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Eltern Vom Durchhalten und Loslassen

Tagelanges Schweigen, Wutanfälle, Entfremdung: Wenn die eigenen Kinder pubertieren, fühlen sich Mütter und Väter oft ratlos, ohnmächtig, manchmal überfordert. Immer wieder müssen sie die Balance finden zwischen Vertrauen und Verantwortung. Eltern erzählen, wie sie die Veränderung ihres Nachwuchses erleben

"Plötzlich herrschte ein anderer Ton"

Claudia L., 49, Autorin, und ihr Ehemann Ingo, 48, Jurist, leben mit Maya, 14, und Vita, 10, in Hamburg

Eltern: DER KAMPF MIT DEN GEFÜHLEN Manchmal kommt es Claudia L. und ihrem Ehemann Ingo vor, als gäbe es ihre Tochter Maya zweimal: zum einen als zartes, empfindsames Mädchen - zum anderen als schimpfende, aggressive Furie
DER KAMPF MIT DEN GEFÜHLEN
Manchmal kommt es Claudia L. und ihrem Ehemann Ingo vor, als gäbe es ihre Tochter Maya zweimal: zum einen als zartes, empfindsames Mädchen - zum anderen als schimpfende, aggressive Furie
© Sibylle Fendt

Mayas Pubertät begann sehr abrupt, mit zwölf Jahren. Von einem Tag auf den anderen herrschte ein anderer Tonfall: Sie stichelte und provozierte die anderen Familienmitglieder einschließlich ihrer kleinen Schwester mit kleinen, fiesen Kommentaren und demonstrativem Augenrollen. Aber auch Lehrer, Eltern von Freundinnen und Schulkameraden bekamen ihr Fett weg, niemand konnte es ihr mehr recht machen. Doch ich gehe Streitereien nicht aus dem Weg. Wenn Maya schlecht gelaunt nach Hause kommt und mich anpflaumt, dann pflaume ich zurück. Ich finde: Sich mit seiner Tochter zu streiten heißt, sie ernst zu nehmen. Mein Mann ist davon manchmal genervt und fragt, ob wir nicht mal aufhören können, uns ständig anzuschreien. Und ich denke dann: Nein, das ist jetzt nun mal dran. Schrei-Duelle nehme ich sportlich! Ich möchte meine Tochter ja so erziehen, dass sie später im Leben mal bestehen kann. Dazu gehört eben auch das Streiten. Doch das ist bei ihr nur die eine Seite. Manchmal beginnt sie mitten in einer Auseinandersetzung plötzlich bitterlich zu weinen. Sie hat dann das Gefühl, dass ihr alles zu viel wird. Am liebsten möchte sie dann abends wieder bei den Eltern im Bett schlafen. Darf sie auch!

Manchmal habe ich das Gefühl, es gibt zwei komplett unterschiedliche Ausgaben von meinem Kind: Ich sehe, wie hübsch und weiblich sie jetzt wird und wie zart und zerbrechlich sie dabei noch ist. Und dann wieder staune ich über ihre unbändige Energie und ihre Willenskraft. Meist versuche ich, mich zurückzuhalten, damit sie ihre eigenen Erfahrungen machen kann. Nur einmal habe ich eingegriffen: als ich merkte, dass sich ihr Vorsatz abzunehmen zu einer Ess-Störung zu entwickeln drohte. Zum Glück hat sie – auch nach Gesprächen mit einer Therapeutin – eingesehen, dass sie ein Problem hat, und will nun wieder zunehmen. In dieser Phase war sie sehr anschmiegsam, wollte alles mit mir machen, anstatt sich mit ihren Freundinnen zu verabreden.

So schön das auch war, es fühlte sich doch verkehrt an, also habe ich auch da wieder gegengesteuert. Jetzt habe ich meine biestige Maya wieder, die manchmal mit zusammengekniffenen Augen vor mir steht und nach Schwachstellen bei mir sucht – und sie findet! Die mich und meinen Mann vom Sockel stoßen will. Die immer mehr herausfindet, dass wir nicht die alleskönnenden Wundereltern sind, sondern auch nur mit Wasser kochen. Das zuzulassen ist manchmal ganz schön hart. Aber es fühlt sich genau richtig an.

