroh. Ein Ruderboot taucht in den Lichtkreis um unser Schiff: fünf Männer, begleitet von drei an den Füßen zusammengebundenen Hühnern. Als die Ruderer andocken, ziehen Hände die Dorfbewohner und ihr Federvieh an Bord. Eine Szene wie aus einem Buch von Joseph Conrad. Wie eine Erinnerung an jene Tage, als dieser Teil Afrikas für Europäer nichts anderes war als das "Herz der Finsternis". Als die "Liemba" noch den Namen "Graf Goetzen" trug und zum ersten Mal über den Tanganjikasee fuhr. So geschehen nach dem Willen Kaiser Wilhelms II. im fernen Berlin.
Ekelgefühle und Kopfschmerzen
Damals, in der heißen Phase des Kolonialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, markiert der lang gestreckte See die Grenze zwischen Belgisch-Kongo und Deutsch-Ostafrika. Das Kaiserreich steht sich mit Belgien nicht gut: Berlins Kolonialpläne für "Mittelafrika" kollidieren mit denen Brüssels. Konkurrenten sind auch die Briten, mit denen die Deutschen um die Kolonialherrschaft im Gebiet der Großen Seen rivalisieren. Nach der Wende zum 20. Jahrhundert wird die Lage in Europa immer angespannter. So fasst Kaiser Wilhelm II. 1913 einen Beschluss: Er will auf dem Tanganjikasee ein Dampfschiff stationieren, einen Beweis für deutsche Kraft und Überlegenheit. "Graf Goetzen" soll das Schiff heißen, benannt nach dem ehemaligen Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. Die "Goetzen" wird zu einem Wunderwerk der zeitgenössischen Technik. Ein Baukastenschiff! Zerlegbar in Tausende Einzelteile, zusammengehalten von 160.000 Nieten. 67 Meter lang, zehn Meter breit, 800 Tonnen schwer, erbaut in nur zehn Monaten. Die "Goetzen" wird das größte Schiff sein auf allen afrikanischen Gewässern.
Ekelgefühle und Kopfschmerzen
Das erste Tageslicht. Schlimm war diese Nacht: gefüllt mit Ekelgefühlen und Kopfschmerzen. Wem der Sinn nach erholsamer Kreuzfahrt steht, sollte nicht auf diesem Schiff buchen. Denn der Bordkomfort lässt zu wünschen übrig. Die 1. Klasse etwa beansprucht dieses Prädikat einzig durch den Luxus eines winzigen Waschbeckens - auch wenn der Wasserhahn, wie in unserer Kabine, defekt ist, sodass der Strahl die ganze Nacht über in den Ausguss stürzt und unaufhörlich Wasser auf die schmalen Pritschen spritzt. Die Bettlaken, schmal und kurz, verrutschen beim ersten Hinlegen. Eine halbe Stunde später sind sie nur noch schlappe Knäuel, die die fehlenden Kopfkissen ersetzen, und die von Rücken und Gesäß eingedrückte Mulde in dem nackten Plastik füllt sich sofort mit Schweiß. In der vergangenen Nacht hat ein Heer von Küchenschaben gegen vier Uhr die 1. Klasse gestürmt.
Ein Millionär im Gewand eines Bettlers
Der erste Passagier, über den ich beim Verlassen meiner Kabine stolpere, ist ein Millionär im Gewand eines Bettlers. Lang ausgestreckt auf den Planken vor meiner Tür liegt Baba Doucouré, ein Edelsteinschmuggler aus dem Kongo. "Als Businessman vermeide ich unnötige Kosten." Etwa Ausgaben für eine Pritsche zum Schlafen. Oder Gewinneinbußen durch so absurde Abgaben wie Zollgebühren; deshalb ist er ja Schmuggler. "Mein Business ist ganz einfach", schreit mir Doucouré ins Ohr. Er fahre in den Kongo und kaufe Diamanten, Saphire und andere Edelsteine, deren Namen ich noch nie gehört habe, von Leuten, die den Wert der Steine nicht einzuschätzen vermögen. Anschließend schmuggele er die Ware über Sambia, den Tanganjikasee und die alte deutsche "Mittellandbahn" nach Dar Es Salaam in Tansania und von dort per Flugzeug außer Landes, nach Berlin oder Bangkok, um sie dort zu verkaufen. Seine immensen Profite investiert Doucouré in Immobilien. Er besitzt Wohnhäuser in Bamako in Mali, in Dakar im Senegal, in Abidjan an der Elfenbeinküste sowie 30 Parzellen Baugelände in Bouaké, der zweitgrößten Stadt dieses Landes. Nur in seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, nennt Doucouré nicht mehr als eine Hütte sein Eigen. Aber weshalb legt einer, der mit zwei Pässen reist, seine Geschäfte auf drei Kontinenten abwickelt und sich in vier verschiedenen Sprachen verständigen kann, sein Geld überhaupt noch in Afrika an? Doucouré schüttelt den Kopf: Seine wahre Welt bleibe Afrika - und ihr Mittelpunkt der Tanganjikasee.
