Inhaltsverzeichnis
- Würden Sie also manchen Leuten raten, von sportlicher Aktivität einfach ganz abzusehen?
- Wenn mein Hirn diese Belohnungsstoffe schon vor dem Sporterlebnis ausschüttet – warum sollte ich mich überhaupt noch zum Joggen oder Training aufmachen?
- Mancher Hobbysportler erlebt Folgendes: Er gerät in eine Motivationskrise, hört mit dem Sport auf. Dann hat er Schwierigkeiten, wieder mit dem Training zu beginnen, weil er befürchtet, erneut zu scheitern. Was raten Sie so jemandem?
GEOkompakt: Herr Professor Kleinert, weshalb fällt es so vielen Menschen so schwer, sich zur Bewegung zu motivieren, obwohl sie das Gefühl haben, dass sie eigentlich Sport treiben sollten?
Jens Kleinert: Ganz einfach – weil es den meisten Menschen keine Freude macht, sich körperlich anzustrengen. Wir fühlen uns stets am stärksten motiviert, diejenigen Dinge zu tun, die positive Gefühle hervorrufen. Dinge, die wir genau dann genießen, wenn wir sie ausführen. Handlungen, die wir allein tun, um sie zu tun. Ohne Ziel, nur zum Selbstzweck. In der Psychologie sprechen wir von intrinsischer, also im Tun liegender Motivation, die wie von selbst aus dem tiefsten Inneren hervorgeht.
Was tun Menschen aus einer solchen intrinsischen Motivation heraus?
Sie gehen beispielsweise ins Kino. Nicht, weil sie damit ein Ziel verfolgen, das über diesen konkreten Besuch hinausgeht, sondern um den Film während der Vorführung zu genießen.
Oder: Menschen nehmen einander in der Regel nicht deshalb in den Arm, weil sie damit eine Strategie verfolgen, sondern weil sich die zärtliche Berührung gut anfühlt. Oder: Wir trinken während dieses Interviews einen Kaffee miteinander, weil wir den Geschmack, die Wärme genießen, weil Kaffeetrinken eine gemütliche Atmosphäre schafft; wir trinken ihn nicht, weil wir damit bezwecken, hinterher wacher zu sein.
Manchen Menschen geht es auch beim Sport so: Die sind intrinsisch motiviert, die bewegen sich allein schon deshalb, weil sie sich dabei wohlfühlen. Für sie gilt der klassische Spruch: Der Weg ist das Ziel.

Was ist mit all den anderen, die sich zum Sport aufraffen müssen und die Bewegung nicht genießen können? Sind solche Menschen überhaupt nicht motiviert?
Doch. Denn es gibt noch eine zweite Art von Motivation, die neben der intrinsischen existiert: die extrinsische.
Extrinsisch tut jemand etwas, weil er dadurch ein bestimmtes Ziel erreichen will – die Handlung ist dann Mittel zum Zweck. Die meisten Menschen sind beim Sport eher extrinsisch motiviert: Sie wollen etwa abnehmen, gesund bleiben, eine attraktive Figur bekommen.
Alles nachvollziehbare Ziele.
Natürlich. Extrinsisch motivierte Handlungen sind grundsätzlich nichts Schlechtes. Das Problem dabei ist nur: Wir erledigen sie häufig ungern. Das hat auch damit zu tun, wie tief ein Mensch ein bestimmtes Verhalten in sein Selbst integriert hat. Je weniger etwas in meine Identität eingebunden ist, desto weniger motiviert bin ich, es zu tun. Sportpsychologen unterscheiden da zwei Stufen der Verhaltenssteuerung: die externale und die introjizierte.
Das müssen Sie uns erklären.
Der externale Antrieb zeigt sich bei Menschen, die sich nur deshalb körperlich ertüchtigen, weil sie sonst negative Konsequenzen fürchten. Sie fühlen sich gedrängt. Ihre Triebfeder ist die Angst – etwa davor, einen Herzinfarkt zu bekommen. Oder vielleicht ausgelacht zu werden. Der externale Antrieb ist sicherlich die ungünstigste Form von Motivation. Die Form, die am wenigsten in mein Ich integriert ist.
Ist der externale Antrieb verbreitet?
