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Tibeter im Exil: "Ich bete und bin so traurig ..."

In Hamburg traf GEO-Reporter Andreas Hilmer die 28-jährige Exil-Tibeterin Tsering - bei einer Demonstration für Menschenrechte in ihrer besetzten Heimat
"Ich muss jeden Tag weinen": Die Exil-Tibeterin Tsering bei einer Demonstration in Hamburg
"Ich muss jeden Tag weinen": Die Exil-Tibeterin Tsering bei einer Demonstration in Hamburg
© Tibetisches Zentrum Hamburg

Andreas Hilmer: Was haben Sie gedacht, als Sie zuerst von dem Aufstand in Tibet hörten?

Tsering: Ich war - wie alle - sehr erstaunt. Niemand hat damit gerechnet, dass dort so etwas Mutiges passieren würde. Obwohl wir wussten, dass die Olympischen Spiele eine gute Gelegenheit sind, auf die schlimme Situation aufmerksam zu machen. Was aber dann in Tibet passierte, hat mich sehr erstaunt und auch schockiert. So viel Frustration, Leid und Gewalt.

Wie kamen Sie selbst nach Deutschland? Haben Sie Familie in Tibet? Haben Sie aktuell Kontakt zu Menschen vor Ort?

Darüber möchte ich aus verschiedenen Gründen nicht sprechen. Aber ich erfahre natürlich, was sich dort abspielt, es bewegt mich sehr. Ich muss jeden Tag weinen.

Was unternehmen Sie hier in Deutschland gegen die Situation in Tibet?

Wir, die jungen Leute vom Verein der Tibeter in Deutschland, treffen uns neuerdings regelmäßig. Es gibt hier insgesamt ungefähr 300 Tibeter. Der Zusammenhalt war in Deutschland nicht immer so, aber wir rücken jetzt enger zusammen. Alles, was wir von hier aus tun können, sind Mahnwachen und Kundgebungen. Gewaltaktionen, Selbstverbrennungen oder chinesische Botschaften stürmen, aber auch Flaggen verbrennen, lehne ich persönlich ab. Ich glaube, dass durch die Demos schon viel erreicht wurde - selten war das Tibetproblem so präsent wie jetzt. Immer mehr Menschen erfahren Details über die Situation unseres Volkes - und das ist doch schon viel wert. Leider erreichen die meisten Informationen nicht die Chinesen, dabei wäre gerade das so wichtig. Denn auch in China verändert sich ja momentan viel. Das wäre eine Chance für Tibet.

Freunde von Tsering (li.) haben sich mit den Farben der tibetischen Nationalflagge bemalt
Freunde von Tsering (li.) haben sich mit den Farben der tibetischen Nationalflagge bemalt
© Tibetisches Zentrum Hamburg

Haben Sie selbst schon mal hier im Exil direkt mit Chinesen über den Konflikt sprechen können?

Ich war früher Lehrerin. Als ich vor 14 Monaten nach Deutschland kam, habe ich erst länger in Düsseldorf gelebt. Dort haben wir Ausländer einen Weiterbildungskurs machen müssen, es ging auch um Kultur und Politik. Es waren auch zwei Chinesen dabei. Sie fragten mich, woher ich käme. Ich sagte aus Tibet. Da fragten die ganz ernsthaft, was das ist! Ich musste ihnen das Wort Tibet aufschreiben, erst dann sagten sie "ach so, chinesisches Tibet, unsere Provinz, eine Region in der Volksrepublik"! Und ich sagte natürlich: "Nein. Tibet, das besetzte Land!" Dann haben wir vor allen anderen im Kurs gestritten. Das war interessant, aber auch furchtbar zu erleben, wie wenig die Chinesen wussten über Tibet und seine Geschichte. Ich sagte am Ende, wie froh ich sei, hier in Europa zumindest frei meine Meinung zu dem Konflikt sagen zu dürfen. In China wäre das nicht möglich. Für solche Aussagen sitzen Tibeter in Lhasa im Gefängnis.

Haben Sie sich noch öfter so unterhalten?

