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Himalaya-Experiment Mein Ausflug in die Todeszone - und warum ich ihn nie wiederholen würde

Vor zwei Jahren kletterte GEO-Redakteur Lars Abromeit bei einer medizinischen Expedition auf über 7000 Meter Höhe. Jetzt erfuhr er, wie riskant der Ausflug in die Todeszone wirklich war
Himalaya-Experiment: Wie eine Raumstation leuchtet das Basislager der Expedition am Rand der Gletschern des Himlung Himal - 4800 Meter über dem Meeresspiegel
Wie eine Raumstation leuchtet das Basislager der Expedition am Rand der Gletschern des Himlung Himal - 4800 Meter über dem Meeresspiegel
© Raphael Bauer

Hinweis: Am heutigen Mittwoch, 27.1.2016 um 18:45 Uhr, ist GEO-Redakteur Lars Abromeit in der NDR-Sendung "DAS!" zu Gast. Auf dem Roten Sofa wird er von seiner Reise nach Nepal und weiteren Expeditionen berichten.

Ein einsames Zeltlager, sternklarer Himmel, ein irrer Ausblick vom Dach der Welt. Diese Nacht im Himalaya werde ich nie vergessen: Sie war das Schlimmste, was ich als Reporter bislang erlebt habe. Wir lagen, zu dritt zusammengekauert, in unseren Schlafsäcken auf 7000 Meter Höhe am Himlung Himal, einem Giganten aus Fels und Eis zwischen Nepal und Tibet. Und wir rangen um Atem. So dünn war die Luft und so kalt, bis zu 30 Grad unter null.

Sauerstoffsättigung auf jene von Intensivpatienten gesunken

Um das Zelt tosten Windböen. Elf Stunden lang warteten wir bloß darauf, dass wieder die Sonne aufging. Für Orte wie diesen, das wurde mir dabei klar, sind wir Menschen nicht ausgelegt. Wie bei allen im Team war die Sauerstoffsättigung unseres Blutes auf jene von Intensivpatienten gesunken – und das war genau so geplant. Denn die 20 Ärzte und 39 Probanden, die der Fotograf Stefen Chow und ich im Herbst 2013 begleiteten, waren nicht zum Vergnügen im Höhenrausch: Sie wollten herausfinden, was im menschlichen Körper geschieht, wenn der Sauerstoff knapp wird (GEO Nr. 02/2014).

Lars Abromeit und Stefen Chow im Video-Interview

Zwei Jahre später liegen nun erste Ergebnisse vor: Die Forscher haben Magnetresonanzaufnahmen ausgewertet, die sie vor und nach der Expedition von den Hirnstrukturen aller Probanden gemacht hatten. Und was geht daraus hervor? Zuerst die gute Nachricht: Unseren Daten zufolge hat uns der Aufenthalt in der sauerstoffarmen Höhe nicht dümmer gemacht. Während frühere Studien nahelegten, dass Alpinisten, die auf den höchsten Bergen der Erde gestanden hatten, verglichen mit Kontrollgruppen aus dem Flachland weniger „graue Zellen“ besaßen und unter „Mikroinfarkten“ litten, zeigen die Hirnscans unserer Himal-Expedition keinerlei Hinweise dieser Art. „Zum ersten Mal haben wir nun methodisch sauber gewonnene Daten, die diesen Verdacht eines bleibenden Hirnsubstanzverlusts widerlegen“, erklärt der Forschungsleiter Tobias Merz.

Vorboten eines Hirnödems

Er hat aber auch eine schlechte Nachricht: Die Magnetresonanzbilder zeigen ebenfalls, dass sich einige von uns am höchsten Kontrollpunkt, auf 7000 Metern über dem Meer, ganz ungeahnt in akuter Lebensgefahr befanden. Schlecht ging es allen von uns. Bei drei der 15 Probanden aber, die auf dieser Höhe noch untersucht werden konnten, war die eigentlich impermeable Schranke zwischen Blutbahn und Hirngewebe bereits undicht geworden, ohne dass die Betroffenen und die Ärzte das im Gebirge erkennen konnten. Solche Mikroblutungen sind Vorboten eines „Hirnödems“ – einer Schwellung des Gehirngewebes, die binnen Minuten zu Störungen des Gleichgewichts, zu Bewusstlosigkeit und gar zum Tod führen kann. Mit anderen Worten: Selbst wer langsam aufsteigt und dabei aufmerksam auf die Signale seines Körpers hört, setzt sich in der sauerstoffarmen Luft einem unkontrollierbaren Risiko aus.

Himalaya-Experiment: Lichtspuren der Expeditionsteilnehmer in der Dunkelheit der Nacht
Lichtspuren der Expeditionsteilnehmer in der Dunkelheit der Nacht
© Raphael Bauer

„Vielen Kunden von Expeditionsagenturen wird das nicht bewusst sein“, sagt Merz. „Sie wähnen sich in der Sicherheit einer organisierten Gruppenreise. Aber es bleibt eine hohe objektive Gefahr, die nicht minimierbar ist.“ Ob auch ich mich in jener Nacht schon am Rande des Abgrunds befand? Ich als Reporter wurde nicht untersucht, werde es also nie erfahren. Aber das Risiko von eins zu fünf ist mir deutlich zu hoch. So bestätigen die Ergebnisse aus der Forschung nur die Entscheidung, die ich bereits während des Abstiegs damals für mich getroffen habe: Ich werde nie wieder auf einen so hohen Berg steigen. Kleinere Gipfel genügen mir ab jetzt vollkommen.

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GEO Nr. 02/16 - Persönlichkeit - Die verborgenen Charaktere der Tiere

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