"Er beschimpfte mich wüst"

Anita H., Erzieherin, 48, lebt mit ihren drei Söhnen Jan-Erik, 21, Maik, 19, und Thilo, 18, in Weilheim bei Rottweil

Eltern: DIE VERWANDLUNG ZUM PUNK Anita H.s Sohn Maik (r.) war schon immer rebellischer als sein Bruder Thilo, entschied sich für Nieten, Stahlketten, Piercings. Eines Tages verwüstete er sein Zimmer - und verweigerte dann für ein halbes Jahr jeden Kontakt zur Mutter
DIE VERWANDLUNG ZUM PUNK
Anita H.s Sohn Maik (r.) war schon immer rebellischer als sein Bruder Thilo, entschied sich für Nieten, Stahlketten, Piercings. Eines Tages verwüstete er sein Zimmer - und verweigerte dann für ein halbes Jahr jeden Kontakt zur Mutter
© Sibylle Fendt

Es fing damit an, dass sich Maik vor einem Jahr verwandelte: schwarz gefärbte Haare, Löcher in den Jeans, Nieten und Ketten an der Lederjacke, Piercings. Anfangs habe ich das noch unterstützt, sogar das Haarfärbemittel habe ich für ihn gekauft, etwas Schonendes für die Haarstruktur. Doch dann wurde sein Outfit immer radikaler. Maik rasierte sich die Haare ab, weitete seine Ohrlöcher mit riesigen „Flesh Tunnels“ und hörte Hardcore-Punk. Das fand ich dann nicht mehr so cool. Aber da er sich mir gegenüber genauso verhielt wie sonst auch, habe ich das toleriert. Seine beiden Brüder, die weit weniger rebellisch waren, lehnten ihn allerdings immer stärker ab.

Dann kam der Abend, an dem er seltsam aufgeladen nach Hause kam, total auf Krawall und, wie ich befürchtete, unter Drogeneinfluss. Ich war aufgebracht, weil er so Auto gefahren war. Seit Maiks Vater bei einem Autounfall von einem Betrunkenen tödlich verletzt wurde, bin ich bei meinen Söhnen mit Alkohol und Drogen immer sehr streng, bis hin zu Internetverbot und Stubenarrest. Um mich zu beruhigen, ging ich mit meinen Hunden spazieren. Unterwegs rief mich sein jüngerer Bruder an und berichtete aufgeregt, dass Maik in seinem Zimmer randaliert und Sachen aus dem Fenster schmeißt. Als ich nach Hause kam, war Maiks Zimmer völlig verwüstet; Wände, Fensterscheiben und Computerbildschirm waren mit Lackfarbe und derben Beschimpfungen besprüht. Und Maik war verschwunden. Über seinen besten Freund erfuhr ich dann, dass seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte – ich wusste bis dahin gar nicht, dass es da jemanden gab. Und dass Maik zu seinem Punker-Freund „Kralle“ gefahren war. Auf meine Anrufe und WhatsApp-Nachrichten reagierte Maik nicht, also fuhr ich am nächsten Tag zu Kralle, um ihn zur Rede zu stellen. Mein Sohn sah mich und wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, aber ich stellte schnell meinen Fuß in die Tür und sagte ihm, dass ich draußen auf ihn warte. Als er nach einiger Zeit herauskam, schrie er wüste Beschimpfungen quer über die Straße und wollte mich einfach verscheuchen. Ich war auf alles gefasst, sogar darauf, dass er mich schlägt.

