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Die Stimmen der Mafiosi

Die Mitglieder des Organisierten Verbrechens führen ihr brutales Geschäft großteils im Verborgenen, abseits der Öffentlichkeit und so gut wie aller fremder Blicke. Doch gibt es inzwischen einige Aussteiger – ehemalige Bosse, Killer, Mafia-Vertraute –, die ihre Geschichten erzählt und veröffentlicht haben. Aus erster Hand berichten hier fünf Gangster aus dem Innenleben der kriminellen Organisationen, von Morden und Ritualen, unheimlichen Freunden und den Mechanismen ihrer geheimen Machenschaften.

Inhaltsverzeichnis

Massimo Ciancimino

Massimo Ciancimino – Gefährliche Freunde

Massimo Ciancimino, geboren 1963 in Palermo, ist der Sohn des sizilianischen Politikers Vito Ciancimino und war viele Jahre lang dessen Vertrauter und Bote. Vito, in den 1970er Jahren Palermos Bürgermeister, verschaffte dem Mafia-Clan der Corleonesi Tausende Bauaufträge und wurde so zum Multimillionär. Ihn besuchte auch der „Boss der Bosse“, Bernardo Provenzano, regelmäßig. Nach Vitos Tod übernahm Massimo die Geschäfte seines Vaters. 2006 wurde er verhaftet und ist inzwischen einer der wichtigsten Kronzeugen gegen die Mafia in Italien. Hier erzählt er von einer erschütternden Entdeckung in Kinderzeiten.

Die Stimmen der Mafiosi
© Piper

„Im Sommer machten wir Ferien wie alle wohlhabenden, fröhlichen und 'anständigen’ Palermitaner: in Baida, im alten Haus unserer Großeltern Attilio und Adele in der Via Falconara Baglia. Mein Vater Vito Ciancimino war ein Politstar, gehasst, gefürchtet und verehrt. In den linken Zeitungen stand er unter Beschuss, aber der größere Teil der Stadt, der sich aus Eigennutz oder um des lieben Friedens willen mit den Mächtigen arrangierte, akzeptierte ihn. Schon deshalb, weil diejenigen, die das Sagen hatten, mitunter Geld und Wohltaten verteilten, vor allem in den gehobenen Schichten, aber auch für das gemeine Volk fiel einiges ab.

Mein Vater rasierte sich nicht gerne und ging lieber fast täglich zum Friseur. Signor Lo Piccolos Salon lag in der Via Sciuti, im Zentrum der neuen Metropole, die während des Baubooms in den Sechziger- und Siebzigerjahren entstanden war: direkt gegenüber dem Eingangstor des Hauses Nummer 85R, in dem wir eine elegante Dachwohnung hatten. So saß ich an diesem Sommermorgen Anfang der Achtzigerjahre bei Signor Lo Piccolo auf der Wartebank, während sich mein Vater das Gesicht einschäumen ließ. (...)

Wie üblich beim Warten im Frisiersalon blätterte ich eine Illustrierte durch, wahrscheinlich war es eine Ausgabe der Wochenzeitschrift Epoca. Irgendwann blieb ich bei einem Bericht über sizilianische Mafiosi hängen, die auf der Flucht waren, die Stellvertreter Luciano Leggios, der damals noch als Boss des Clans der Corleoneser galt. Alte Fotos zeigten Toto Riina. Vor allem erinnere ich mich aber an eine per Computer erstellte Rekonstruktion des Gesichts von einem besonders berüchtigten und zugleich am wenigsten bekannten Mafioso. Ein Foto des noch blutjungen Bernardo Provenzano - ein rechteckiges Gesicht mit blondem Haarschopf - war per Mausklick künstlich zum reifen Mann gealtert worden. Und dieses unverkennbare Oval mit dem ungepflegten Bart und den kurz geschnittenen Haaren meinte ich nun wiederzuerkennen.

Ja, ich kannte diesen Signore, und zwar seit Langem: Für mich war das der Ingenieur Lo Verde, ein Mann, zu dem mein Vater seit Jahren Kontakt hatte. Er war mehrfach zu uns gekommen, hatte mit uns zu Mittag gegessen und tauchte sogar im Haus meiner Großeltern in Baida auf. Er war ein Vertrauter und Freund der Familie. Von ihm ließ sich mein Vater, der christdemokratische Politiker, Stadtrat und Bürgermeister, sogar beraten und tauschte mit ihm Eindrücke und Meinungen aus, auch über Geschäftliches in der Stadtverwaltung.

