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Leseprobe: Die Industrie, die uns satt macht

Nie zuvor hatte der Verbraucher eine derart immense Auswahl wie heute. Doch die Folgen der überwiegend großtechnischen Produktion sind drastisch

Inhaltsverzeichnis

Lesen Sie einen Auszug aus der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Gesunde Ernährung":

Wer in der westlichen Welt heutzutage einen Supermarkt betritt, steht vor einem schier unüberschaubaren Angebot: Bis zu 30.000 unterschiedliche Lebensmittel umfasst das Sortiment in den Filialen mancher deutscher Handelsketten. Ein Rausch der Farben, der schönen Verpackungen und der verführerischen Düfte.

Doch vieles sieht man nicht: beispielsweise die Enge der Ställe, in denen jene Hühner und Schweine heranwuchsen, deren Fleisch nun in der Auslage präsentiert wird. Die vielen Tausend Kilometer, die manche Nahrungsmittel zurückgelegt haben, bevor man sie in die Regale einsortieren konnte. Die Regenwaldgebiete, die gerodet wurden, um Nahrungspflanzen für europäische Nutztiere anzubauen. Die Vielzahl an Zusatzstoffen, mit denen die Fertiggerichte hergestellt wurden.

Wohl nie zuvor war sich der Konsument weniger darüber klar, woher sein Essen kommt und wie es hergestellt wird. Denn die Menschen bereiten ihre Nahrung immer seltener selbst zu, sondern gießen sich etwa morgens Milch auf maschinell gefertigte Frühstücksflocken, gehen mittags in die Betriebskantine und schieben abends eine Tiefkühlpizza in den Ofen.

Kaum jemand denkt beim Biss in sein Brötchen noch an wogende Weizenfelder, deren Korn das Mehl liefert, oder bringt den Geruch eines saftigen Steaks mit dem eines weidenden Rindes in Verbindung. Stattdessen stoßen die Menschen im Supermarkt auf eine ungeheure Fülle ästhetisch inszenierter und immer gleich gestalteter Lebensmittel.

Früchte und Gemüse aus der ganzen Welt stapeln sich zu jeder Jahreszeit auf den Verkaufstischen. Das Fleisch von Rindern, Schweinen, Hühnern, Puten, Enten und Lämmern lagert in den Theken, eine verblüffende Zahl von exotisch anmutenden Schokoladen mit den unterschiedlichsten Füllungen und Geschmacksrichtungen verführt die Käufer, und es lockt ein riesiges Angebot von Fertiggerichten.

24 Stunden am Tag kann ein Mensch heute in deutschen Großstädten einkaufen. Er erwartet, dass die Nahrungsmittel sicher, frisch, lange haltbar und permanent aus allen Winkeln der Erde verfügbar sind – selbstverständlich unabhängig von Jahres- und Erntezeiten.

Und tatsächlich mögen viele dieser Produkte gesund sowie ökologisch und ethisch unbedenklich sein. Aber natürlich sind es nicht alle.

Denn wie kann es angehen, dass ein Hähnchenbrustfilet in manchen Supermärkten für weniger als fünf Euro pro Kilo zu haben ist, die gleiche Fleischportion bei einem Bio-Hähnchen dagegen fast 30 Euro kostet? Weshalb sind in der EU allein 321 Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln zugelassen und Hunderte weitere chemische Substanzen im Essen enthalten, die in der natürlichen Nahrung nicht vorkommen? Welchen Sinn macht es, hiesige Rinder, Schweine und Hühner mit Sojabohnen aus Brasilien zu füttern?

Wer denkt schon daran, dass für unseren Schokoladengenuss Kinder in Kakaoplantagen arbeiten müssen, bei der Zucht von Shrimps Mangrovenwälder geopfert werden, dass in manchen Suppen nicht ein Stück echtes Gemüse enthalten ist und in bestimmten Erdbeerjoghurts nicht eine einzige Frucht?

Sicher, die industrielle Nahrungsmittelerzeugung hat uns Konsumenten in eine äußerst komfortable Situation versetzt, weil wir heutzutage Lebensmittel jeder Qualität und Preisklasse einkaufen können. Doch der Druck, möglichst preisgünstig und maschinell zu produzieren, hat auch Bedingungen geschaffen, die auf Kosten der lebenden Kreaturen, der Umwelt und womöglich unserer Gesundheit gehen.

Die folgenden sieben Kapitel offenbaren einige Hintergründe der modernen Lebensmittelproduktion, die der Verbraucher kennen sollte, wenn er sich gesünder, umweltfreundlicher und ohne ethische Bedenken ernähren will.