Eine normale Unterhaltung mit ihm war so nicht möglich, aber immerhin erfuhr ich, dass er wohl bei seiner Ausbildungsstelle – er war Lehrling zum Maschinen- und Anlagenführer – wegen seines Aussehens gemobbt wurde. Ich konnte das fast nachvollziehen: Er hatte mittlerweile etliche Piercings im Gesicht. Nach dieser Begegnung kehrte Maik nicht zurück, weder zu uns nach Hause noch in seinen Ausbildungsbetrieb, der ihm bald darauf kündigte. Damit begann eine wirklich schlimme Zeit – ein halbes Jahr lang hatte ich gar keinen Kontakt mehr zu ihm; er lebte nun ganz bei Kralle. Ich fühlte mich wie amputiert in diesen Monaten. Als hätte man mir das Herz rausgerissen. Und ich war voller Selbstzweifel: Was hatte ich bloß falsch gemacht? Wo hatte ich als Mutter versagt? Meine Sorgen wurden nicht geringer, als ich nach und nach erfuhr, in was für einem Haushalt Maik gelandet war: Kralles Mutter war Alkoholikerin, sein Stiefvater drogenabhängig. Trotzdem fühlte sich mein Sohn bei den beiden offenbar gut aufgehoben. Bis eines Tages in der Wohnung ein Gasofen explodierte und Maik gerade noch mit dem Leben davonkam. Das wenige Hab und Gut, das er bis dahin noch hatte, war verbrannt. Ich aber war fast erleichtert – denn von da an wohnte Maik reihum bei Punk-Freunden, die mir vernünftiger erschienen. Nach einiger Zeit hatten wir auch hin und wieder telefonisch Kontakt. Maik schien wieder aufzutauen.

Der Wendepunkt kam schließlich nach einem weiteren Tiefpunkt – einem Gerichtsverfahren gegen Maik, da hatten sich einige Sachen angehäuft: Ladendiebstahl, Beamtenbeleidigung, eine Tätlichkeit. Am Tag der Verhandlung fuhr ich zusammen mit seinen besten Freunden von früher, die sich ebenfalls Sorgen machten, zum Gericht. In der Verhandlung war es hart für mich, ihn da so ganz allein, ohne Verteidiger, auf der Anklagebank sitzen zu sehen. Aber Maik räumte seine Vergehen ein und entschuldigte sich, auch bei mir. Als der Richter dann sagte, dass er denke, dass Maik doch eigentlich einen guten Kern habe und eine gute Familie, bin ich in Tränen ausgebrochen. Nach der Verhandlung sind Maik, seine Freunde und ich alle zusammen einen Kaffee trinken gegangen – und auf einmal war die Stimmung fast wieder wie früher. Seine Freunde sind dann gegangen, aber Maik und ich saßen noch drei Stunden im Café und haben uns einmal richtig ausgesprochen. Das tat unendlich gut.

Das war endlich wieder mein Maik, so sozial und sensibel wie früher. Spontan ist er dann sogar noch mit nach Hause gekommen. Der Empfang durch seine Brüder war allerdings eisig, und er blieb nur eine Nacht. Kurze Zeit später bekam ich eine schlimme Diagnose: Brustkrebs. Das war der Punkt, an dem ich an alle drei Brüder appelliert habe, sich wieder zu vertragen. Ich wollte sie einfach alle drei um mich haben in der kommenden schweren Zeit. Sie sind dann über ihren Schatten gesprungen, und Maik ist wieder bei uns eingezogen. Inzwischen hat er sogar eine neue Ausbildung begonnen. Punkig sieht er immer noch ein bisschen aus, aber er ist jetzt ein sehr lieber Punk, der mit den Hunden Gassi geht und sich gut um mich kümmert. Er ist einer der wenigen Menschen, mit denen ich gut über meine Krankheit reden kann. Das ist das Seltsame an unserer Familiensituation: Es gab solche schlimmen Tiefpunkte in unseren Beziehungen untereinander und jetzt noch diese niederschmetternde Diagnose. Aber unser Verhältnis ist heute besser als zu der Zeit, als noch alles in Ordnung war.