Ja, sehr sogar. Selbst viele Hochleistungssportler sind angstmotiviert. Zwar ist es nicht schlimm, kurzzeitig etwas aus Angst vor Konsequenzen zu tun. Es sollte aber die Ausnahme sein. Denn Angst kann auf Dauer krank machen.
Und die introjizierte Motivation?
Die zeigt sich darin, dass Menschen das Gefühl haben, andere erwarteten von ihnen, Sport zu treiben: ihr Arzt, Freunde, der Partner. Sie stehen dann unter Spannung, auch wenn sich viele dessen nicht bewusst sind.
Weil sie im Grunde gar keinen Sport treiben wollen?

Ja und sich dennoch dazu gedrängt fühlen. Bewegung gehört nicht zu ihnen, andererseits werden sie angetrieben durch eine Stimme, die sagt: Du musst fit sein. Solche Mechanismen wirken für gewöhnlich im Verborgenen. Psychoanalytiker würden sagen, hier arbeitet das Über-Ich.
Diese Instanz diktiert, dass Sport etwas ist, was man nun einmal tun muss. Da geht es um Normen, um Werte, um sozial Gelerntes. Natürlich versucht ein Mensch, diesen äußerst unangenehmen Widerspruch aufzulösen.
Und wie gelingt ihm das?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste: Der Betreffende zwingt sich mit aller Kraft dazu, Sport zu treiben, er leidet also, um sein schlechtes Gewissen zu bekämpfen. Die zweite Möglichkeit: Er wehrt sich – ganz bewusst – gegen das Diktat des Über-Ichs. Und entscheidet sich für eine absolute Sportabstinenz.
Und damit löst er die Spannung?
Ja. Das mag zwar drastisch klingen, ist aber ein Trick der Psyche, der erstaunlich gut funktioniert. Denn die Entscheidung gegen den Sport macht einen nicht etwa unzufrieden. Ganz im Gegenteil: Der Entschluss befreit vom Unglück der inneren Spannung, führt zu psychischer Erleichterung, kann gar glücklich machen.
Würden Sie also manchen Leuten raten, von sportlicher Aktivität einfach ganz abzusehen?
Die Forderung, jeder von uns müsse irgendeinen Sport treiben, halte ich für gefährlich. Damit können wir viele Mitmenschen sehr unglücklich machen – ja sogar psychisch krank.
Das Verhalten eines Menschen ist in letzter Konsequenz immer daran ausgerichtet, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, zum Beispiel nach Kompetenz oder Autonomie. Denn nur das bringt ihn in seiner Persönlichkeit weiter. Bedürfnisbefriedigung aber kann ich letztendlich bei jeder Verhaltensweise erreichen. Ich muss also in meinem Leben nicht unbedingt Sport treiben, um mich weiterzuentwickeln, um zufrieden zu sein, um psychisch gesund zu sein. Ja noch nicht einmal unbedingt, um bei körperlicher Gesundheit zu bleiben.
Aber es ist doch ungesund, sich gar nicht zu bewegen.
Natürlich. Aber niemand steht ja völlig still. Ein gewisser Hang zur Bewegung ist tief in jedem Menschen verankert – selbst in jenen von uns, die Sport hassen. Ich spreche vom natürlichen Bedürfnis nach Alltagsbewegungen: sich zu strecken, ein wenig umherzulaufen, sich die Hände zu reiben.
Dieser genetisch verwurzelte Impuls lässt sich gut bei Tieren beobachten: Ein Kaninchen etwa, das einsam auf einer Wiese sitzt, fängt plötzlich an hochzuspringen und Haken zu schlagen – selbst wenn kein Fressfeind in der Nähe ist. Das Tier bewegt sich einfach aus einem Impuls heraus – und trainiert damit letztlich seine Muskulatur.
Selbst der unsportlichste Mensch will nicht den ganzen Tag über nur sitzen oder liegen. Auch er geht mal an die frische Luft, dehnt sich, rekelt sich morgens. Mit Sport hat das überhaupt nichts zu tun. Um sich zu bewegen, muss niemand ins Fitnessstudio gehen.