Lo Verde war ein sanftmütiger Mann, der mir die Wangen tätschelte und mich ermahnte, meinem Papa zu gehorchen. Und er sollte nun dieser grausame Mörder sein, über den die Zeitungen schrieben? Ich grübelte lange über meine Entdeckung nach: Im Spiegel blickte ich ins Gesicht meines Vaters, der sich gedankenversunken von Signor Lo Piccolo massieren ließ. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er reagieren würde, wenn ich ihn auf meinen Verdacht anspräche. Und so kam es dann auch auf dem Rückweg im Auto.

Auf meine provozierende Art fragte ich ihn: ,Hast du die Fotos in der Epoca gesehen? Sag die Wahrheit, Papa: Ist das nicht der Ingenieur Lo Verde? Das ist er doch, oder?’ Stumm und versteinert wie die Sphinx, würdigte mich mein Vater keines Blickes. Eine gefühlte Ewigkeit verstrich, ehe er sich die passende Antwort zurechtgelegt hatte. Ohne ein Ja oder Nein gab er mir zu verstehen, dass ich recht hatte. Ich spürte so etwas wie eine Ermahnung, eine Warnung, zu diesem hochbrisanten Thema absolutes Stillschweigen zu wahren. ,Denk daran’, sagte er, ‚dass man hier keine Fehler machen darf. Vor den Folgen kann nicht einmal ich dich schützen.’“

Auszug aus: Massimo Ciancimino und Francesco La Licata, DON VITO. Mein Vater, der Pate von Palermo (Piper, München 2010), 365 Seiten.

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Salvatore Gravano

Salvatore Gravano – Der Weg in die Bruderschaft

Salvatore Gravano, 1945 in Brooklyn geboren, ist in den 1980er Jahren Vertrauter und Stellvertreter John Gottis, des mächtigen New Yorker Mafia-Paten. Doch Anfang der 1990er Jahre bricht Gravano das obligatorische Schweigen innerhalb der Clans und belastet gegenüber dem FBI unter anderen seinen Boss Gotti. Das mildert seine eigene Strafe in erheblichem Maße: Für insgesamt 19 nachgewiesene Morde und zahlreiche andere Vergehen muss er insgesamt lediglich fünf Jahre einsitzen.

Die Stimmen der Mafiosi
© Scherz

„Eines Tages sagt Toddo zu mir, ich solle am nächsten Tag in seinem Club sein. ,Und mach dich fein’, fügt er hinzu. Also kommen Charlie und ich in Anzug und Krawatte. Toddo bringt uns zum Haus von Frankie the Wop in Bensonhurst; an die Straße kann ich mich nicht mehr erinnern, ich war nur das eine Mal dort.

Wir gehen ins Wohnzimmer im Erdgeschoß. Da sitzt schon ein ganzer Haufen Jungs. Jeder wird einzeln in den Keller gerufen. Ich bin aufgedreht wie nur was. Dies ist der größte Tag meines Lebens, besonders nach allem, was vorher war. Schließlich sagt man zu mir: ,Sammy, komm jetzt runter.’ (...)

Neben Paul steht ein leerer Stuhl. Man weist mich an: ,Geh hinüber zu dem Stuhl neben Paul.’ Paul sagt: ,Komm her, Sammy, setz dich hierher.’ Paul blickt mich unverwandt an und sagt: ,Weißt du, warum du hier bist?’ Das einzige, was ich von Toddo wußte, war, wie die Antwort darauf lauten mußte. ,Nein’, antworte ich. Dann fragt Paul: ,Kennst du alle, die hier sind?’ ,Ja, die meisten jedenfalls.’ ,Magst du die Leute hier?’ ,Ja.’

,Weißt du, daß dies eine Bruderschaft ist, eine geheime Gesellschaft?’ ,Ja’, sage ich. Paul sagt: ‚In diese geheime Gesellschaft gibt es nur einen Weg hinein und nur einen Weg hinaus. Du kommst auf deinen eigenen Füßen hinein und wirst in einem Sarg hinausgetragen. Es gibt von hier aus keine Umkehr.’ ,Ich verstehe.’ Er fragt mich: ,Würdest du deine Treue gegenüber allen anderen Dingen aufgeben und diese Bruderschaft an erste Stelle in deinem Leben setzen?’