"Ihre Stimmung schwankt enorm"

Marco P., 41, Einsatzleiter bei der Feuerwehr, lebt mit seinen Töchtern Lena, 16, und Sophie, 14, in Berlin

Eltern: ALLEIN MIT ZWEI MÄDCHEN Nach der Trennung von seiner Frau nahm Marco P. die Töchter Lena und Sophie bei sich auf. Eines Tages musste der Vater sich eingestehen, dass er Hilfe brauchte - und fuhr mit der Jüngeren in die Notaufnahme einer Jugendpsychiatrie
ALLEIN MIT ZWEI MÄDCHEN
Nach der Trennung von seiner Frau nahm Marco P. die Töchter Lena und Sophie bei sich auf. Eines Tages musste der Vater sich eingestehen, dass er Hilfe brauchte - und fuhr mit der Jüngeren in die Notaufnahme einer Jugendpsychiatrie
© Sibylle Fendt

Während meiner Ehe war ich der Feierabend-Spaßpapa. Haushalt und Alltag habe ich meiner Frau überlassen. Das änderte sich vor zwei Jahren, als beide älteren Töchter nach der Trennung zu mir zogen. Die dritte, damals sechs, blieb bei der Mutter. So war ich auf einmal für zwei Mädchen in der Pubertät zuständig, von denen die eine, Sophie, seit ihrer Geburt mit einer körperlichen Behinderung im Rollstuhl sitzt. Lena schlüpft gern in die Rolle der Mutter und maßregelt ihre Schwester, was oft zu Streit führt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie die Pubertät übersprungen hat – und weiß nicht, ob ich darüber froh sein soll.

Ganz anders Sophie: Besonders ihre Stimmungsschwankungen sind enorm. Als Kind war sie fröhlich und ging ganz pragmatisch mit ihrer Behinderung um. Doch in der Pubertät hat sie begonnen, mit ihren körperlichen Einschränkungen zu hadern. Sie versinkt oft in dem Gefühl, dass in ihrem Leben alles gegen sie läuft, und kapselt sich immer mehr ab. Es ist schwer geworden, sie zu etwas zu motivieren; alles ist mit stundenlangen Diskussionen verbunden oder mit großer Gereiztheit.

Eine Zeit lang arteten die Streitereien mit ihr in immer heftigere Vorwürfe und Drohungen aus. Sie warf mir vor, dass wir nicht mehr in einer „richtigen“ Familie leben würden, und beklagte, sie sei ohnehin in unserem Haushalt „nicht erwünscht“. Mir machte das sehr zu schaffen. Ich begann an mir zu zweifeln und grübelte, ob die Trennung von meiner Frau richtig gewesen war. Schließlich der Schock: „Dann bring ich mich eben um!“, schrie Sophie während einer Auseinandersetzung mit mir. Ob es nun ernst gemeint war oder nur eine Art Provokation oder ein Hilfeschrei – es traf mich massiv. Ich musste Hilfe suchen. Also fuhr ich mit Sophie in die Notaufnahme einer Jugendpsychiatrie. Als der Arzt dort vorschlug, sie für eine Nacht dazubehalten, knickte sie auf einmal ein und wollte unbedingt wieder mit nach Hause. Aber ich fand, dass sie da jetzt durchmusste, und holte sie erst am nächsten Tag wieder ab. Das war eine gute Entscheidung: Zum einen, weil ich wusste, dass sie nicht ernsthaft gefährdet war. Und zum anderen, weil Sophie sich seit dieser „Schocktherapie“ mit nicht ganz ernst gemeinten Drohungen und Vorwürfen zurückhält.

So schwierig die Situation manchmal ist: Das neue Leben hat mich meinen Töchtern nähergebracht. Ich weiß viel mehr über ihre Sorgen als früher. Gleichzeitig entfernen sie sich von mir – und das ist gut so. Schließlich sollen sie eines Tages eigenständig im Leben stehen.

Weitere Erfahrungsberichte finden Sie in

GEOkompakt Nr. 45 "Pubertät".

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GEO KOMPAKT Nr. 45 - 12/15 - Pubertät

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