Einmal hat die Lehrerin auch ein Foto des Dalai Lama mitgebracht. Da sagte ich, das ist mein Buddha, mein Gott. Und die beiden Chinesen sagten sofort, der wolle China, ihre Heimat, spalten und er sei gefährlich! Es geht also schon im Kleinen wie in der großen Politik zu. Sie wollten einfach nicht glauben, dass der Dalai Lama es gut mit den Chinesen meint und nur die tibetische Kultur erhalten will. Gott sei Dank haben mich die anderen im Kurs dann unterstützt. Es verletzt mich, wie sie über den Dalai Lama sprachen, obwohl der China auch jetzt immer nur Gutes wünscht.

Rund 500 Demonstranten protestierten Mitte März in der Hamburger Innenstadt gegen die Gewalt in Tibet
Rund 500 Demonstranten protestierten Mitte März in der Hamburger Innenstadt gegen die Gewalt in Tibet
© Tibetisches Zentrum Hamburg

Was empfinden Sie gegenüber China?

Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt immer, wir sollten die Chinesen anerkennen oder - wenn es geht - sogar lieben und ihnen helfen. Aber das ist momentan schwer. Ich versuche es trotzdem in meinen Gedanken, denn eigentlich habe ich nichts gegen die Chinesen. Im Volk selber leiden ja auch viele unter der Politik der Regierung. Manchmal denke ich, die Chinesen haben die Olympischen Spiele nicht verdient. Die Sportler sollten einfach nicht hingehen. Die Chinesen werden immer reicher, während die Jungendlichen in Tibet keine Jobs haben und kein Geld. Vor allem das führt zu Frust und Gewalt. Man tritt unsere Kultur mit Füßen, drängt uns an den Rand. Ich träume manchmal von einem unabhängigen Tibet. Aber vielleicht ist das auch unrealistisch, denn da müsste uns schon die ganze Welt helfen - vielleicht sogar militärisch. Aber auch das würde viel Leid bringen.

Was denken Sie über die Haltung des Dalai Lama?

Ich selbst folge dem Dalai Lama natürlich. Er ist ja unser Oberhaupt. Aber dann denke ich auch oft: Er ist fast zu freundlich und nachgiebig mit den Chinesen, egal was passiert. Und die Situation in Tibet wird nicht besser. Schon so lange nicht. Und für diese friedliche Haltung wird er von China auch noch als "Mensch mit dem Herz einer Bestie" und Ähnlichem beleidigt. Wenn ich das höre, tut es mir persönlich richtig weh.

Würden Sie nach Tibet zurückgehen, wenn die Situation besser wäre?

Natürlich! Tibeter haben eigentlich immer Heimweh. Jeder will zurück. Auch wenn es mir hier gut geht. Der Dalai Lama gibt uns die Hoffnung, dass sich die Dinge wenden, aber es fällt manchmal schwer, weiter daran zu glauben. Aber zurückgehen will ich auf jeden Fall. Es ist doch meine Heimat.

Hat sich Ihr Leben hier im Exil durch die Proteste verändert?

Ja. Jede Nacht, bevor ich schlafen gehe, suche ich im Internet nach neuen Infos oder Filmen über die Situation in Tibet. Ich habe einen kleinen buddhistischen Altar in meinem Zimmer, zünde morgens und abends Kerzen für Tibet an, mache meine religiösen Niederwerfungen. Ich bete auch mehr als sonst, meist für das Wohlergehen aller Lebewesen - wie es uns der Dalai Lama empfohlen hat. Aber die Gebete machen mich auch traurig, wenn ich an die Tibeter in Gefängnissen denke, an das, was in der Heimat passiert.

Wenn Sie in den nächsten Tagen wieder zu Mahnwachen und Demos gehen: Was rufen Sie da, was wünschen Sie sich?

Ich hoffe, dass noch mehr Deutsche helfen, denn unsere Kultur darf nicht sterben. Ich selbst male mein Gesicht in tibetischen Farben an, und wenn ich Zeit habe, bastele ich Plakate mit der Aufschrift "STOP the killing in Tibet". Ich rufe am liebsten "U-N-O - we want justice" - denn wir wollen endlich Gerechtigkeit. Man muss sich gar nicht gegen China oder für Tibet einsetzten. Für die Gerechtigkeit zu sein reicht schon aus.

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