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Neandertaler Leseprobe: Der Urmensch in uns

Wie ein schwedischer Forscher das Erbgut der Neandertaler entschlüsselte und Erstaunliches entdeckte

Wie jeden Tag scharen sich die Neandertaler um die Feuerstelle. Sie kennen einander, sie sind sich vertraut, seit Generationen schon leben sie hier im Karmel-Gebirge (im späteren Israel). Tag für Tag, Jahr für Jahr folgen die Frauen und Männer dem Takt der Natur. Im Winter ziehen sie sich in Höhlen im schroffen Kalkgestein zurück, im Sommer besiedelt der Clan die fruchtbaren Senken des Gebirges. Dort erlegen die Urmenschen Gazellen, fangen Landschildkröten, stellen wilden Rindern und Schweinen nach, sammeln Erbsen, Eicheln und Pistazien. So haben sie es von ihren Vorfahren gelernt, und so geben sie es an ihre Nachkommen weiter.

In dieser Zeit, vor rund 55.000 Jahren, sind sie die Herren über das Land östlich des Mittelmeeres. Die Region bietet ihnen nahezu ideale Lebensbedingungen, vermutlich mussten sie sich nie aufmachen, eine neue Heimat zu finden. So kommt es, dass sie nie etwas anderes zu Gesicht bekommen haben. Doch an diesem Tag erkennen die Neandertaler: Sie sind nicht allein.

In der Ferne nähern sich Gestalten. Zunächst können sie die Fremden nur schemenhaft erkennen. Sie sehen, dass sie sich in ähnliche Fellkleider hüllen, Stöcke und Speere mit sich tragen – fast wie die eigenen.

Doch dann, allmählich, begreifen sie, dass die Wanderer nicht ihresgleichen sind. Was sind das für hagere Geschöpfe? Die Glieder so fein, die Hautfarbe so merklich dunkler als die eigene. Und woher haben sie diese filigranen Ketten aus Zähnen, Federn oder Knochen, die sie an ihren Hälsen tragen?

Was sind das für Menschen?

Niemand kann heute sagen, ob es sich so oder anders zugetragen hat, als die Neandertaler erstmals auf ihren nahen Verwandten treffen: den Homo sapiens. Ob sie sich vorsichtig näherkommen und argwöhnisch bemustern. Ob sie einander freundlich oder aggressiv begegnen, sich zunächst ignorieren oder rasch kennenlernen, die anderen mit ihren Fertigkeiten beeindrucken, sich gar bei der Jagd unterstützen.

Lange Zeit waren sich Forscher noch nicht einmal sicher, ob beide Menschenarten überhaupt je Kontakt zueinander hatten. Sie hielten es für durchaus möglich, dass Neandertaler- und Homo-sapiens-Gruppen nie voneinander wussten.

Schließlich siedelten in den sich schier endlos ausdehnenden Landstrichen stets nur sehr wenige Urmenschen, mögen sich die Neandertaler immer weiter zurückgezogen haben, sobald sie Spuren von Neuankömmlingen entdeckten. Zwar haben Archäologen im Nahen Osten Knochen beider Spezies gefunden, die etwa gleich alt sind und nur wenige Kilometer voneinander entfernt die Zeit überdauerten. Ob aber die damaligen Menschen tatsächlich zur gleichen Zeit an ein und demselben Ort lebten, blieb lange Zeit ungewiss – zu ungenau sind die Datierungen.

Doch seit einigen Jahren gilt als wissenschaftliche Erkenntnis, was jahrzehntelang nur Spekulation war: Homo neanderthalensis und Homo sapiens sind tatsächlich aufeinandergetroffen. Zwei Menschenspezies, die beide – unabhängig voneinander – vor etwa 200.000 Jahren entstanden waren: die eine im kühlen Europa, die andere in den Savannen Ostafrikas. Der moderne Mensch machte sich vermutlich vor rund 130.000 Jahren in einer frühen Auswanderungswelle auf, verließ seine afrikanische Heimat und wanderte die Küste der Arabischen Halbinsel entlang. Andere Gruppen zogen in die Levante, die ersten wohl vor etwa 120.000 Jahren, weitere folgten Jahrzehntausende später. Diese Auswanderer drangen in Gebiet ein, das schon seit Generationen von Neandertalern bewohnt wurde. Denn auch die hatten sich ausgebreitet und vor rund 95.000 Jahren von Europa aus den Nahen Osten erreicht.

Dort also könnten sich die beiden Spezies begegnet sein – und manche der Kontakte, die nach den Berechnungen von Paläogenetikern vor ungefähr 55.000 Jahren stattgefunden haben müssen, waren offenbar nicht nur flüchtig.

Im Gegenteil. Immer wieder und über einen langen Zeitraum hinweg – so die Theorie der Wissenschaftler – kamen sie sich vermutlich nahe, fühlten sich vielleicht gar sexuell zueinander hingezogen, paarten sich auch miteinander (wenngleich dies wohl selten geschah) und brachten gemeinsame Nachkommen zur Welt: Mischwesen, die sowohl das genetische Erbe der Neandertaler in sich trugen als auch das des modernen Menschen. Diese Abkömmlinge vermehrten sich ihrerseits, sodass das Erbgut des Neandertalers erhalten blieb.

Doch in den Jahrzehntausenden darauf nahm die Zahl der Neandertaler auf der Erde immer weiter ab, schließlich verschwanden sie vollends. Mit ihnen starben auch jene Mischlinge aus, die in ihren Gruppen aufwuchsen. Jene Geschöpfe aber, die einer Verbindung von Neandertalern und Homo sapiens entstammten und von modernen Menschen großgezogen wurden, lebten weiter – und bewahrten so das genetische Erbe der untergegangenen Vettern.

Da sich die Hybridwesen fortan immer wieder mit Homo-sapiens-Nachfahren paarten, wurde der Anteil des Neandertaler-Genoms von Generation zu Generation zusehends geringer. Doch ganz verloren ging er nie. Bis heute tragen Menschen in Europa und Asien einen kleinen Teil des Neandertaler-Erbgutes in sich.

Den ganzen Text lesen Sie in GEOkompakt Nr. 41 "Der Neandertaler".

Neandertaler: SVANTE PÄÄBO ist Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Dem Schweden gelingt, was andere Forscher für unmöglich hielten: Er zeigt, dass nicht nur lebendige Zellen biochemische Erb-Informationen enthalten – sondern auch jahrzehntausendealte Fossilien
SVANTE PÄÄBO ist Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Dem Schweden gelingt, was andere Forscher für unmöglich hielten: Er zeigt, dass nicht nur lebendige Zellen biochemische Erb-Informationen enthalten – sondern auch jahrzehntausendealte Fossilien
© Jörg Klaus

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GEO KOMPAKT Nr. 41 - 12/2014 - Der Neandertaler

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