Auch wenn die "Liemba" keine Häfen am Westufer mehr anläuft, so bleibt sie dennoch eine solide Verbindung zwischen Tansania und dem Kongo. Auf der früheren "Graf Goetzen" kreuzen Männer wie Kalonga Dibondo. Gestern, beim Einschiffen in Kigoma, hatten die an Bord wartenden Passagiere nur Augen für ihn. Wir waren spät dran. Um 16 Uhr sollte das Schiff ablegen. Zwei Stunden später lag die "Liemba" noch immer an der Pier. Vom Oberdeck sah ich dem endlosen Strom der Träger zu. Den Oberkörper fast rechtwinklig vom Becken abgeknickt und im Nacken einen 100-Kilo-Sack getrocknete Sardinen, so schleppten sie ihre stinkende Last von den Lastwagen auf der Mole über schmale Stege und wackelige Treppen auf das Vorderdeck, um sie mit einem letzten Schulterruck in den Bauch der "Liemba" zu werfen.
Fünf Dollar pro Massengrab
Nachdem die "Liemba" endlich abgelegt hatte, werden mir die Tücken des Transports bis nach Kananga im Zentrum der Demokratischen Republik Kongo. Da sind zunächst einmal die ungeheuren Mengen Sardinen, die ein Großhändler wie Kalonga Dibondo in den Fischerdörfern bei Kigoma einkauft: 150 US-Dollar beträgt der Preis für 100 Kilo. Der Transport auf der "Liemba" kostet 15 Dollar pro Sack. 16 Dollar pro Sack kassiert der Fahrer des sambischen Dreiachsers, der die Fracht auf dem Kai von Mpulungu übernimmt und sie nach Lubumbashi transportiert, der Grenzstadt zum Kongo. Für die letzten 1000 Kilometer schlechter Pisten, diesmal an Bord kongolesischer Lastwagen, hofft Kalonga Dibondo, nicht mehr als 30 Dollar pro Sack zahlen zu müssen. Schafft er es ohne Verzug bis nach Kananga, kann er seine tansanischen Sardinen dort für 400 Dollar pro Sack verkaufen. Das Wesentliche, begreife ich, liegt weniger in der Pünktlichkeit dieses Schiffes als darin, dass es überhaupt durchkommt. Männer wie Kalonga Dibondo, der die "Liemba" zum ersten Mal vor zehn Jahren mit zwei Säcken Sardinen erklomm, bestreiten einen ewigen Wettlauf gegen die Ausweglosigkeit.
Fünf Dollar pro Massengrab
Manche hat ihr früheres Leben nur ungenügend auf diese Anforderung vorbereitet. Léon Kalokola zum Beispiel hat Philosophie und Literatur studiert. In der langen Warteschlange vor den Plumpsklos des Mitteldecks erzählt Kalokola aus seiner Studienzeit. Als mitten im sechsten Semester der Krieg nach Bukavu kam setzte sich sein Vater mit einer anderen Frau in ein sicheres Gebiet ab und überließ Léon, dem ältesten seiner Söhne, die Fürsorge für Mutter und acht Geschwister. Also trat er ins Berufsleben ein. Als Totengräber, für fünf Dollar pro Massengrab. Andererseits fühlte auch er sich immer mehr wie eine Leiche. Irgendwann nahm er seine Ersparnisse, borgte sich ein paar Dollar hinzu und setzte alles auf die "Liemba". Seither geht Léon Kalokola auf die immer gleiche Reise. Einmal im Monat bricht er mit 300 Dollar aus Bukavu nach Süden auf, überquert zu Fuß die Buschgrenze zwischen Burundi und Tansania und kauft in Kigoma zwei Säcke Räucherfisch. Dann lässt er sich von der "Liemba" sechs Dörfer weiter südlich absetzen und kehrt in einem Schmugglerboot auf die kongolesische Seite am Westufer des Sees zurück. Geht alles gut, verdient er pro Reise 150 Dollar. Möglicherweise werde sich die Lage im Kongo beruhigen, meint Léon Kalokola: "Dann kann ich zu Ende studieren und Lehrer werden."
