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Die Reise ins Innere der Dinge beginnt im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld, sieben Stockwerke tief in der Erde, unter einer grauen Halle – und dauert: eine hunderttausendstel Sekunde.
Dann haben ein paar Milliarden Elektronen, beschleunigt auf fast Lichtgeschwindigkeit, rund zweieinhalb Kilometer zurückgelegt, mit ihren Lichtblitzen einen winzigen Kristall zertrümmert und dabei ein Bild von ihm erzeugt. Ein neues Bild vom Inneren der Materie.
Ein Lasergruß von der Elbphilharmonie:

Der Röntgenlaser XFEL erzeugt 27 000 Laserblitze pro Sekunde
Das European XFEL ist das derzeit modernste und leistungsstärkste Mikroskop der Welt. Und eines der ambitioniertesten Forschungsprojekte in Europa.
Das X im Namen steht für „X-ray“, Röntgenstrahlung, die drei Buchstaben FEL stehen für „Freie-Elektronen-Laser. Im September nimmt European XFEL offiziell den wissenschaftlichen Betrieb auf. Von den Baukosten schultern Deutschland und Russland, über alle politischen Zerwürfnisse hinweg, 85 Prozent.
Wenn alles läuft, soll der European XFEL pro Sekunde bis zu 27 000 Laserblitze erzeugen.
Sie sind unvorstellbar kurz, weniger als 100 billiardstel Sekunden, mit Wellenlängen von bis zu einem zehntel Nanometer. Das, ungefähr, ist der Abstand zwischen zwei Atomen in einem Molekül. Die Blitze sind, berechnet auf einen Quadratzentimeter Fläche, bis zu zehn Trilliarden Mal intensiver als Sonnenlicht.
Es sind solche Superlative, die diesen Freie-Elektronen-Laser zum derzeit leistungsfähigsten auf der Welt machen. Trilliarden Mal intensiver als Sonnenlicht.
Was passiert im Tunnel des European XFEL?
- Die Elektronenkanone
Der fast lichtschnelle Elektronenstrahl ist das Herzstück des neuen Röntgenlasers European XFEL. Erzeugt wird er in der sogenannten Injektorhalle auf dem Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY in Hamburg: Ein Laser im Inneren einer hochpräzisen, wassergekühlten Elektronenkanone schießt starke Pulse aus UV-Licht auf eine negativ geladene Elektrode aus Cäsiumtellurid. Dadurch werden Elektronenpakete aus dem Metall herausgelöst. Elektromagnetische Wellen beschleunigen diese Elektronen dann bis auf Höchstgeschwindigkeit. Rund 35 Meter unterhalb der European-XFEL-Betriebshalle wird der gepulste Strahl in die gut zwei Kilometer lange Beschleunigerstrecke geführt, wo er weiter an Energie gewinnt. Die 96 Beschleunigermodule müssen dafür bis auf –271 Grad Celsius gekühlt werden.
- Teilchenverteilung
Wenn die Elektronenpakete nach etwa 2,1 Kilometern die Beschleunigerstrecke passiert haben, tragen sie eine Energie von 17,5 Milliarden Elektronenvolt. Ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron neu aufnimmt, wenn es mit einer Spannung von einem Volt beschleunigt wird.
Im Hamburger Stadtteil Osdorf – der Tunnel verläuft hier etwa 15 Meter unter der Erde – mündet der Beschleunigertunnel in eine Verteilerstation. Dort verzweigt sich der Tubus des Riesenmikroskops zunächst in zwei weitere Tunnel. Sie führen die Elektronenpakete weiter in Richtung des Campus des European XFEL in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Schenefeld.
- Die stärksten Blitze der Welt
Kurz vor der Hamburger Stadtgrenze werden die Elektronenpakete auf weitere Tunnel verteilt. In diesen befinden sich die Undulatoren, starke Magnetsysteme, welche die Elektronen auf einen Slalomkurs zwingen. Bei jedem Richtungswechsel geben sie einen Teil ihrer Energie als Röntgenblitze wieder ab.
Diese werden vom Elektronenstrahl getrennt und durch ein eigenes System aus Edelstahlrohren in den sogenannten Photonentunneln bis in die unterirdische Experimentierhalle in Schenefeld geleitet. Die Röntgenblitze sind extrem scharf und energiereich: Auf den Quadratzentimeter berechnet, ist die im European XFEL erzeugte Röntgenstrahlung bis zu zehn Trilliarden Mal intensiver als das Sonnenlicht.
Die Instrumente des European XFEL
Hoher Druck, harte Strahlung, maximale Geschwindigkeit: Sechs Instrumente am European XFEL helfen, ins Innere der Dinge zu blicken – und zu verstehen, wie Materie sich verhält
- SPB/SFX (Abk. für „Einzelne Partikel, Cluster, Biomoleküle/Serielle Femtosekunden-Kristallografie“)
Hochintensive Röntgenlaserblitze zwischen 5 und 300 Femtosekunden (In 100 Femtosekunden legt das Licht eine Strecke von ca. 0,03 Millimetern zurück) Dauer ermöglichen 3-D-Bilder. Dazu werden identische Proben von Biomolekülen, Viren oder Kristallen in den Strahlengang geleitet und nacheinander beleuchtet.
- FXE (Abk. für „Femtosekunden-Röntgenexperiment“)
Harte Röntgenstrahlung (hohe Energie, kleine Wellenlänge) zeichnet „Molekülfilme“ auf, die chemische Reaktionen abbilden. SCS (Abk. für „Spektroskopie und kohärente Streuung“). Mithilfe von weichem Röntgenlaserlicht (geringere Energie, große Wellenlänge) lassen sich Zellstrukturen, chemische Reaktionen in Flüssigkeiten und ultraschnelle magnetische Prozesse untersuchen.
- SQS (Abk. für „Kleine Quantensysteme“)
Weiche Röntgenstrahlung wird dazu eingesetzt, Vorgänge innerhalb sogenannter Quantensysteme zu erforschen: in Atomen, Ionen, Molekülen.
- MID (Abk. für „Abbildung und Dynamiken von Stoffen“)
Der Röntgenlaser untersucht, wie sich Atome und Moleküle in festen oder flüssigen Stoffen bewegen, wobei sie etwa durch einen herkömmlichen Laser erhitzt werden. Dient den Material- und Nanowissenschaften.
- HED (Abk. für „Hohe Energiedichten“)
Der im HED erreichbare Druck entspricht etwa dem Millionenfachen der Erdatmosphäre. Damit lassen sich sogar Materiezustände im Inneren von Exoplaneten simulieren.
GEO-Redakteur Jürgen Bischoff kam zur Recherche gelegentlich in Wanderschuhen: Die Termine im Tunnel waren Kilometerarbeit. In der GEO Ausgabe 08/2017 lesen Sie seine komplette Reportage über den European XFEL - hier direkt bestellen.