Am 13. Juni 1907, kurz nach 10.30 Uhr, zerbirst auf dem Jerewan-Platz in Tiflis die Ruhe eines schwülen Morgens. Bomben explodieren, mindestens 20 junge Männer lösen sich aus der Menge der Passanten und feuern mit Pistolen auf einen von Kosaken bewachten Geldtransport des Zaren. Schreie, zerfetzte Pferde, Blut auf dem Pflaster. Als der Überfall vorbei ist, zählen die herbeigeeilten Polizisten 40 Tote und etwa 50 Verwundete. Das Geld, eine Viertelmillion Rubel, ist fort, genauso wie die Gangster.
Ein Bankräuber aus Georgien
Der Drahtzieher dieses spektakulären Raubes am Rande des russischen Reichs ist ein 29-jähriger Georgier. Skrupellos, klein, mit Pockennarben an Gesicht und Händen. Die dunklen Augen honigfarben gesprenkelt. Er braucht die Beute für seinen politischen Untergrundkampf, die Revolution gegen den Zaren. Sein Name: Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili.
Der mächtigste Diktator des 20. Jahrhunderts
Keine 30 Jahre später wird dieser Mann von Moskau aus mit unfassbarem Terror ein sozialistisches Riesenreich regieren. Als mächtigster Diktator des 20. Jahrhunderts. Und alle Welt wird ihn kennen als: Stalin.
Bereits ein Jahrzehnt nach dem Raub von Tiflis, 1917, fegen der Georgier und seine bolschewistischen Mitkämpfer die alte Staatsmacht in der Oktoberrevolution hinweg. Als das neue Regime anschließend in einem blutigen Bürgerkrieg gegen zahlreiche Feinde um seine Existenz ringt, behauptet sich Stalin als brutaler Militärführer. Er steigt auf in der Hierarchie der Partei. Schaltet Konkurrenten wie Leo Trotzki aus und wird bald, als Erbe Lenins, erster Mann der Sowjetunion.
Kultisch verehrt als „großer Lehrer und Freund“
Getrieben von eisernem Herrschaftswillen und der Vision einer kommunistischen Zukunft, orchestriert der neue Führer einen erbarmungslosen Wandel, der das Land aus der Rückständigkeit in das Industriezeitalter katapultieren soll: Millionen Bauern werden zwangsenteignet, deportiert und bei Widerstand getötet. Hunderttausende Strafarbeiter für größenwahnsinnige Bauprojekte herangezogen – während sich der Machthaber als „großer Lehrer und Freund“ kultisch verehren lässt.
Millionen Sowjetbürger sterben in den Konzentrationslagern des Gulag
Ab Mitte der 1930er Jahre entfesselt Stalin zudem einen mörderischen Terror gegen all jene, die sich seiner Politik – tatsächlich oder vermeintlich – in den Weg stellen. Fast drei Millionen Sowjetbürger werden vom Geheimdienst umgebracht oder sterben in den Konzentrationslagern des Gulag. In den letzten Jahren von Stalins Herrschaft, der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und seinem Tod 1953, ist die Sowjetunion zur Weltmacht geworden. Doch nicht mal mehr die engsten Vertrauten sind nun noch sicher vor der tödlichen Willkür des Despoten.
GEOEPOCHE erzählt in seiner neuen Ausgabe das Leben eines modernen Tyrannen. Und die Geschichte eines Landes und seiner Menschen, das mehr als ein Vierteljahrhundert – gewaltsam, leidvoll, radikal – durch ihn geprägt wurde.