Albanien Auf der dunklen Seite der Ehre

Im Halbdunkel des stickigen Zimmers erwacht der Junge mit den großen braunen Augen für einen Moment aus seinem Dämmerzustand und sagt: "Sie wollen mein Blut. Früher oder später werden sie mich kriegen."
Seit seinem fünften Lebensjahr ist Pal Ndrevataj im Haus seiner Familie eingesperrt. Würde der 19-Jährige auf die Straße treten – er riskierte, auf der Stelle erschossen zu werden. Aus Angst um sein Leben kann Pal keine Schule besuchen, nicht studieren, nicht arbeiten. Nicht ins Kino gehen, nicht ins Café, kann auf der Bank am See kein Mädchen küssen.
In einem Vorort von Shkodra, zwei Autostunden nördlich der albanischen Hauptstadt Tirana, träumt Pal davon, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Aber wie soll er je eine Frau finden? Welcher Vater würde einem wie ihm, einem Gejagten, einem Todgeweihten,
seine Tochter geben?
Blut für Blut
Pals Unglück: Im Februar 2000 erschoss ein Onkel im Streit einen Nachbarn. Im Norden Albaniens gilt der "Kanun", ein Gewohnheitsrecht aus dem Mittelalter, aus dem sich bis heute zahlreiche Pflichten ergeben - darunter "Gjakmarrja": Blutrache.
"Blut für Blut", lautet die tödliche Regel des Kanun. Nach diesem Sühneprinzip sollen Familien ihre Opfer rächen, indem sie den Mörder oder seine männlichen Verwandten töten. Das Räderwerk des Todes wütet über Generationen und kann ganze Sippen auslöschen.
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