Also noch mal: Wir haben Bedürfnisse in uns, die wir befriedigen müssen, das ist ein Grundsystem unseres Lebens, aber das klassische Sporttreiben brauchen wir dafür nicht unbedingt. Es gibt selbstverständlich Menschen, die völlig befriedigt sind in allem, was sie haben, ohne Sport zu treiben.

Was raten Sie all jenen, die keine rechte Lust am Sport haben, sich aber wünschen, motivierter zu sein? Und sich nicht immer zwingen wollen?
Ich versuche immer erst zu verstehen, weshalb jemand überhaupt den Drang verspürt, Sport zu treiben. Dann versuche ich dem Betreffenden zu zeigen, wie er beim Sport seine Grundbedürfnisse befriedigen kann.
Nehmen wir einen Menschen, der sich – wenn überhaupt – nur mit größter Mühe dazu zwingen kann, morgens vor der Arbeit zu joggen. Und nehmen wir an, er tut dies vornehmlich mit dem Ziel, an Gewicht abzunehmen. Dann setze ich alles daran, dass für ihn genau dieses Ziel nicht mehr primär ist, nicht mehr im Vordergrund steht.
Heißt das, er soll sein Ziel aufgeben?
Nein, es soll sich nur eine zusätzliche Motivation in ihm entfalten. Das ist deshalb möglich, weil wir keine Schwarz-Weiß-Persönlichkeiten sind – dafür ist die menschliche Psyche viel zu komplex. Es gibt niemanden, der ausschließlich intrinsisch motiviert ist, und niemanden, der allein zweckorientiert, also extrinsisch angetrieben wird.
Jedes Verhalten kann von mehreren verschiedenen Motivationen ausgelöst werden. Es kann zugleich intrinsisch motiviert sein – ich mache etwas, weil es mir größte Freude bereitet – und extrinsisch – ich mache es auch, weil ich das Gefühl habe, dass es ich es tun soll, etwa weil ich ein bestimmtes Ziel erreichen will.
Und ich würde als Psychologe im Gespräch mit diesem Hobbysportler immer versuchen, vor allem die intrinsischen Anteile in den Mittelpunkt zu rücken.
Wie läuft dieser Gesprächsprozess ab?

Er beginnt mit einer Suche. Im Dialog versuchen wir zu ergründen, ob es nicht doch etwas gibt, was dem Betreffenden während der Bewegung Freude macht. Das ist eine Technik, die prinzipiell auch im Selbstgespräch funktioniert. Anfangs kommen dem Betroffenen vermutlich nur negative Gedanken: Morgens ist es mir immer viel zu kalt für den Sport, ich bin doch noch müde, es ist unangenehm.
Aber schließlich fällt ihm vielleicht doch etwas Schönes ein: die Stille am Morgen, die frische Luft, das Geräusch der Schritte, ein angenehmes Gefühl des Stolzes, dass man es doch geschafft hat, sich aufzuraffen. Vielleicht sagt er sich: In dem Augenblick, wo ich laufe, erlebe ich mich als kompetent.
Es geht also nicht darum, mir selbst etwas zu beweisen, sondern es geht um das Erlebnis, mir etwas bewiesen zu haben. Und das ist ein großer Unterschied.
Das Gleiche gilt für jemanden, der nur das Ziel vor Augen hat, eine Medaille zu gewinnen. Das ist zunächst ja eine überaus extrinsische Motivation. Doch in dem Augenblick, wo ein Mensch die erwünschte Medaille erhält, stellt sich ein inneres Hochgefühl ein.
Und das ist intrinsisch geprägt?
In dem Moment, wenn er die Medaille in Händen hat: ja. Und fast ebenso stark motiviert ihn, dieses euphorische Gefühl schon lange vor dem Sieg im Kopf zu haben – es gleichsam zu erleben, bevor es da ist.
Das heißt konkret: Nicht das schnöde Ziel, eine Medaille zu gewinnen, treibt ihn, sondern die Vorstellung, die Medaille bereits in den Händen zu halten. Und solche Dinge trainieren wir mit Menschen, die wir motivieren wollen. Wir versuchen, Situationen vorstellbar zu machen, bevor sie der Betreffende erlebt.