,Ja.’ ,Würdest du für uns töten?’ ,Ja.’ ,Mit welchem Finger würdest du abdrücken?’ Ich hebe meinen Zeigefinger. Toddo steht auf und kommt herüber. Er bedeutet mir aufzustehen. Paul steht auf. Neil steht auf. Und Joe Gallo ebenfalls. Alle anderen bleiben sitzen. Toddo sticht mit einer Nadel in meinen Finger, bis Blut hervorquillt. Er war mein Bürge. Dann presst er mein Blut auf ein Heiligenbild und gibt mir das Bild in die Hand. Paul sagt: ,Wir werden jetzt diesen Heiligen verbrennen.’ Er zündet das Bild mit einem Streichholz an, und es fängt Feuer. (...)

Während das Bild in Flammen steht, sagt Paul zu mir, meine Seele solle in der Hölle brennen wie dieser Heilige in meinen Händen, wenn ich je die Geheimnisse unseres Lebens in irgendeiner Weise preisgebe. Das muß ich ihm wiederholen. Paul sagt dann noch etwas auf italienisch, und bis heute weiß ich nicht, was. Dann weist er mich an, das verbrannte Bild zu zerdrücken.“

Auszug aus: Peter Maas, Underboss. Ich war der zweite Mann. Die Lebensgeschichte des Mafia-Bosses Sammy "The Bull" Gravano (Scherz, Bern 1998), 349 Seiten.

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Enzo, "Ehrenmann" der Cosa Nostra

Enzo – Der erste Mord

Als „Ehrenmann“ der sizilianischen Cosa Nostra treibt Enzo, Jahrgang 1956, jahrelang Schutzgelder ein, schmuggelt Drogen und organisiert Mordanschläge. Als er jedoch auf die Abschussliste seiner Bosse gerät und beginnt, am Ehrenkodex der Mafia zu zweifeln, meldet er sich freiwillig der Justiz und wird zum geständigen „Pentito“ – in den Augen der Mafiosi zum Verräter. Noch heute lebt Enzo irgendwo in Italien. Unter anderem Namen und falscher Identität.

Die Stimmen der Mafiosi
© Ullstein

„Um sich das Vertrauen der Cosa Nostra zu verdienen, reicht es nicht, als Helfer an Morden beteiligt zu sein. Ein uomo d'onore muss selbst töten. Jemanden zu töten, der es verdient hat, verschafft einem Respekt. Man wird zum Löwen unter Löwen. Als Lamm kann man nicht unter Raubtieren bestehen. Abgesehen davon dient es noch anderen Zwecken, einen soldato zum Töten zu zwingen. Zum Beispiel vergewissert man sich, dass er Befehle ausführt und bindet ihn enger an die famiglia.

Bei der Cosa Nostra ist kein Platz für sanfte Lämmer. Wenn einer meint, er könnte in einem Rudel Wölfe den Diplomaten spielen, wird ihm die famiglia diese Flausen schnell austreiben. Und zwar mit einem einfachen Befehl. Bring den Hornochsen da um. Alle müssen mal Farbe bekennen, früher oder später. Auch die, die wie ich nicht zum Exekutionskommando gehören. Eines Abends erklärte mir Capogreco, dass für Andrea Cannata die Zeit abgelaufen sei. Cannata befehligte innerhalb der famiglia von Partanna und war zu' Cicciu ins Gehege gekommen. (...)

Das Exekutionskommando sollte diesmal aus vier Schützen bestehen: Vanni, Aspanu, Peppe Nicastro, dem capodecina, und mir. ,Ihr müsst Motorräder nehmen’, befahl Capogreco. ,Kein Problem’, antwortete ich. ,Enzo, diese Sache liegt mir besonders am Herzen. Wir warten, bis wir wissen, wo er ist, und geben euch dann das Zeichen zum Einsatz. Dieser Hornochse soll ins Gras beißen. Mach keinen Fehler!’

