Der Unterfranke Norbert Walter, 63, ist Chefvolkswirt der Deutsche-Bank-Gruppe. Im „Bund katholischer
Unternehmer“ setzt er sich für christliche Werte ein.
"Der Glaube an Gott gibt Sicherheit in einer Welt, in der so vieles mit Füßen getreten wird. Er gibt die Gewissheit, dass die Menschenwürde nicht zur Disposition steht. Natürlich zweifelt man manchmal daran, ob Gott existiert; auch ich. Dann ist es wichtig, dass Menschen einen auf dem Weg zu Gott begleiten, dass da eine Gemeinschaft ist, die einen im Glauben stützt. Ich weiß nicht, wie man ohne verantwortliche Eltern und Erzieher, ohne Kirche überhaupt zu einem festen Glauben finden soll. Zu christlichen Werten – die keineswegs im Widerspruch zu Profitstreben stehen müssen! Wirtschaftliche Vernunft ist nicht unchristlich. Auch die Kirche muss ja Rendite erwirtschaften, um genügend Mittel für ihre Aufgaben zu haben.
Meine Lebenserfahrung sagt mir: Ja, jeder Mensch tut sich etwas Gutes, wenn er gläubig ist. Sonntags besuche ich immer die Messe, auch im Urlaub und auf Dienstreisen. Und die ungetauften Kinder meines Patenkindes würde ich am liebsten heimlich taufen – weil ich in Sorge bin, dass ihnen sonst ein wichtiger Segen fehlt. Dafür sind sie mir zu lieb.
Dabei bin ich alles andere als ein aggressiver Missionar. Für mich ist Religion der Auftrag zur Toleranz. Man hat gerade als Gläubiger die Pflicht, andere Religionen neugierig wahrzunehmen. Ich bekenne mich mit ganzem Herzen zur Ökumene, also zum Dialog zwischen den Religionen. Wenn aber jemand sagt: ,Mir reicht es, an etwas Transzendentes zu glauben‘, überzeugt mich das als Lebenshaltung nicht. Ich respektiere einen engagierten Atheisten mehr als die vielen Lauen, die von sich sagen, sie glaubten an Gott, ohne dafür etwas Handfestes zu tun."


Die Islamwissenschaftlerin und Lehrerin Lamya Kaddor, 30, unterrichtet an einer Hauptschule in Dinslaken-Lohberg Islamkunde. Dafür wird sie von radikalen Muslimen und Islamkritikern gleichermaßen angefeindet.
"Der Glaube ist für mich eine Stütze im Leben. Er gibt mir innere Wärme – das Wohlbefinden, von einem Schöpfer geschaffen worden zu sein, mit dem man durch Gebete direkten Kontakt aufnehmen kann. Davon bin ich als Muslimin überzeugt. Natürlich habe ich auch Zweifel, ob es Gott gibt. Ich weiß es schlichtweg nicht – ich kann es nicht wissen und suche auch nicht nach dieser Sicherheit. Ich glaube einfach daran.
Für mich ist der Glaube eine Art Medizin: Die einen brauchen davon vielleicht mehr als andere. Manche brauchen wahrscheinlich gar nichts; wieder andere werden durch eine ,Überdosis‘ krank.
Ich verstehe mich als liberal-gläubig, stelle also meine Wahrheit nicht über die anderer Menschen. Ich lasse jedem das, was er braucht, und bin die Letzte, die darüber entscheiden darf, wie andere ihr Heil erreichen. Wenn man im 21. Jahrhundert als gläubige Muslimin leben möchte, muss man tolerant sein."
Der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer, 64, Professor für Philosophie in Braunschweig, engagiert sich in der religionskritischen „Giordano-Bruno-Stiftung“.
"Ein Agnostiker lässt offen, ob es einen Gott gibt – er hält es für unentscheidbar. Ein Atheist hingegen bestreitet das Vorhandensein alles Göttlichen völlig – das tue ich. Denn Existenzaussagen wie ,Es gibt einen Gott‘ haben eine besondere Eigenschaft: Sie lassen sich nicht widerlegen, aber durch ein einziges überzeugendes Beispiel belegen. Wenn wir aber alles glauben sollen, was nicht zu widerlegen ist, können wir auch gleich an Einhörner glauben. Deshalb verlangen wir von jemandem, der eine Existenzaussage mit Wahrheitsanspruch aufstellt, diese auch zu belegen. Einen Beleg für die Existenz Gottes habe ich aber noch nicht gesehen! Wenn jemand ein übersinnliches Erlebnis zu haben meint, ist das für ihn selbst vielleicht überzeugend. Doch wie sollen andere so etwas nachvollziehen können?
Die Gotteshypothese erscheint mir aber nicht nur überflüssig, sondern oft auch schädlich. Vielen macht sie Angst vor Strafe. Und sie gibt einigen die Chance, Gehorsam oder Geld für angebliches Heil zu fordern. Als Atheist bin ich dieser Angst und diesen Forderungen nicht ausgesetzt. Ich vertraue auf mein eigenes Durchhaltevermögen: Weil ich Sportler bin, weiß ich, dass man viele Hindernisse durch eigene Kraft überwinden kann.“