Das ist übrigens etwas, was ein Mensch kann, ein Tier dagegen vermutlich nicht. Wir vermögen Erlebnisse zu antizipieren und können uns so fühlen, als ob die Situation schon eingetreten wäre. Wenn sich darin dann ein intrinsisches oder wenigstens ein stark verinnerlichtes Gefühl versteckt, haben wir Zugang zur höchsten Motivationsebene.
Das klingt gewissermaßen nach einer simulierten Belohnung.
Genau so ist es. Hirnphysiologisch laufen hier ähnliche Prozesse ab wie bei einer echten Belohnung. Ein Beispiel: Stellt sich ein Mensch, der morgens nicht aus dem Bett aufstehen mag, so plastisch wie möglich vor, wie er durch den Wald läuft und die Stille genießt, führt allein die Imagination zu neuropsychologischen Veränderungen, zu einem Belohnungsprozess. Das Hirn schüttet Botenstoffe aus, die ein Gefühl des Wohlseins hervorrufen.
Wenn mein Hirn diese Belohnungsstoffe schon vor dem Sporterlebnis ausschüttet – warum sollte ich mich überhaupt noch zum Joggen oder Training aufmachen?
Ganz einfach: Sie wollen das, was sich in Ihrer Vorstellung bereits gut anfühlt, nun auch tatsächlich erleben. Wer also diesen kognitiven Schritt schafft, der ist morgens auch nicht mehr müde, der steht trotz widriger Umstände aus dem Bett auf. Denn nicht zuletzt aktiviert das innere Bild Teile des Stammhirns, die wach machen.
Scheitern nicht sehr viele Leute daran?
Ein inneres, positives Bild zu entwickeln – das bedeutet unter Umständen hartes Training. Wichtig dabei ist: Ich darf mich nicht selbst belügen, das Bild muss sich bestätigen. Das funktioniert nicht, wenn ich mir morgens vorstelle, die Stille im Wald zu genießen – ich die Stille dann aber gar nicht als positiv empfinde, wenn ich tatsächlich im Wald bin. Entspricht das Bild, die Vorstellung allerdings der Realität, ist der Grundstein gelegt. Der Rest ist Training.
Genau das üben wir auch mit professionellen Athleten: im richtigen Augenblick die richtige Vorstellung abzurufen. Der wichtigste Schritt ist immer, ein Bild zu finden, das innerste Bedürfnisse stark und unmittelbar anspricht.
Ein positives Bild bezüglich "Joggen im Wald" zu entwickeln, dürfte nicht allzu schwer fallen. Aber wie schaut es mit Sport im Fitnessstudio aus? Das scheint weitaus schwieriger zu sein.
Nein, überhaupt nicht. Auch beim Fitnesstraining fühlt sich für die meisten Menschen nicht alles so fürchterlich an. Nehmen wir jemanden, der sein Work-out stets auf dem Cross-Trainer startet und mir sagt, dass er die Übung nicht leiden kann. Dass das Gerät nur Mittel zum Zweck ist – zum Aufwärmen. In einem solchen Fall frage ich ihn, wie sich das anfühlt, dieses Warmwerden. Antwortet er dann, dass dies nicht unangenehm ist, haben wir einen Ansatz. Ein wichtiges Stück eines Motivs.
Und dann?
Ich helfe ihm, sich auf seinen Körper zu konzentrieren, in der Aktivität etwas zu sehen, das einerseits sinnvoll ist – nämlich sich aufzuwärmen –, das andererseits aber plötzlich auch zum Selbstzweck wird. Denn es kann etwas Schönes daran sein, wenn man merkt, wie die Muskeln aktiv werden, wie die Gelenke warm werden. Oder wie sich nach einiger Zeit die Lunge weitet, wie Atemzüge tiefer und ruhiger werden.
Die Methode klingt fast zu simpel, als dass sie Erfolg haben könnte.
Ja, es mag trivial klingen, aber es funktioniert. Zwar dauert es zuweilen ziemlich lange, bis das intrinsische Moment gefunden ist. Und auch dann mag es immer noch viel Zeit und Training erfordern, damit diese Fokussierung auf das Angenehme immer besser gelingt, immer stabiler wird. Aber es ist der beste Weg, sich für den Sport zu motivieren: die Aufmerksamkeit von einer extrinsischen Steuerung auf eine intrinsische zu lenken.
