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Leseprobe: Michelangelo

Das mutigste Genie der Renaissance fühlt übermenschliche Kräfte in sich - und droht doch an einem Auftrag des Papstes zu scheitern.

Lesen Sie einen Auszug aus der neuen Ausgabe von GEOEPOCHE EDITION zum Thema "Renaissance":

Es geht nicht. Er hatte es geahnt, wollte es nur nicht öffentlich zugeben. Jetzt, im Spätherbst 1508, steht er auf dem Gerüst in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan und muss mitansehen, wie die „Sintflut“ von der Decke bricht. 30 eisig kalte Tage lang hat Michelangelo mit durchgebogenem Rücken an diesem ersten Fresko seines Weltenzyklus gearbeitet, den Kopf tief in den Nacken gelegt, den Pinsel hochgereckt, Gesicht und Bart von Farbklecksen bedeckt. Doch das Zinnoberrot und das Kupfergrün halten sich nicht auf dem Putz, sondern bilden Schimmel.

Der Künstler will 1000 Quadratmeter Deckengewölbe verzieren

Nun schlagen seine Helfer die Arche Noah und die mit den Fluten ringenden Figuren wieder ab. Übrig bleibt nur das Felsinselchen, auf das sich einige Verzweifelte für einen Moment vor dem Wasser retten. Ihre Hoffnung ist trügerisch und Michelangelos Stimmung düster. 1000 Quadratmeter misst das Deckengewölbe, 350 Einzelfiguren in 175 Bildeinheiten hat der Künstler geplant.

Seinem Auftraggeber, Papst Julius II., hatten zunächst auch zwölf Apostel genügt. Ein üppigeres Bildprogramm kam ihm vermutlich nicht in den Sinn, denn in der Regel werden die Decken der Kirchen nur mit Sternenhimmeln bemalt – so war es auch in der Sixtina geplant, ehe Michelangelo Hand anlegte.

Dem Künstler aber erschienen zwölf Figuren und einige Ornamente zu „ärmlich“, wie er sagt. Er will das große Ganze, will die Entstehung von Kosmos und Erde, das Schicksal der Menschen zwischen Ursünde und Erlösungshoffnung zeigen. Sein Werk soll das Heute aus der Vorgeschichte ableiten und in eine hehre Zukunft führen.

Der Papst staunte über diesen Vorschlag – und stimmte zu. Möglicherweise stellte er Michelangelo einen theologischen Berater zur Seite, der darauf drang, dass der Herrschaftsanspruch der Päpste – und insbesondere derjenige des Julius – ausreichend gewürdigt wird. Sicher aber ließ er dem Maler von Beginn an große künstlerische Freiheit.

Die Freiheit des Geistes aber ist noch nicht die der Hand. Michelangelo kennt die Rezeptur für das Wandgemälde nicht. Der versierte Bildhauer hat zuletzt in seiner Lehre vor 20 Jahren Fresken gemalt, in seiner Heimatstadt Florenz. Von dort kommen auch seine Mitarbeiter, weil er römischen Künstlern nicht traut. Er verdächtigt seine Konkurrenten vor Ort, ihn umbringen zu wollen; wer weiß, was ein römischer Gehilfe auf dem Gerüst in gut 20 Meter Höhe täte. Die

Rohstoffe aber stammen aus Rom, nicht aus Florenz. Und die hiesige Puzzolan-Erde verhält sich im Mörtel anders als Arno-Sand.

Michelangelo hasst den mühseligen Malerjob

Es funktioniert nicht. Nicht einmal in der einfachen Secco-Technik, bei der man auf bereits trockenem Putz malt und sich deshalb Zeit lassen kann. Der Bildhauer vermisst seinen Marmor, und er hasst diesen mühseligen Malerjob, der ihn wohl noch Jahre kosten wird. Also aufgeben?

Niemals. Denn dann würde diese Bande recht bekommen, die ihm – so glaubt der 33-Jährige – nach Ehre, Geld und dem Leben trachtet. Seine Konkurrenten: der Baumeister Bramante und dessen Zögling Raffael, ein junger zugereister Maler, der seit Kurzem die päpstlichen Privatgemächer ausmalen darf. Der eine ein Saboteur und der andere ein Spion, meint Michelangelo.

Bramante hatte das erste Malgerüst für die Sixtina entworfen: eine höchst instabile Seilkonstruktion, die an der Decke aufgehängt wurde. Die Bohrlöcher wären auf ewig sichtbar geblieben. Michelangelo fürchtete um Leben und Werk und forderte eine Balkenkonstruktion, die auf den oberen Simsen der Seitenwände aufliegt. Um dieses Gerüst schleicht nun Raffael herum und wartet auf die Gelegenheit, heimlich hochzuklettern und Ideen zu stehlen.

Seine Konkurrenten sind schuld an allen Problemen, glaubt Michelangelo. Sie hätten dem Papst überhaupt erst diese Deckenmalerei eingeredet und dann vor Julius gehöhnt, er werde vor der Herausforderung zurückschrecken, da ein Bildhauer von Freskomalerei nichts verstehe.

Michelangelo wird es ihnen zeigen. Zeigen müssen.

Den vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von GEOEPOCHE EDITION zum Thema "Renaissance" nachlesen.

Das Fresko "Die Erschaffung des Adam" an der Decke der Sixtinischen Kapelle ist typisch für das edle Menschenbild der Renaissance. Doch die Arbeit an dem Gewölbe ist Michelangelo eine Qual
Das Fresko "Die Erschaffung des Adam" an der Decke der Sixtinischen Kapelle ist typisch für das edle Menschenbild der Renaissance. Doch die Arbeit an dem Gewölbe ist Michelangelo eine Qual
© Vatikanische Museen

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GEO EPOCHE EDITION Nr. 3 - 04/11 - Renaissance

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