Das Schiff muss versenkt werden - von den eigenen Leuten
Im Mai 1915, drei Monate nach der Jungfernfahrt der "Graf Goetzen", erreicht der Krieg auch Kigoma. Der Tanganjikasee, die koloniale Grenze zu Belgien, ist nun Front. Es kommt zu ersten Gefechten mit den Belgiern. Die "Graf Goetzen" müsse ihre Überlegenheit jetzt auf militärischem Gebiet beweisen, befiehlt General Paul von Lettow-Vorbeck, der Kommandant der deutschen "Schutztruppe". Um das Schiff entsprechend auszustatten, bergen seine Männer die Geschütze des südlich von Dar Es Salaam versenkten Kreuzers "Königsberg". Nachdem die Geschütze montiert sind, übernimmt die "Goetzen" ihre neue Mission als Truppentransporter. Mit 1000 Soldaten an Bord bricht sie von Kigoma zur deutschen Festung Bismarckburg im Süden des Sees auf. Zehn Tage später versenkt sie einen kleinen englischen Dampfer. Am 10. Juni 1916 wird die "Graf Goetzen" das erste Mal getroffen, ein zweites Mal kurz darauf, bei Reparaturarbeiten im Hafen von Kigoma. Lettow-Vorbeck erkennt, dass seine Schutztruppe die deutschen Stellungen am Tanganjikasee nicht länger halten kann und befiehlt den Rückzug. Die "Graf Goetzen" dürfe den Belgiern jedoch unter keinen Umständen in die Hände fallen. Und deshalb bleibt nur eine Lösung: Das Schiff muss versenkt werden. Von den eigenen Leuten.
Das Überleben vieler hängt von der "Liemba" ab
"Wir kommen nach Kalya", erklärt der Kapitän. Am Ufer, zwei Kilometer von uns entfernt, ein Dorf. Kalya. Die Bordsirene ertönt erneut, und am Ufer bricht das übliche Chaos aus. Alle Motorboote starten gleichzeitig, wie bei einer Regatta. Sobald sie das Schiff erreichen, werfen die Bootsleute ihre Leinen hoch und fluchen, wenn die Passagiere an der Reling des Mitteldecks sie nicht auffangen. In Todesangst reißt eine in ein Boot steigende Frau ihre zwei kleinen Kinder an sich. "Wir können nicht schwimmen!", schreit sie. Emmanuel Abel, der für die 3. Klasse zuständige "Security Chief" lädt mich in seine Kabine ein. Eine Zelle aus Eisen. Vier Pritschen, an einem Wasserrohr hängt ein Paar Handschellen: "Manchmal erwische ich Schwarzfahrer." Wo das Schicksal keine Nachsicht kennt, können auch die Menschen keine aufbringen. "So sind die Regeln", sagt Abel. Die Regeln. Niemand kennt sie besser als der Ananashändler Juma Ramadhan. Die oberste lautet: "Die 'Liemba' darf nicht untergehen. Unser Überleben hängt von diesem Schiff ab."
Es riecht nach Schweiß, Öl, Sex
Ramadhan zählt zu den Dauerpassagieren. Der 23-Jährige bewohnt vier Quadratmeter 3. Klasse, mitten in der Gefahrenzone neben der Bordtür im Unterdeck. Dort hat er 250 Ananasfrüchte gestapelt, dort steht auch sein "Laden": ein Holzbrett, auf dem sich Artikel für die Bedürfnisse von Billigreisenden reihen - tansanische Seife, südafrikanische Kekse, sambisches Parfüm, Hautcremes, Zahnpasta in Mini-Tuben. Juma Rhamadan lebt davon, dass er die "Liemba" als ein schwimmendes Stück Tansania benutzen kann. So erspart er sich Zoll- und Visa-Gebühren. In Mpulungu, dem sambischen Hafen, kommen die Kunden zu ihm an Bord. Sobald er all seine Ananasfrüchte verkauft hat, investiert er die soeben verdienten sambischen Kwacha-Scheine, mit denen er in Tansania nichts anfangen könnte, in den Kauf von Milch und Ananassaft für den Markt von Kigoma. Pro Reise bringt ihm dieser Handel umgerechnet sechs Euro. Allerdings muss er den Gewinn mit einem Geschäftspartner teilen. Auch der ist mit an Bord, denn die Waren müssen ständig bewacht werden. Deshalb haben die beiden stets gerötete Augen. Weil sich die Passagiere selbst im Schlaf noch an ihr Hab und Gut klammern, steht er für andere Zwecke zur Verfügung: Dort trifft sich die Crew mit Prostituierten, die zwischen Tansania und Sambia pendeln. Der überhitzte Raum wird nie gelüftet, es riecht nach Schweiß, Maschinenöl, Sex. 1000 Schilling kostet der schnelle Akt im Gepäckraum, weniger als einen Euro.