Finden alle Menschen irgendwann ein positives Bild, etwas Intrinsisches?
Nein. Es gibt Leute, die körperlicher Ertüchtigung rein gar nichts abgewinnen können. Die aber dennoch Sport treiben wollen – etwa um abzunehmen. Auch diesen Menschen können wir helfen. Das ist aber eine ganz andere Richtung der Sportpsychologie.
Da kommen wir zu dem, was mit der abgedroschenen Metapher des "inneren Schweinehunds" beschrieben wird. Den gilt es zu überwinden. Der betreffende Sporthasser ist nicht imstande, sich über Verinnerlichung von Motiven zu steuern – denn Sport gehört nicht zu seinem Selbst. Stattdessen braucht er etwas anderes: Willenskraft.
Wir sprechen von einer willentlichen Steuerung. Dafür benötigt man Techniken, mit deren Hilfe man das unangenehme Gefühl überwinden kann und etwas tut, obwohl es unangenehm ist. Eine effektive Methode geht davon aus, dass es allein darauf ankommt, den ersten Schritt zu schaffen. Das Modell hinter dieser Methode heißt daher auch "Rubikon-Modell". Hat man den Rubikon überschritten, gibt es kein Zurück mehr.

Wie kann ein solcher erster Schritt aussehen, wann wird der Rubikon passiert?
Jeder hat seinen eigenen Rubikon. Für viele ist das Aufstehen das Schlimmste, der Schritt aus dem Bett. Für andere gibt es erst dann kein Zurück mehr, wenn sie das Haus verlassen haben. Dann treiben sie Sport, gehen ins Fitnessstudio oder fahren Rad.
Wo diese Schwelle liegt, merken die meisten schnell, wenn sie erst einmal darüber nachdenken. Um das Hindernis überwinden zu können, ist es wichtig, das Vorhaben zu konkretisieren.
Es reicht eben nicht zu sagen: Ich möchte häufiger joggen. Vielmehr muss ich einen Plan aufstellen. Wie genau packe ich meine Tasche? Wo gehe ich joggen? Wann genau breche ich auf? Wie lange möchte ich joggen?
Man entwirft also eine persönliche Handlungsanweisung?
Ja. Ergänzen kann ich den Plan dadurch, dass ich mich wach mache, mich aktiviere, um ihn ausführen zu können. Vielleicht schlage ich mir leicht auf die Wangen. Spritze mir Wasser ins Gesicht. Dann steige ich in die Schuhe, die ich schon bereitgestellt habe.
Je genauer dieser Plan ist, je differenzierter, umso einfacher ist es, ihm zu folgen. Die meisten Menschen scheitern an bestimmten Vorhaben, weil ihre Pläne unklar sind. Oder weil sie sich zu viele Wahl-, zu viele Ausweichmöglichkeiten offen halten.
Ganz entscheidend ist auch, in welchen konkreten, stets wiederkehrenden Situationen ich den Plan in meinen Alltag implementiere. Zum Beispiel: Ich wache morgens auf, es ist Dienstag, es ist sieben Uhr, der Termin steht auf dem Plan – es geht los. Die Verbindung mit alltäglichen Tätigkeiten hilft enorm, Dinge anzugehen, die unangenehm sind. Die Motivation wird nun stark rational, bewusst gesteuert, kalkuliert.
Das ist allerdings mühsam. Willentliche Steuerung ist etwas sehr Anstrengendes, erfordert stärkere Ressourcen.
Vermutlich scheitern viele daran.
Für die nicht ganz so Willensstarken gibt es noch einen weiteren Trick bei dieser Art der Steuerung. Einen Trick, dem wir in meiner Arbeitsgruppe die höchste Aufmerksamkeit widmen: das Nutzen von Beziehungen – also die Einbindung des Individuums in gemeinschaftliche Handlungen, mithin die soziale Aktivierung. Sport im Team kann als sozialer Druckfaktor wirken, gemeinsames Tun kann Sport aber auch leichter erleben lassen.
Was ist damit gemeint?
Das ist so simpel wie einleuchtend: Habe ich mich mit einem Freund zum Laufen verabredet, wird der Plan oft schneller und stärker aktiviert. Allein die Vorstellung, dass da jemand auf mich wartet, genügt.
