Forscher hatten es uns so schön ausgemalt: Vor rund 200 000 Jahren wurde in Ostafrika in einem Entwicklungsspurt der moderne Mensch geboren. In der Region, in der heute Äthiopien, Kenia und Tansania liegen, herrschten damals quasi paradiesische Zustände, stand die Wiege der Menschheit.
Vergessen Sie es! Das Bild ist falsch. Neue Fossilien aus Marokko belegen, dass Homo sapiens bereits vor 300 000 Jahren, also 100 000 Jahre früher als gedacht, die Weltbühne betreten hat. Und dass der moderne Mensch keineswegs in einer eng umrissenen Region entstanden ist, sondern dass er über ganz Afrika verteilt gelebt und sich entwickelt hat. Mal ging er hier, mal dort einen Schritt Richtung Moderne.
Das hat am 07.06.2017 ein internationales Team um Jean-Jacques Hublin vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie verkündet. Die entscheidenden Funde gelangen den Forschern bereits vor zehn Jahren in Jebel Irhoud (Westmarokko). Und von Anfang an waren Reporter von GEO dabei. Auf Einladung von Hublin reisten sie im März 2007 zur Ausgrabungsstelle und wurden Augenzeugen, wie die Anthropologen einen Schädel freilegten.

Intensiv verfolgte GEO, wie kurz darauf ein prächtiger menschlicher Unterkiefer zutage kam, wie die Wissenschaftler mit unermesslicher Geduld und gewaltigem Aufwand Fossilien und Steinwerkzeuge datierten, wie sie die Schädel- und Gesichtsknochen mit anderen frühmenschlichen Relikten verglichen. Zehn Jahre dauerte diese unglaublich mühselige Kleinarbeit. Es ist ein Lehrstück über wissenschaftliche Akribie und Ausdauer.
Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass das Gesicht der frühen Menschen so aussah wie das der heutigen, etwa mit den typischen Wangenknochen. Auch der Unterkiefer ähnelt dem unseren. Er hat ein ausgeprägtes Kinn, ein charakteristisches Merkmal unserer Art. Der Gehirnschädel allerdings ist eher länglich statt rund wie bei uns Heutigen. Aber das ändert nach Ansicht der Anthropologen nichts an der Einschätzung, dass in Jebel Irhoud bereits der moderne Homo sapiens lebte.

Die nächstälteren bekannten menschlichen Relikte sind 260 000 Jahre (sie stammen aus Florisbad, Südafrika) und 195 000 Jahre alt (sie wurden in Omo Kibish, Äthiopien, gefunden). Dieses Muster spricht für die Anthropologen dafür, dass unsere Spezies früh innerhalb Afrikas unterwegs war und die menschliche Evolution komplexer verlaufen ist als bislang angenommen.
Die ausführliche Reportage über die Entdeckung der Jebel Irhoud-Fossilien ist in der am 23. Juni erscheinenden GEO-Ausgabe nachzulesen und ab sofort auch exklusiv bei Blendle.