Mina Ahadi, 56, ist Vorsitzende des „Zentralrats der Ex-Muslime“ in Köln, der sich für Menschenrechte und Atheismus einsetzt. 1990 floh sie vor politischer Verfolgung aus dem Iran. Heute erhält sie vielfach Morddrohungen und wagt sich daher oft nur mit Leibwächtern in die Öffentlichkeit.
"In meinem Elternhaus in der iranischen Stadt Abhar hat der muslimische Glaube eine große Rolle gespielt: Er war ein familiäres, patriarchalisches Regelwerk. Als Kind musste ich zum Beispiel im Fastenmonat Ramadan nachts aufstehen, um zu essen. Tagsüber durfte ich das nicht – zumindest als ich älter als neun Jahre war. Ich habe wegen all dieser Vorschriften, die Allah verkündet haben soll, viel Angst gehabt. Denn wer die Regeln nicht akzeptiert, landet in der Hölle, hieß es.
Als Jugendliche habe ich angefangen, über meine Rechte nachzudenken. Das war der Anfang einer kritischen Auseinandersetzung mit den Religionen – ein langer und schmerzhafter Prozess. Schließlich habe ich für mich beschlossen: ,Ich bin nicht mehr Muslimin, ich habe keinen Glauben.‘ Seitdem fühle ich mich frei. Atheistin zu sein bedeutet für mich: Es gibt kein Leben nach dem Tod, es gibt keinen Gott. Man muss selbst wissen, was richtig und was falsch ist, man kann sich nicht auf einen Gott verlassen. Anstelle des Glaubens schenkt das Vertrauen in Menschenrechte Kraft.
Heute bin ich mir sicher, dass Religionen ein Geschäft sind, eine Industrie. Es sind Instrumente der Unterdrückung. Die Menschheit würde besser leben, wenn sie nicht an einen Gott glauben würde. Deshalb wünsche ich mir eine Welt ohne Religion.“
Der Architekt Juval Porat, 30, wurde in Israel geboren und besuchte dort eine jüdisch-orthodoxe Schule. Heute studiert er am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, der einzigen deutschen Ausbildungsstätte für Rabbiner und jüdische Kantoren.
"Zum Glauben findet man nicht durch die Betrachtung der Welt. Man kann nicht sagen: ,Wow, diese Blume ist wunderschön, also muss es einen Gott geben.‘ Es ist vielmehr eine bewusste Entscheidung, sein Wertesyssem zu verändern und künftig den überlieferten Texten und Regeln zu vertrauen. Früher habe ich Gott manchmal als ungerecht empfunden. Dann habe ich zum Beispiel einen Dönerkebab gegessen, um gegen die jüdischen Speisevorschriften zu verstoßen – wie ein ungehorsames Kind, das sich über seinen Vater ärgert. Heute weiß ich, dass die Botschaften und rituellen Gebote des Judentums zumindest einen Sinn haben: Sie halten unsere Gemeinschaft zusammen. Mein Anspruch ist das, was auf Hebräisch ,Tikkun Olam‘ heißt – das Ziel, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Denn ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch etwas Göttliches in die Welt tragen kann, wenn er sich Gott zuwendet. Ich behaupte nicht, dass man dafür jüdisch sein muss. Wichtig ist, dass man gut ist. Dass man versucht, sich und seine Umgebung aktiv zu verbessern.“


Renée Schroeder, 55, Professorin für Biochemie in Wien, erforscht Ribonukleinsäuren (RNS) – eine Molekülgruppe, die in allen Lebewesen an der Umsetzung der Erbinformation beteiligt ist.
"Schon als Kind hatte ich eine Aversion gegen Gott. Ich mochte ihn nicht, fand ihn blöd, ungerecht und bösartig. Es hat auf der katholischen Mädchenschule angefangen: Der Priester behauptete dort, Gott habe zwei Dinge für uns vorgesehen – Kinder zu bekommen oder ins Kloster zu gehen. Ein Allmächtiger, der angeblich alles bestimmen soll, ist eine unglaubliche Belastung! Zum Glück fand ich bald heraus, dass es ihn gar nicht gibt. Das war die Erlösung! Trotzdem fasziniert mich als Naturwissenschaftlerin die Frage, was den ,Lebenswillen‘ ausmacht. Warum werden zum Beispiel Bakterien gegen Antibiotika resistent? Was veranlasst sie dazu? Ich nehme an, dass ausschließlich chemische Vorgänge die Ursache sind; Naturgesetze, die wir einfach noch nicht verstanden haben. Wir kennen keine Anzeichen dafür, dass etwas Göttliches dahintersteckt. Ob es nun aber für die Menschen besser wäre, keine Religionen zu haben? Das weiß ich nicht. Religionen sind ja in gewisser Weise sehr erfolgreich: Durch Dogmen schaffen sie Stabilität. Die hat man nicht, wenn man wie ich nur auf Wissen vertraut, das schon morgen falsch sein könnte.“