Die soziale Verankerung von Plänen ist aus meiner Sicht die wohl stärkste Strategie, um Handlungspläne auszulösen und Verhalten zu steuern.
Welcher Partner eignet sich am besten für eine solche Steuerung?
Nach Möglichkeit sollte man sich jemanden suchen, der ähnliche Motive hat. Der vielleicht etwas Gewicht abnehmen will. Allein die Tatsache, dass zwei Menschen das gleiche Ziel verfolgen, führt ja dazu, dass diese beiden plötzlich eine Allianz bilden. Mit einem Mal ist dann nicht mehr das Ziel – abzunehmen – das Motiv, sondern die Allianz. Dieser recht simple psychosoziale Mechanismus funktioniert wunderbar.
Und obendrein mag aus der gemeinsamen Aktivität sogar eine intrinsische Motivation erwachsen, weil alle Menschen ein zentrales Bedürfnis nach Verbundenheit haben. In der Regel macht es wahrscheinlich Freude, den Laufpartner zu sehen, miteinander zu reden.
Sich einer Gruppe anzuschließen, zusammen mit einem Partner Sport zu treiben oder auch einen Personal-Trainer zu engagieren: Das ist für viele die beste Möglichkeit, sich zu motivieren.
Wir reden also von sozialer Kontrolle?
Das ist etwas anderes, aber bisweilen gibt es auch die.
Allerdings: Sobald ich mich von anderen kontrolliert fühle, resultiert daraus ein sehr extrinsisches Verhalten, ich fühle mich von außen gedrängt. Aber das ist eben nicht der typische Fall. Die meisten Menschen empfinden es eher als positiv, zusammen mit anderen etwas zu erleben, gewissermaßen ein vereintes Schicksal zu teilen.
Gemeinsame Aktivitäten sind darüber hinaus auch identitätsbildend. Es bildet sich eine Partnerschaft aus, man ist Teil einer Gruppe. Das ist ein überaus starkes Motiv, um Sport zu treiben. Andere Motive wie Gesundheit oder Gewichtsabnahme treten dann in den Hintergrund. Bei Fitnessgruppen lässt sich das Phänomen häufig beobachten: Nach einer gewissen Zeit des Kennenlernens treiben die Mitglieder vor allem deshalb Sport, weil sie eine Gruppe bilden.
Mancher Hobbysportler erlebt Folgendes: Er gerät in eine Motivationskrise, hört mit dem Sport auf. Dann hat er Schwierigkeiten, wieder mit dem Training zu beginnen, weil er befürchtet, erneut zu scheitern. Was raten Sie so jemandem?
Hat ein Sportler Angst davor, etwas zu tun, weil er befürchtet, erneut zu scheitern, liegt seine Fokussierung völlig falsch. Der Betreffende sollte seine Wahrnehmung anders ausrichten. Er sollte sich zunächst fragen: Warum möchte ich überhaupt wieder anfangen? Und er sollte vor allem daran denken, dass und wie er sein Ziel erreichen kann – wir nennen das eine "Kompetenzerwartung".
Es ist wie immer eine Frage der Aufmerksamkeit. Fokussiere ich auf den möglichen Misserfolg? Oder darauf, was ich erlebe, wenn ich Sport treibe?
Und eines kann ich Ihnen versichern: Jemand, der Sport wirklich mal aus intrinsischer Motivation betrieben hat, wird ihn auch nach einem zwischenzeitlichen Scheitern wieder mögen. Der wird wieder anfangen.
Ändert sich die Motivationsfähigkeit eigentlich mit dem Alter?
Sie ändert sich mit den Erfahrungen, die man macht. Ein Hobbysportler, der immer extrinsisch handelt, also äußerlich gesteuert, und keine echte Freude bei seinen Handlungen erlebt, wird im Alter beim Sporttreiben unglücklich sein, vielleicht frustriert, die seelische Gesundheit leidet.
