Störche Auf zu neuen Ufern

Unwirtlich erscheint für menschliche Blicke der Ort, an dem diese Storchenpaare brüten: eine Felsnadel an der Atlantik küste Südwestportugals. Doch der Standort hat Vorteile, denn er ist kaum erreichbar für Räuber. Aus Storchensicht eine sinnvolle Wahl
Was ist nur aus unserem Storch geworden? Einst war er Götterbote der Germanen. „Adebar“ brachte uns die Kinder und das Glück. Und jetzt überwintert er als Müllschlucker in Spanien?
Martin Wikelski: Das sehe ich anders. Man muss den Storch entromantisieren: Er nutzt einfach alles, was der Mensch ihm anbietet. Wir schmeißen so vieles weg, das gar kein Müll ist. Mit Fleischresten auf den Abfallhalden Südeuropas füttern wir die Storchenpopulationen durch.
Dann sind die offenen Müllkippen auf der Iberischen Halbinsel also Artenschutzmaßnahmen?
Störche sind opportunistisch. Ob sie nun bei uns in Deutschland hinter Mähdreschern herstolzieren oder nach Schlachtabfällen auf spanischen oder portugiesischen Müllkippen stochern – Hauptsache, sie haben genug zu fressen. Meiner Ansicht nach hat das erstaunliche Comeback jener Weißstörche, die auf der sogenannten Westroute aus Nordeuropa über Gibraltar nach Afrika fliegen, mehrere Ursachen. Vielerorts wurden die Vögel wiederangesiedelt, Nisthilfen aufgestellt.

Schon seit Jahrtausenden folgen Störche dem Menschen. Neuerdings bis auf den Müll. Ungezählte Allesfresser versammeln sich alljährlich auf dieser Deponie in Spanien. Sie dient als Stützpunkt auf dem Zug oder sogar als Dauerwohnort
Was nichts anderes ist als eine Art Entlastungsprogramm.
Und sogar ein sehr effizientes: Anstatt in jahrelanger Arbeit selbst ihre Horste zu bauen, stecken die Störche ihre Energie nun in Eier und die Aufzucht der Jungvögel. Schutzhauben aus Kunststoff oder speziell isolierte Sitzstangen haben Stromleitungen sicherer gemacht. Früher kamen mehr als drei Viertel der Jungstörche durch Starkstrom um – allein dies dezimierte die Populationen. Heute sterben nur noch etwa 15 Prozent aller Störche, bei denen die Todesursache bekannt ist, durch Stromschlag. Außerdem gibt es wieder mehr extensiv bewirtschaftete Äcker und damit mehr Mäuse und Insekten. Alles Gründe, weshalb die Population dieser „Westzieher“ seit Mitte der 1990er Jahre um 85 Prozent zugenommen hat.
Allein in Portugal soll sich der Bestand an überwinternden Störchen seit 1995 wegen dieser zuverlässigen Futterquellen verzehnfacht haben.
Die Müllkippen sind bestimmt ein Bonus auf dem Zug, so wie man auch mal kurz ins Schnellrestaurant geht, wenn eines auf dem Weg liegt. Ob dieser Bonus in der Lebensgeschichte der Tiere allein entscheidend ist, wissen wir noch nicht. Denn wenn diese Deponien für die Störche so vorteilhaft wären, warum bleiben die dort ansässigen dann nicht einfach da? Die „Spa nier“ etwa könnten ja ihr Handtuch hinlegen, bevor die deutschen Reisenden kommen, und sagen: Schon besetzt! Aber sogar viele Spanier ziehen nach Afrika weiter. Dass sich auf den Müllplätzen so viele Störche tummeln, könnte also durchaus andere Ursachen haben – vielleicht sind es schlicht Stützpunkte auf dem Zug. Denn wer unterwegs weniger Aufwand betreibt, übersteht die Strapazen besser.
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