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Leseprobe: Die Zeitmaschine in uns

Damit der Körper stets im richtigen Moment Optimales leisten kann, ist sein biologischer Rhythmus an den Verlauf von Tag und Nacht gekoppelt. Dafür sorgen Billionen winziger biochemischer Uhren in den Zellen, die mithilfe von Nervenzellen und Sonnenlicht synchronisiert werden. Gefährlich werden aber kann es, wenn der innere Takt aus der Balance gerät.

Lesen Sie einen Auszug aus der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Die Signale unseres Körpers":

Im Körper des Menschen ticken mehr biologische Zeitmesser, als es Uhren auf der Welt gibt – und jemals gegeben hat. Denn fast in jeder seiner rund 100 Billionen Zellen existiert ein inneres Uhrwerk, wahrscheinlich sogar mehrere. Könnte man ihr Ticken hören, so wäre der Lärm infernalisch.

Synchronisiert werden all diese Uhren von einem komplexen körpereigenen Zeitsystem. Etwa beim Übergang vom Tag auf die Nacht: Wird es draußen dunkel, registrieren das Sensoren in der Netzhaut des Auges, die einen zentralen Taktgeber im Gehirn alarmieren; der leitet die Information an die Uhren im Inneren der Körperzellen weiter, die daraufhin ihre Aktivität auf die Außenzeit abstimmen.

Das Phänomen Zeit ist so alt wie das Universum

Die Fähigkeit des Organismus, Zeit zu messen, zählt zu den erstaunlichsten Erfindungen der Evolution. Denn eigentlich weiß der Körper nichts von Sekunden, Minuten oder Stunden – all diesen von Menschen gemachten Einteilungen der Zeit. Solche Begriffe existieren ja erst seit wenigen Tausend Jahren. Das Phänomen Zeit hingegen ist mindestens so alt wie das Universum selbst.

Wer 13 Stunden lang ein Flugzeug steuert und dabei zehn Zeitzonen überwindet, muss lernen, die innere Uhr "auch mit Gewalt" umzustellen. Um so schnell wie möglich in der Ortszeit anzukommen, lässt Dietmar Wolff, Chefpilot bei Condor, am Ziel die Rollläden runter und schläft auch tagsüber - schon eine Stunde hilft. Bis zu drei Tage müssen Piloten nach einem Langstreckenflug pausieren
Wer 13 Stunden lang ein Flugzeug steuert und dabei zehn Zeitzonen überwindet, muss lernen, die innere Uhr "auch mit Gewalt" umzustellen. Um so schnell wie möglich in der Ortszeit anzukommen, lässt Dietmar Wolff, Chefpilot bei Condor, am Ziel die Rollläden runter und schläft auch tagsüber - schon eine Stunde hilft. Bis zu drei Tage müssen Piloten nach einem Langstreckenflug pausieren
© Heiner Müller-Elsner für GEOkompakt
Wie lange ein Lotse arbeitet, entscheidet an der Elbmündung oft der Zufall: je nachdem, ob er auf einem schnellen Kühlschiff fährt oder auf einem trägen Frachter. Häufig arbeitet Nico Aissen nachts, doch dass er wenig schläft, stört ihn nicht. Die Verantwortung halte ihn wach, sagt er
Wie lange ein Lotse arbeitet, entscheidet an der Elbmündung oft der Zufall: je nachdem, ob er auf einem schnellen Kühlschiff fährt oder auf einem trägen Frachter. Häufig arbeitet Nico Aissen nachts, doch dass er wenig schläft, stört ihn nicht. Die Verantwortung halte ihn wach, sagt er
© Heiner Müller-Elsner für GEOkompakt

Und seit Jahrmillionen müssen sich der Mensch und seine direkten Vorfahren – und mit ihm alle anderen Lebewesen – in einer Welt behaupten, die bestimmt wird von natürlichen Rhythmen: etwa dem Wechsel von Tag und Nacht und damit von Licht und Finsternis; aber auch von den Mondphasen sowie den vier Jahreszeiten; und von den Gezeiten an den Küsten großer Meere. Zudem schwankt die Temperatur an manchen Orten des Globus binnen eines Tages zwischen extremer Hitze und Kühle in der Nacht.

Verfügte der Mensch über kein inneres Zeitsystem, zu dem die Billionen Zelluhren sowie der zentrale Taktgeber im Hirn gehören, könnte er in dieser Umwelt nicht überleben. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist der Homo sapiens selbst ein zeitliches, ein getaktetes Wesen: Alle Funktionen seines Körpers unterliegen einem Auf und Ab, einem Rhythmus.