Dagegen wird jemand, der seine Bilder, seine Gespräche positiv auszurichten versucht, der das Schöne im Sport finden möchte – selbst wenn das Training mal anstrengend ist –, jemand also, der letztlich nach der eigenen Kompetenz oder nach Selbstbestimmung beim Sporttreiben sucht, auch im Alter positiv motiviert sein. Das alles ist eine Frage der Entwicklung, des Lernens, der Erfahrung. Ob man sich zur Bewegung motivieren kann, spielt sich im Kopf ab. Und davon hängt auch die Leistung ab, die man im Sport erbringt. Das gilt für Hobbysportler ebenso wie für Spitzenathleten.
Welchen Anteil am Erfolg eines Weltklassesportlers macht die Kopfarbeit aus?
Die Leistung, die ein Mensch erbringt, hat immer mit seiner Psyche zu tun. Denn Leistung beruht auf Verhalten. Und Verhalten unterliegt psychischer Regulation. Wenn ich eine bestimmte Bewegung ausübe, dann muss ich die Bewegung als motorisches Muster im Gehirn, mithin als psychischen Gegenstand formen. Jede Art von Leistung hängt demnach in hohem Maße mit meiner psychischen Kompetenz zusammen. Außerdem: Leistung hat mit einem optimalen körperlichen Aktivierungsgrad zu tun.
Das bedeutet?
Wenn ich mich auf etwas freue oder wenn ich vor etwas Angst habe, verändern sich meine körperlichen Funktionen, ich spanne mich an, die Herzfrequenz steigt.
In meinem Organismus gibt es also psychophysische Verbindungen, die dazu führen, dass ein rein gedanklicher Prozess stets verbunden ist mit einem körperlichen Vorgang. Wenn ein Mensch nun kraft seiner Gedanken – durch Vorstellungen, Gespräche – seine körperlichen Funktionen auf das richtige Aktivitätslevel zu bringen vermag, dann hat das erheblichen Einfluss auf die Leistung.
Wo liegt der optimale Aktivierungsgrad?
Es gibt nicht den einen Aktivierungsgrad. Der variiert stark von Sportart zu Sportart. Bei Kampfsportarten brauche ich eine hohe Aktivierung, beim Schießen dagegen muss ich eher entspannt sein, dabei hilft mir eine niedrigere körperliche Aktivierung.
Durch intensives Training lernt ein Profisportler – etwa durch Selbstgespräche und die Imagination von Bildern – seine körperliche Aktivierung auf das richtige Niveau zu bringen. Hat beispielsweise ein Biathlet, der die Zielscheibe anvisiert, Angst davor, danebenzuschießen, wird er sich muskulär verspannen, zittern. Das ist ganz anders, wenn er die Hoffnung hat zu treffen.
Es gibt also Gedanken, die sich ein Wettkämpfer nicht machen sollte.
Das Schlimmste, was ein Elf-Meter-Schütze denken kann, ist: Jetzt bloß nicht verschießen. Stattdessen sollte er sich sagen: Ich hole mir den Torwart nach rechts rüber und schieße dann oben in die linke Ecke. Er muss ein positives, ganz klar erfolgsorientiertes Ziel verfolgen, er darf seine Gedanken nicht auf den Misserfolg richten. Am besten ist es, wenn er zudem in konkreten, positiven Prozessen denkt. Er sollte sich also genau überlegen, wie er vorgeht. Aber er sollte sich nicht einmal darüber Gedanken machen, dass seine Mannschaft gewinnt, wenn er das Tor trifft.
Wenn ich es schaffe, das richtige Bild in meinem Kopf zu entwickeln, das richtige Gespräch zu führen, dann habe ich schon halb getroffen.
Wie gut sind Ihrer Erfahrung nach Profis auf solche Situationen vorbereitet?
Viele Athleten beherrschen es nicht, in allen entscheidenden Situationen das Richtige zu denken. Zwischen den Profis gibt es enorme Unterschiede in der psychologischen Kompetenz – wie übrigens auch unter den Amateuren. Es gibt einige Hobbysportler, die von Natur aus die Mechanismen positiver Selbstmotivation beherrschen, ohne jemals mit einem Sportpsychologen geredet zu haben. Und dann gibt es die anderen, die gelernt haben, immer das Falsche zu denken. Die brauchen ein mentales Training. In einem solchen Fall sind die Dienste eines Sportpsychologen dann von Vorteil.