Lesen Sie einen Auszug aus der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Wie der Mensch der Erde eroberte":
Mit federndem Schritt bewegen sich die hochaufgeschossenen Gestalten durch die ostafrikanische Savanne im heutigen Kenia. Sie rollen den gewölbten Fuß über Ferse und Ballen, drücken sich mit ihren kurzen Zehen kraftvoll nach vorn ab.
Bis zu 1,85 Meter messen die Geher, mit ihren langen Beinen kommen sie rasch voran. Die Unterarme sind kürzer als bei anderen menschenähnlichen Savannenbewohnern, die sich zum Teil noch halb hangelnd oder von Ast zu Ast laufend in den Bäumen fortbewegen.
Die Wanderer sind an das Leben auf dem Boden angepasst, ihre Schultern sind abgesenkt und breit. Auch die Rotationsbewegung des Beckens (die ein starkes Auf und Ab des Körperschwerpunktes verhindert) sowie die schmalen Hüften und die kräftigen Beinknochen sind für den aufrechten Gang und raumgreifendes Schreiten optimiert.
Homo ergaster ist ein perfekter Langstreckenläufer
Es ist glühend heiß in der Mittagshitze, kaum ein Baum oder Strauch spendet Schatten. Doch weil die Wanderer schlank gebaut sind und wahrscheinlich viele Hautdrüsen besitzen, über die sie Wasser verdunsten, und weil sie zudem wohl nur schwach behaart sind, können sie die innere Wärme gut nach außen ableiten und ausdauernd in der Hitze marschieren. Ihre Leiber glänzen vor Schweiß; vermutlich ist die Haut zum Schutz vor der Sonne dunkel pigmentiert.
Die Physis der Geher ist ideal, um lange Entfernungen zurückzulegen. „Homo ergaster“ werden Wissenschaftler diesen Wanderer und Vorläufer des modernen Menschen später nennen: weil sie seine Überreste in einer Sedimentschicht zusammen mit Steinwerkzeugen finden – ergaster nach dem griechischen Wort ergastikós für „arbeitsam, tätig“. (Manche Wissenschaftler klassifizieren diesen Urmenschen auch als frühen afrikanischen Homo erectus.)
Vor allem aber ist Homo ergaster, dessen älteste Funde rund 1,9 Millionen Jahre alt sind und aus der Gegend des Turkanasees in Kenia stammen, ein Langstreckenläufer. Seine Steinwerkzeuge schleppt er oft mit sich, wenn
er in die offene Graslandschaft aufbricht. Es sind mit groben Hieben behauene Geröll- oder Flusssteine sowie Abschlagsplitter, die als Messer und Schaber dienen.
Homo ergaster hat sie stets dabei, wenn er auf die Suche nach Nahrung geht, etwa dem Kadaver eines Gnus oder einer Antilope, die an einer Wasserstelle von einer Säbelzahnkatze gerissen wurde. Wenn das Raubtier seinen Hunger gestillt hat, gilt es, die Aasreste mit schnellen Schnitten zu zerlegen und auszuweiden, ehe sich die Hyänen darüber hermachen oder die in der Luft kreisenden Geier die Beute erspähen.
Der erste Wanderer benötigt eiweißreiche Kost
Das rohe, blutige Aas ist für Homo ergaster nicht nur genießbar, sondern wird von ihm begehrt. Denn es ergibt wertvolle Mahlzeiten, wie sie der Läufer mit seinem großen Körper und dem Energie verzehrenden Gehirn
benötigt. Und die Antilopenknochen, die unter den Schlägen der Geröllsteine zerbersten, enthalten köstliches, fetthaltiges Mark.
Kilometerweit trabt Homo ergaster daher mit seinen Werkzeugen durch die Savanne. Wahrscheinlich ist er es gewohnt, vertraute Landstriche zu verlassen, sich auf den Weg zu machen, um neue Gegenden zu durchstreifen und
so seinen Aktionsradius zu erweitern.
Irgendwann vor etwa 1,9 Millionen Jahren muss eine Gruppe dieser Langstreckengeher beschlossen haben, sich weiter als jemals zuvor ins Unbekannte vorzuwagen. Sie marschieren vermutlich vom heutigen Kenia aus immer weiter Richtung Norden und kehren nicht mehr zurück.
Es ist ein Aufbruch ins Ungewisse – und ein lebensgefährliches Abenteuer, denn die offene Savanne bietet wenig Schutz vor Feinden. Jederzeit können Raubkatzen oder andere Beutegreifer die Urmenschen attackieren. Niemand weiß heute, was die Pioniere anspornt, dieses ungeheure Risiko auf sich zu nehmen. Vielleicht ist es Neugier, Sehnsucht – oder Wanderlust.
Wahrscheinlich aber ist das Motiv, das sie in die Ferne lockt, viel schwächer als das, was sie forttreibt. Sie
haben wohl einen guten Grund, ihre Heimat zu verlassen, womöglich plagen sie eine Dürre oder von Parasiten übertragene Leiden wie Malaria und Schlafkrankheit. Vielleicht drängen sich dort zu viele Menschen, und die Nahrung ist knapp.
Und so beschließen die Aasesser, ihrer Beute zu folgen, und ziehen den großen Tierherden auf dem Weg in nördlichere Regionen hinterher. Es ist ein Schritt, wie ihn in diesem Ausmaß nie zuvor ein menschenähnliches Wesen gewagt hat. Denn mit ihm beginnt der Exodus: Vorläufer des modernen Menschen verlassen nicht nur ihre Heimat. Sie verlassen bald darauf auch Afrika und erschließen fremde Kontinente.
Mit dem Aufbruch von Homo ergaster beginnt eine beispiellose Erfolgsgeschichte innerhalb der Evolution. Rund 1,8 Millionen Jahre später wird Homo sapiens, ein Nachfahre der ersten Pioniere, sich aufmachen und sämtliche Erdteile besiedeln.
Den vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Wie der Mensch die Erde eroberte" nachlesen.