Die "Liemba" wird zur Dorfkneipe
Zwei Tage später schlürft der 92-jährige Peter Songoro eine Ananasbrause an der Bordbar der "Liemba". Ein so exquisites Getränk in einem so eleganten Rahmen, das ist schon etwas Besonderes. "Zweimal, 1953 und 1961, bin ich auf diesem Schiff gereist", erzählt der Greis in einer Runde anderer Greise. "Mein Vater", erzählt Songoro, "war Chef der Askaris von Kasanga und hat für General Lettow-Vorbeck gekämpft. Und mir hat er einen deutschen Vornamen gegeben: Peter!" In Kasanga, dem ehemaligen Bismarckburg, erhebt sich über das Dutzend Lehm- und Grashütten am Seeufer ein altes deutsches Fort. Ein Teil ist zusammengefallen; der Rest, umgeben von einer hohen Steinmauer, beherbergt einen Randposten der tansanischen Armee. Alle warten auf die "Liemba". Kaum hat sie angelegt, wechseln die Kansanganer aus dem Mangoschatten an die Bordbar über. Heute ist Samstag: der großartigste Tag in jeder Kasanga-Woche. Die Decks sind leer, aus der Ladeluke quellen keine Säcke mehr, vor den Plumpsklos herrscht kein Gedränge. Die Kongolesen sind in Mpulungu von Bord gegangen, die meisten Mamas ebenfalls, um ihren Fisch auf den Märkten der Umgebung zu verkaufen. Auf der Pier von Kasanga stapeln sich Hunderte von Säcken Mais und Zement. Bis sie an Bord gehievt sind, werden Stunden vergehen. Bis dahin ist die "Liemba" Dorfkneipe.
Juli 1916. Nachdem die Papenburger Werfthandwerker ihr Schiff versenkt haben, erwartet sie schon die nächste heikle Aufgabe: Flucht. Unter den Kongolesen in der anrückenden belgischen Truppe gebe es Menschenfresser, haben sie gehört. Dann schon lieber zu den Briten im Busch vor Kigoma. Eilig machen sich die drei auf den Weg, in Begleitung von 100 Askaris. So gelangen die Deutschen in britische Gefangenschaft. Von Tanganjika müssen sie nach Ägypten marschieren, wo sie nach Monaten einen Fluchtversuch unternehmen, dabei den Nil durchschwimmen, dann jedoch wieder gefangen und zurück ins Lager gebracht werden. Nach dem Krieg dürfen sie in ihre Heimat zurückkehren. Und dort erzählen ihre Nachkommen noch heute die abenteuerliche Geschichte von den drei Papenburgern und der "Graf Goetzen". Dann sei doch alles gut ausgegangen, meint Peter Songoro. "Ja, vor allem für die 'Goetzen'", stimme ich zu. Obwohl sie es nicht immer leicht hatte.
See und Schiff sind untrennbar miteinander verbunden
Die Belgier versuchten noch 1916 das Schiff zu heben. Sie hatten Erfolg, vermochten aber nicht zu verhindern, dass es 1920 bei einem Sturm im Hafen von Kigoma ein zweites Mal sank. Danach kamen die Briten, Tanganjikas neue Kolonialherren. Sie brauchten lange, um die "Goetzen" erneut an die Wasseroberfläche zu bringen und vollständig überholen zu lassen. Erst 1927 konnten sie das Schiff wieder auf Fahrt schicken. "'Liemba' heißt bei uns der Tanganjikasee", sagt Songoro. "Es ist, als wären dieser See und dieses Schiff untrennbar miteinander verbunden." "Ja, wirklich eine großartige Geschichte", antworte ich. "Die Amerikaner haben daraus vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert sogar einen Film gemacht - "'African Queen'." Den habe er nicht gesehen, sagt Songoro, im alten Bismarckburg gebe es kein Kino. "Vielleicht", sagt er, "gelingt es mir eines Tages ja, noch ein drittes Mal als Passagier an Bord der 'Liemba' zu fahren." Falls nicht, werden es seine Nachfahren für ihn schaffen. Denn es gibt keinen triftigen Grund, weshalb die "Liemba" und der Tanganjikasee nicht noch weitere 100 Jahre zusammenhalten sollten.