Eine Armada von 25 Maschinen erntet Soja in Brasiliens Bundesstaat Mato Grosso. Millionen Hektar solcher Felder liefern eiweißreiches Kraftfutter, um in Europa und China Fleisch billig, schnell und in großen Mengen produzieren zu können – mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Natur, denn solcheMonokulturen führen unter anderem zu vermehrter Bodenerosion, Verschmutzung des Wassers und Verlust der Artenvielfalt
Eine Armada von 25 Maschinen erntet Soja in Brasiliens Bundesstaat Mato Grosso. Millionen Hektar solcher Felder liefern eiweißreiches Kraftfutter, um in Europa und China Fleisch billig, schnell und in großen Mengen produzieren zu können – mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Natur, denn solcheMonokulturen führen unter anderem zu vermehrter Bodenerosion, Verschmutzung des Wassers und Verlust der Artenvielfalt
© Paulo Fridman/corbis

Der Herzinfarkt auf dem Bauernhof

Weshalb 20 Hühner auf einem Quadratmeter leben müssen, Schweine zu Kannibalen werden – und wie Großbetriebe es schaffen, 2,5 Millionen Vögel pro Woche zu schlachten

Einem Stück Fleisch im Kühlregal sieht man nicht an, wie das Tier, von dem es stammt, gewachsen ist. Unter welchen Bedingungen ein Huhn oder ein Schwein gehalten wurde, ob es frei herumlaufen konnte, ob es Schmerzen hatte, wie es getötet wurde: All das verraten ein abgepackter Schenkel oder eine tiefgekühlte Lende nicht.

Und doch lassen die Preise erahnen, dass es für einige Mäster extrem billig sein muss, ein Tier von der Geburt zur Schlachtreife zu bringen. Bei vielen Discountern etwa kostet ein Pfund Schweinehack weniger als ein Salatkopf aus der Region. Das ist nur möglich, weil unter den Produzenten ein äußerst harter Konkurrenzkampf tobt, den die Discounter für sich zu nutzen wissen (etliche Schweinemäster müssen ihre Tiere zurzeit sogar zu geringeren Preisen verkaufen – 1,55 Euro je Kilo Lebendgewicht –, als die Aufzucht an Kosten verursacht – 1,75 Euro je Kilo – nur um im Markt zu bleiben).

Diese niedrigen Preise sind es, die etwas über das Leben der Tiere erzählen. Hinter ihnen verbirgt sich eine Hightech- Industrie, die einzig darauf ausgerichtet ist, möglichst viel Fleisch auf kleiner Fläche in möglichst kurzer Zeit zu produzieren.

98 Prozent des heute in Deutschland verzehrten Fleisches stammt aus der Massentierhaltung. Dementsprechend führen fast alle zwölf Millionen Rinder, 27 Millionen Schweine und 114 Millionen Hühner, die bei uns Jahr für Jahr gehalten werden, ein kurzes, wenig artgerechtes Dasein.

So stehen in riesigen Ställen oft bis zu 5000 Schweine, dicht an dicht auf Betonspaltenboden ohne Einstreu, die Leiber von Kratz- und Beißspuren gezeichnet.

Jedes Tier hat nur 0,75 Quadratmeter Platz – also kaum Möglichkeit, seine Neugier und seinen Spieltrieb zu befriedigen. Dabei kommt die Intelligenz von Schweinen der von Hunden gleich, und der Mangel an Auslauf und Beschäftigung frustriert sie, macht sie aggressiv.

Damit sich die Mastschweine vor Langeweile nicht gegenseitig in die Schwänze beißen und so Infektionen bekommen, wird ihnen kurz nach der Geburt der Schwanz (meist ohne Betäubung) bis auf einen Stummel abgeschnitten. Den Ferkeln werden auch die Zähne abgekniffen, damit die Muttersauen sie bereitwilliger saugen lassen. Junge Mastschweine neigen gar zu Kannibalismus: Hat sich ein Tier verletzt, kommt es vor, dass Artgenossen den Verwundeten auffressen.

Für die Sauen ist es noch schlimmer: Ein enger Gitterkäfig macht es ihnen unmöglich, sich umzudrehen. So wird verhindert, dass sie die Ferkel durch ihr Gewicht erdrücken.

Auch in modernen Geflügelfarmen geht es eng zu: In manchen Hallen leben 40.000 Hühner, auf einem Quadratmeter drängen sich mehr als 20 Tiere. Die Vögel kennen weder frische Luft noch die Sonne, nur künstliches Licht, das in die fensterlosen Räume strahlt. Der echte Tag würde die Hühner vermutlich nur noch mehr unter Stress setzen: Versuche haben gezeigt, dass die hochgezüchteten Tiere auf einem Bauernhof schon nach wenigen Wochen an Herzinfarkt sterben.

Wie stark die Masthühner auf immer höhere Effizienz der Massenproduktion optimiert worden sind, zeigt auch ihr Wachstum. Vor 50 Jahren wurde ein Huhn nach zwei Monaten mit einem Gewicht von einem Kilogramm geschlachtet. Heute nimmt es fast dreimal so schnell an Masse zu: Ein Küken wiegt beim Schlüpfen etwa 42 Gramm, nach drei Tagen das Doppelte, nach einer Woche das Fünffache, im schlachtreifen Alter von 35 Tagen bereits rund 1,6 Kilogramm.

Den vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von GEOkompakt zum Thema "Gesunde Ernährung" nachlesen.

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GEO KOMPAKT Nr. 30 - 03/12 - Gesunde Ernährung

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