Ohne innere Uhr herrschte Chaos

Der auffälligste davon ist der Wechsel zwischen Schlafen und Wachen – länger als ein paar Tage kann der Mensch nicht ohne Schlaf bleiben. Aber auch Hungergefühl, Verdauung und Konzentrationsfähigkeit folgen eigenen Rhythmen – wie letztlich alle Vorgänge im Körper. Gäbe es keine Instanz, die all diese Prozesse steuert und aufeinander abstimmt, herrschte Chaos.

Zudem – und das ist der zweite Grund, weshalb es eine innere Uhr geben muss – bieten die Rhythmen der Außenwelt dem Organismus keine verlässliche zeitliche Orientierung. Denn sie bedeuten ständige Veränderung. Zwar ist etwa die Länge eines Tages astronomisch gesehen nahezu konstant. Sie entspricht der Dauer, die der Erdball benötigt, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen: 24 Stunden (mit wenigen Sekunden Abweichung).

Weil aber diese Achse geneigt ist und sich die Erde zugleich um die Sonne bewegt, verschiebt sich mit jedem Tag der Zeitpunkt von Sonnenaufgang und Abenddämmerung. Nur in den Gegenden um den Äquator sind alle Tage und Nächte ungefähr gleich lang.

Würde der Mensch immer dann ermüden, wenn es dunkelt, und erwachen, sobald es wieder hell wird, würde er im Dezember 16 Stunden täglich verdämmern – doppelt so viele wie im Durchschnitt biologisch nötig. Umgekehrt wäre es unvorteilhaft, ausgerechnet in den hellen acht Stunden des Tages zu schlafen.

Die innere Uhr ist also notwendig, um die natürliche Schlafdauer zu begrenzen; sie muss ein Signal geben, sobald sieben oder acht Stunden abgelaufen sind und es Zeit ist, mithilfe von Hormonkaskaden den Körper zu wecken. Zugleich passt sie das Ruhebedürfnis eines Lebewesens dem äußeren Hell-Dunkel-Wechsel an und verlegt den Schlaf in die Nacht.

Bei Langstreckenregatten kann Einhandsegler Jörg Riechers zwei Wochen lang täglich nicht mehr als drei Stunden schlafen - und auch das nur verteilt auf mehrere Kurzphasen von weniger als einer Stunde. Denn auf seinem 6,50 Meter langen Mini-Segelboot ist er ganz allein und rund um die Uhr im Einsatz. Wie das seinen Körper strapaziert, zeigt sich deutlich. Nach ein paar Tagen beginnen Halluzinationen: ein Warnsignal des Hirns, dass er sich etwas länger ausruhen muss. Dann stellt er den Autopiloten an und schläft ein. Bis ihn ein Alarm, ein Wellenschlag oder der Wind weckt.
Bei Langstreckenregatten kann Einhandsegler Jörg Riechers zwei Wochen lang täglich nicht mehr als drei Stunden schlafen - und auch das nur verteilt auf mehrere Kurzphasen von weniger als einer Stunde. Denn auf seinem 6,50 Meter langen Mini-Segelboot ist er ganz allein und rund um die Uhr im Einsatz. Wie das seinen Körper strapaziert, zeigt sich deutlich. Nach ein paar Tagen beginnen Halluzinationen: ein Warnsignal des Hirns, dass er sich etwas länger ausruhen muss. Dann stellt er den Autopiloten an und schläft ein. Bis ihn ein Alarm, ein Wellenschlag oder der Wind weckt.
© Heiner Müller-Elsner für GEOkompakt

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Alle Teile des körpereigenen Zeitsystems greifen so perfekt und selbstverständlich ineinander, dass Forscher lange bezweifelt haben, dass der Mensch überhaupt eine innere Uhr besitzt. Sie glaubten vielmehr, dass Schwankungen wie die des Pulses und der geistigen Leistungsfähigkeit lediglich Reaktionen auf äußere Einflüsse seien.

Dabei war ja unübersehbar, dass es überall in der Natur Rhythmen gibt: Gewächse blühen zu bestimmten Tageszeiten, zahlreiche warmblütige Tiere wie Fledermaus oder Igel halten Winterschlaf. Im Jahr 1729 gelang einem Außenseiter der erste Nachweis, dass Pflanzen einen inneren Zeitmesser besitzen. Der französische Astronom Jean-Jacques d’Ortous de Mairan studierte die Mimose, ein Gewächs, das seine Blätter nachts verschließt, morgens wieder entrollt und dem Sonnenlicht zuwendet.

De Mairan stellte ein Exemplar der Pflanze für einige Zeit in die Dunkelheit – doch auch dann bewegte sie zu den gleichen Tageszeiten ihre Blätter. Der Rhythmus konnte nicht vom Licht ausgelöst sein, offenbar wurde er von einem eigenen Mechanismus gesteuert.

