Agra, im Juni 1631: Shah Jahan ist untröstlich. Der Tod seiner Frau hat ihn ergrauen lassen, seit Wochen trägt der Herrscher Indiens weiße Trauergewänder. Nun befiehlt er den Bau eines gigantischen Mausoleums. Tausende Arbeiter schaffen über Hunderte Kilometer Marmor herbei, errichten einen von schlanken Minaretten umgebenen, 74 Meter hohen Kuppelbau über der Grabkammer, fügen Edelsteine zu Intarsien, legen Innenhöfe an und einen von Wasserläufen durchschnittenen Garten.
Das "Taj Mahal" ist ein Monument der Liebe
Um 1650 ist das „Taj Mahal“ vollendet: ein Abbild des Paradieses, ein Monument der Liebe – und das Schaustück der Macht seines Erbauers, des fünften Kaisers der muslimischen Moguldynastie. Shah Jahans aus Mittelasien stammende Vorfahren haben rund 100 Jahre zuvor weite Teile Indiens erobert: kein Land, sondern ein Subkontinent, fast halb
so groß wie Europa, zersplittert in Dutzende Reiche und Sprachen. Ein Land, dessen angestammte Bevölkerung zu unzähligen Göttern betet – und die doch eines eint: Die Hindus („Inder“) glauben, dass ein jeder durch seine Lebensführung bestimmt, ob er nach dem Tod als höhere oder niedere Kreatur wiedergeboren wird.
Dieses Indien ist ein Mosaik der Kulturen, aus dem die Mogulkaiser mithilfe einer zentralisierten Verwaltung um 1570 einen modernen Staat formen. Mit ihrer Machtentfaltung beginnt eine jahrhundertelange Ära der Fremdherrschaft. Denn neben den Muslimen aus dem Nordwesten kommen auch immer mehr Europäer in das Land, getrieben von der Gier nach Gewürzen, Tee, Seide und Baumwolle. Und als das Mogulreich im 18. Jahrhundert zerfällt, macht sich eine private britische Handelsorganisation die indischen Fürsten untertan: Die Kaufleute der East India Company begründen auf dem Subkontinent ein gewaltiges Kolonialreich.
Der Widerstand gegen die Fremdherrschaft wächst
1858 wird Indien formal der britischen Krone unterstellt. Und während die Beamten in ihren Residenzen tea time halten und sich beim Kricket vergnügen, beginnen an englischen Universitäten ausgebildete Hindus und Muslime, politische Mitsprache zu fordern.
Ärgster Gegner der Kolonialmacht wird Mahatma Gandhi, der um 1920 zum Führer der Nationalbewegung aufsteigt: Der tiefreligiöse Jurist propagiert den gewaltlosen Widerstand gegen das Kolonialregime – und muss doch erleben, wie der Freiheitskampf der Inder in Hass und Gewalt mündet. Denn als Indien 1947 unabhängig wird, entladen sich Spannungen zwischen Hindus, Sikhs und Muslimen in blutigen Massakern.
GEOEPOCHE erzählt vom Aufbruch Indiens in die Moderne, von Moguln, Maharadschas, Kolonialherren – und von jenen Kämpfern, die nach 500 Jahren Fremdherrschaft die größte Demokratie der Erde begründen.

GEOEPOCHE "Indien" erscheint am 10. Februar 2010