
Experten unterscheiden mehr als 1500 Yoga-Posen. Bei jeder werden Kopf, Rücken, Arme und Beine auf bestimmte Weise gebeugt oder gestreckt. Die »Brücke« dehnt Rücken, Hüfte und Brust und erhöht so die Flexibilität des gesamten Körpers
Auf Menschen, die noch nie eine Yogamatte ausgerollt haben, macht es bisweilen einen völlig unglaubhaften Eindruck, was diese altindische Körperkunst nach Meinung ihrer Anhänger alles bewirkt: Yoga soll Stress abbauen. Augenblicklich mehr Lebensenergie verschaffen. Die Laune heben. Ängste bekämpfen. Einen tiefen Schlaf bescheren. Und darüber hinaus: sexuelle Lust fördern. Muskeln und Gelenke geschmeidig machen. Den Cholesterinspiegel senken. Hitzewallungen mildern. Schmerzen lindern. Gar den Alterungsprozess aufhalten. All diese Behauptungen wirken noch erstaunlicher, wenn man sich bewusst macht, dass solche Effekte anfangs gar nicht das Ziel dieser Bewegungskultur waren. Als die ersten Männer – und lange Zeit waren es wohl fast ausschließlich Männer – Yoga vor vermutlich 5000 Jahren auf dem indischen Subkontinent erfanden, suchten sie nach einer Lebensphilosophie, die ihnen spirituelle Erleuchtung bringen würde. Die Körperübungen, die die Anhänger dieser Denkschule über die folgenden Jahrtausende entwickelten, sollten dabei helfen, einen solchen Zustand höheren Seins zu erreichen. So waren manche überzeugt davon, dass Yoga ihnen besondere Kräfte verleihen könnte. Etwa die Gabe, das eigene Herz anzuhalten und wieder zum Schlagen zu bringen.
Heute trauen viele der rund fünf Millionen praktizierenden Yoga-Anhänger in Deutschland den Übungen noch immer wundersame Fähigkeiten zu. Sie sollen gegen viele Übel der modernen Welt helfen, etwa gegen psychischen Druck, Hektik und die vielfältigen Schäden, die Körper und Seele dadurch erleiden. Glaubwürdig belegt waren die Heilsversprechen allerdings lange Zeit nicht. Vielmehr ignorierten Forscher das so esoterisch anmutende Yoga fast vollständig. Erst allmählich wandelt sich die Einstellung: Angesichts der zahlreichen positiven Erfahrungen, die auch Ärzte und Therapeuten mit Yoga machen, haben viele Wissenschaftler ihre Vorbehalte abgelegt. In den vergangenen Jahren haben sie begonnen, systematisch zu untersuchen, was bei Posen wie der „Heuschrecke“ oder dem „Krieger“ im Körper abläuft. Und: wie sich die Psyche von Menschen verändert, wenn sie sich der uralten Bewegungskunst hingeben. Mehr und mehr offenbaren die aktuellen Studien, dass Yoga tatsächlich eine erstaunliche Heilkraft gegen jene Beschwerden entfaltet, die viele Menschen in der heutigen Zeit plagen. Offenbar haben die frühen Anhänger dieser Denkschule bei ihren Versuchen, sich zu transzendieren, instinktiv Techniken entwickelt, die tatsächlich die „Kraft nach innen lenken“, wie es heißt – Methoden der Bewegung, Atmung und Meditation also, die sich besonders wohltuend auf Körper und Geist auswirken. Allerdings zeigen die wissenschaftlichen Untersuchungen auch, dass Yoga nicht in jeder Form für jedermann heilsam ist. Diese Body-Mind-Technik kann auch ernsthafte Nebenwirkungen haben. Denn wer sie falsch betreibt, riskiert mitunter Verletzungen.
Wohl kaum ein Mensch hat je alle Yoga-Posen durchgeturnt, die existieren. Mindestens 1500 verschiedene Stellungen unterscheiden die Experten – die meisten Aktiven kommen dagegen mit weit weniger als 100 Posen (oder Asanas) aus. Häufig tragen die Stellungen bildhafte Namen wie „Kobra“, „Baum“ oder „Herabschauender Hund“. Doch hinter den mitunter kindlich klingenden Bezeichnungen verbergen sich oftmals Übungen, die immense Muskelkraft und Beweglichkeit verlangen, wenn sie präzise ausgeführt werden. Die Anforderungen an die körperliche Flexibilität und Geschicklichkeit sind so hoch, dass Yoga-Verbände seit Jahren dafür werben, den Trendsport in den Kreis olympischer Disziplinen aufzunehmen. Die Teilnehmer könnten dann beispielsweise um die am besten ausgeführte „Stehende Bogenhaltung“ wetteifern, eine Pose, bei der die Turner eine ungewöhnlich schwierige Form des Spagats vollführen: Auf einem Bein stehend, heben sie das andere Bein weit über ihren Kopf und umfassen mit einer Hand den Knöchel des nach oben gerichteten Fußes.
Gleichzeitig geht es bei Yoga aber um weit mehr als reine Körperbeherrschung. Die Lehre umfasst auch spezielle Atemtechniken (Pranayama): Bei diesen Übungen holen die Aktiven langsam und tief Luft, andere Male atmen sie schnell und stoßweise ein und aus. Bei manchen Techniken soll man gezielt durch nur eines der beiden Nasenlöcher Luft holen. Das bewusste Konzentrieren auf den Atem ist eines der meditativen Elemente, die Yoga durchziehen. Nicht allein seinen Körper soll ein Yogi trainieren. Sondern auch lernen, in seinen Gedanken innezuhalten, seinen Geist im Hier und Jetzt zu verankern. Gelegentlich werden in den Kursen zu diesem Zweck auch Mantras (Sanskrit für „Spruch“) gesungen. Daher sehen viele Menschen Yoga nicht als Sport an, sondern eher als eine Form der Religionsausübung – ein Grund dafür, dass manche Schulen in den USA und in Europa Lehrern verbieten, Yoga-Posen mit ihren Schülern einzuüben. Ihnen ist die indische Lehre zu unchristlich. Doch gerade das Zusammenspiel von Übungen, Atemtechnik und Meditation macht Yoga so außergewöhnlich. Auch in seiner Wirkung für Körper und Geist. So haben Experten festgestellt, dass es eines der besten Mittel gegen eines der größten Volksleiden ist: Rückenschmerzen. Zwei Drittel aller Betroffenen fühlen sich innerhalb von Tagen oder Wochen deutlich besser, wenn sie Yoga betreiben. Ihre Schmerzen lassen nach, ihr Körper gewinnt an Beweglichkeit.
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GEOkompakt Nr. 46 "Sport".