Experimente bewiesen die Existenz des inneren Taktgebers

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es Biologen, solch einen inneren Taktgeber auch bei Tieren nachzuweisen. Sie zeigten, dass die Körpertemperatur bei Affen im Laufe eines Tages in einem bestimmten Rhythmus schwankt, auch dann, wenn die Außentemperatur und das Sonnenlicht konstant bleiben.

Versuche am Menschen waren dagegen schwieriger – man musste ihn dazu völlig von der Außenwelt isolieren. In den 1960er Jahren begannen deutsche Forscher mit einem heute berühmten Experiment der damals noch jungen Chronobiologie (der Wissenschaft von den inneren Uhren): Im bayerischen Andechs ließen sie zwei Apartments in einen Hügel bauen, eine Art Bunker. Dort sollten Freiwillige mehrere Wochen verbringen.

Wenn er Rufbereitschaftsdienst hat, arbeitet Unfallchirurg Oliver Born 80 bis 90 Stunden pro Woche. Dabei kann es vorkommen, dass er nach einer Tagschicht nachts zu einem Notfall in den OP gerufen wird, bis vier Uhr operiert, kurz schläft und dann um zehn Uhr zur nächsten Schicht antreten muss. Manchmal fühlt er sich dann so gerädert, dass ein anderer Arzt den Dienst für ihn übernimmt
Wenn er Rufbereitschaftsdienst hat, arbeitet Unfallchirurg Oliver Born 80 bis 90 Stunden pro Woche. Dabei kann es vorkommen, dass er nach einer Tagschicht nachts zu einem Notfall in den OP gerufen wird, bis vier Uhr operiert, kurz schläft und dann um zehn Uhr zur nächsten Schicht antreten muss. Manchmal fühlt er sich dann so gerädert, dass ein anderer Arzt den Dienst für ihn übernimmt
© Heiner Müller-Elsner für GEOkompakt
Wenn früh um halb fünf der Wecker klingelt, muss Van-Carrier-Führer Thorben Seidler sofort aufstehen, sonst schläft er wieder ein. Die Nachtschicht ist für ihn ein ständiger Ausnahmezustand. Dann falle es ihm schwerer, sich zu konzentrieren, sagt der Hafenarbeiter. Wenn die Augen brennen, stoppt er das Fahrzeug, um frische Luft zu schnappen. Das bringt ihn wieder in Form
Wenn früh um halb fünf der Wecker klingelt, muss Van-Carrier-Führer Thorben Seidler sofort aufstehen, sonst schläft er wieder ein. Die Nachtschicht ist für ihn ein ständiger Ausnahmezustand. Dann falle es ihm schwerer, sich zu konzentrieren, sagt der Hafenarbeiter. Wenn die Augen brennen, stoppt er das Fahrzeug, um frische Luft zu schnappen. Das bringt ihn wieder in Form
© Heiner Müller-Elsner für GEOkompakt

Eine Eingangsschleuse, fensterlose Wände und ein Mantel aus Kupferdrähten schirmten sie von allen äußeren Zeitgebern ab. Die Versuchsteilnehmer konnten frei über ihren Tagesablauf entscheiden. Das Resultat: Selbst im Bunker schliefen die Probanden im Schnitt sieben bis acht Stunden und waren 17 bis 18 Stunden wach.

Ihre Tage pendelten sich nach und nach auf einen 25-Stunden-Rhythmus ein. Über eine Sonde maßen die Forscher die Körpertemperatur der Bunkerbewohner und analysierten in Urinproben den Gehalt von Stoffwechselprodukten und Hormonen. Auch deren Schwankungen folgten dem 25-Stunden-Muster.

Das war der Beweis: Auch in der Isolation unterliegt der menschliche Organismus einem Rhythmus, den die Wissenschaftler circadian (lat. für „ungefähr ein Tag“) nannten. Demnach verfügen nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch Menschen über eine Uhr, die einen inneren Tag erzeugen kann, der etwa der Dauer einer Erdrotation entspricht.

Wie funktioniert das geheimnisvolle Uhrwerk?

Inzwischen weiß man, dass die unnatürliche Versuchssituation das Ergebnis minimal beeinflusst hatte. Im Schnitt ist die innere Uhr des Menschen auf einen Rhythmus von 24 Stunden und 20 Minuten getaktet. Damit war belegt: Es gibt ein geheimnisvolles Uhrwerk im menschlichen Körper. Drei wichtige Fragen blieben jedoch unbeantwortet:

• Wo sitzt dieses innere Uhrsystem? • Wie misst es die Zeit?

• Auf welche Weise passt es sich dem äußeren Tagesverlauf an und steuert den menschlichen Körper?

Den vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Die Signale unseres Körpers" nachlesen.

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GEO KOMPAKT Nr. 26 - 03/11 - Die Signale unseres Körpers

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