Als ich ihn so reden hörte, war mir klar, dass dies eine Art letzter Test für mich sein sollte. Ich war zwar schon uomo d’onore, doch jetzt ging es darum, mein Ansehen vor den anderen zu steigern. (...) Aspanu saß auf Vannis Motorrad und hatte ein Funkgerät. Als das Signal kam, fuhren wir los. Unsere Maschinen waren groß und schnell, aber wir fuhren langsam, um niemanden zu alarmieren. Kaum waren wir in Salemi, steuerten wir zur zentralen Bar auf der Hauptstraße, die den gesamten Ort durchschneidet.

Dort saß Cannata an einem Tisch auf dem Bürgersteig und unterhielt sich mit zwei Männern. Wir blieben unvermittelt vor ihm stehen, Nicastro gab mir die Waffe, und Aspanu gab Vanni seine. Und noch bevor Cannata begriff, woher wir so plötzlich aufgetaucht waren, sah er vier Pistolen auf sich gerichtet, die ihn aus dieser Distanz unmöglich verfehlen konnten.

Es war nur ein kurzer Augenblick. Dann bewegte er sich und zwang uns, das Feuer zu eröffnen. Wir hatten sowieso nicht beabsichtigt, großartig zu warten. Da wir wussten, wie geschickt er war, wollten wir es erst gar nicht dazu kommen lassen, dass er seine Waffe zog. Vier Kugeln trafen in seine Brust, und Cannata sank tot zu Boden.“

Auszug aus: Marco Bettini, Pentito. Ein Mafioso packt aus (Ullstein, Berlin 2010), 348 Seiten.

Henry Hill

Henry Hill - Die ultimative Waffe

Der New Yorker Gangster Henry Hill, geboren 1943, arbeitet bereits als Jugendlicher für die Mafia – auch wenn er nie Vollmitglied wird, weil er irisch-italienische und keine rein italienischen Vorfahren hat. Mit 36 Jahren soll Hill von seinen eigenen Freunden umgebracht werden. Er entscheidet sich, seine Lebensgeschichte erst der Polizei zu erzählen – womit er sein Leben rettet – und dann dem amerikanischen Journalisten Nicholas Pileggi. Der so entstandene Bericht liefert einen einzigartigen Blick in die Struktur des Organisierten Verbrechens und diente dem Filmemacher Martin Scorsese als Vorlage für sein preisgekröntes Mafia-Drama „Good Fellas“ von 1990.

Die Stimmen der Mafiosi
© Ullstein

„Die meisten Jungs akzeptierten Morde einfach. Sie waren Teil des Alltags. Sie waren Routine. Ich weiß noch, wie stolz Tommy DeSimone war, als er Jimmys Jungen, Frankie, zu seinem ersten Hit (Mordanschlag, Red.) mitnahm. Frankie Burke war ein ängstlicher kleiner Junge. Jimmy beklagte sich immer darüber, dass der Kleine sein Bett naßmachte und er ihn deshalb fast jede Nacht verprügeln müsste. Jimmy schickte ihn sogar auf die Militärakademie, um ihn abzuhärten.

Frankie muss sechzehn oder siebzehn gewesen sein, als Tommy ihn zu dem Hit mitnahm, und Tommy sagte, der Junge habe sich großartig gehalten. Jimmy spazierte voller Stolz herum. Man hätte meinen können, der Junge habe eine Medaille gewonnen.

Mord war der einzige Weg, Ordnung zu halten. Es war die ultimative Waffe. Niemand war immun. Wenn du aus der Reihe tanztest, wurdest du fertiggemacht. Jedermann kannte die Regeln, aber dennoch tanzten welche aus der Reihe und wurden fertiggemacht. Johnny Mazzola, der Bursche, mit dem ich als Kind immer gefälschte Zwanziger wechseln ging, dessen eigener Sohn wurde getötet, weil er nicht aufhören wollte, örtliche Kartenspielrunden und Buchmacher zu überfallen. Der Kleine wurde hundertmal gewarnt. Man warnte den Vater, er solle den Jungen im Zaum halten.

Man sagte ihm, wenn der Junge schon Buchmacher überfallen müsse, dann wenigstens auswärtige. Nur wegen Johnny ließ man den Knaben leben, bis er neunzehn war. Aber der Kleine glaubte offensichtlich nicht, dass man ihn töten würde. Das glaubten die Toten nie. Er konnte es bis zum Schluss nicht glauben, bis er zwei aus nächster Nähe ins Herz kriegte. Das geschah aus Respekt vor seinem Vater. Man ließ das Gesicht des Jungen unversehrt, damit bei der Beerdigung der Sarg offen sein konnte.“

Auszug aus: Nicholas Pileggi, Der Mob von innen. Ein Mafioso packt aus (Ullstein, Berlin 1989), 230 Seiten.

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Ijichi Eiji

Ijichi Eiji – Spiel mit dem Geld

Kurz vor seinem Tod legt Ijichi Eiji seinem Arzt Zeugnis über seinen Aufstieg vom einfachen Yakuza-Lehrling zum Syndikatsboss im Tokyo der 1940er Jahre ab, über seine Verbrechen und Opfer für den Ehrenkodex der japanischen Unterwelt. Eiji, dessen Beichte der Mediziner später veröffentlicht, gibt unter anderem Einblicke in den Kosmos des illegalen Glücksspiels – vor dem Zweiten Weltkrieg Haupteinnahmequelle der Yakuza.

Die Stimmen der Mafiosi
© Peperkorn

„Etwa zwei Jahre vor dem Krieg wurde ich Oberhaupt der Dewaya. Genaugenommen war Muramatsu noch der Boß, aber er hatte seine Gesundheit mit Drogen ruiniert und war immer wieder im Krankenhaus, so daß ich die Verantwortung trug. Die Geschäfte gingen zu der Zelt sehr schlecht. Der Krieg zwischen Japan und China steckte in einer Sackgasse, und auch wir bekamen zu spüren, dass die Leute knapp bei Kasse waren. Ich habe Ihnen schon erzählt, daß unser Hauptquartier in 1-1 Shinhata-cho in Asakusa lag, mitten im Vergnügungsviertel. Die Gegend war eine der besten in ganz Tokyo. Aber das heißt nicht, daß man es sich leisten kann, herumzusitzen und alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Jeder Strom hat Tiefen und Untiefen.

Wenn ich heute zurückdenke, glaube ich, meine erste Zeit bei der Dewaya war die beste - das Geld strömte nur so in die Kassen. Aber ich sollte Ihnen vielleicht wenigstens etwas darüber erzählen, wohin es dann weiterfloß. Zu meiner Zeit wurden zwanzig Prozent der Tageseinnahmen gleich zu Beginn einbehalten. Nehmen Sie an, nach heutigem Kaufwert wurden an einem Abend zehn Millionen Yen eingenommen. Dann legten wir zwei Millionen gleich beiseite. Von dem Rest behielt der Boß sechzig Prozent und verteilte das Übrige an die anderen Männer. Was mit den zwanzig Prozent, die anfangs einbehalten worden waren, passierte? Nun, zuerst mußten die Zuwendungen für die inhaftierten Mitglieder aufgebracht werden. Außerdem wurden alle alltäglichen Ausgaben davon bestritten. (...)

Das Geschäft mit dem Spiel ist selbst ein Glücksspiel, du weißt nie, wann du deine Kunden verlierst. Im Moment läuft es gut, doch das ist keine Garantie für die nächsten Jahre. Deshalb galt die Regel, daß Bosse, denen es gut ging, sich um die kümmerten, die schlechter dran waren. Jemand, der vielleicht dreißig eigene Leute hatte, ernährte oft doppelt so viele. Das mochte hart sein, aber wer dazu nicht bereit war, hätte gleich aus dem Geschäft aussteigen können. Es gibt den Yakuza-Wahlspruch ‚Du mußt bereit sein, dein Leben zu riskieren, um einem Bruder eine Mahlzeit oder ein Nachtlager zu besorgen’. In der täglichen Praxis ging es weit darüber hinaus: Schon in normalen Zeiten halfen wir uns gegenseitig, aber wir brachten erst recht jedes Opfer, um unseren Verpflichtungen gegeneinander nachzukommen, wenn ernsthafte Probleme auftauchten.“

Auszug aus: Saga Jun'ichi , Der Yakuza (Edition Peperkorn, Göttingen 1995), 236 Seiten.

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GEO EPOCHE Nr. 48 - 04/11 - Mafia

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