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Leseprobe: Nächstes Jahr in Jerusalem

Beseelt von der Idee eines eigenen Staates, ziehen Juden seit über 100 Jahren ins Gelobte Land, obwohl es dort gefährlich ist zu leben. Was bedeutet es, den Neuanfang zu wagen - und zu bleiben, trotz aller Risiken? Wie erleben die Immigranten ihre neue Heimat , die sie sich endlich erkämpft haben nach fast zwei Jahrtausenden Diaspora? Stimmen aus Israel, von der frühen Einwanderung bis heute

Als wir nach Palästina einwanderten, kamen wir in Jaffa an, das heißt, man wurde vom Schiff auf Boote verladen und ans Land gerudert. Mir wurde schlecht, denn es war furchtbar heiß, und mein erster Eindruck vom Lande war, wenn das Palästina ist, bleibe ich nicht hier.

Cilla Grünewald, 1918 in Deutschland geboren, emigrierte 1933 nach Palästina

Aus dem Ausland betrachtet, ist Palästina romantisch. Aber Menschen, die Romantik lieben, sollten besser dort bleiben, wo sie sind. Sobald man das Land betritt, löst sich die Romantik in Nichts auf, der Dunstschleier des Traumes lichtet sich, und zurück bleibt ein raues, steiniges Land, halbwild und unterentwickelt.

Jefim Gordin (1908–1967), Schriftsteller, wanderte aus dem heutigen Litauen ein

Jung verheiratet, voller zionistischer Ideale und neugieriger Erwartung kamen wir 1934 im Jaffa-Hafen an. Es war schon ein Schock: dieser Schmutz, dieser Krach, diese Hitze, dieser kochende Orient.

Lilit Pavell, 1912 in Stettin geboren, Autorin, 1934 eingewandert

Als wir in der grellen Sonne warteten und nicht wussten, wohin wir uns wenden sollen, fiel es uns schwer, uns zu erinnern, aus welchem Grund wir gekommen waren. Einer unserer Gruppe wandte sich zu mir und sagte halb enttäuscht, halb im Scherz: "Na Goldie, du wolltest nach Eretz Israel kommen. Wir sind da. Jetzt können wir alle wieder gehen. Es genügt." Auf jeden Fall lächelte ich nicht, als ich diese Worte hörte.

Golda Meir (1898–1978), kam 1921 aus den USA. Von 1969 bis 1974 Premierministerin

Wenige Tage später näherte sich das Schiff dem Strand Palästinas. In Dankbarkeit gedachte ich des allmächtigen Schöpfers, der mich hierhergebracht hatte, damit ich einen wesentlichen, bisher vernachlässigten Teil meiner Lebensaufgabe in Angriff nehmen konnte. Zugleich zerrte mir Verzweiflung am Herzen, wenn ich meines Bruders und all der anderen in Europa hilflos Zurückgelassenen gedachte. Zwischen sanfter Dankbarkeit und schärfstem Schmerz war meine Seele in beispielloser Weise geteilt.

Max Brod (1884–1968), Schriftsteller, floh 1939 aus Prag nach Palästina

5.45 früh - am Horizont nähert sich die Küste und wachsen die Umrisse der Häuser von Jaffa. Trubel, Hin- und Herjagen nach Gepäck und den Beamten der Einwanderungsbehörde, um das Schiff ein Haufen kleiner Boote. Arabische Worte fliegen vom Schiff hinunter und herauf, Pfeifen tönen, Sirenen heulen, Lastträger in verstaubten und verschwitzten Blusen und Hosen, die als Säcke um die Beine hängen, klettern an Stricken aufs Deck. Schwarze Augen schauen unter den Tüchern und Fetzen hervor, die in allen möglichen und unmöglichen Formen um den Kopf gewickelt sind. Ehe man sich umsieht, ist der Koffer weg, befindet man sich im Arm eines solchen Burschen und wird ins schaukelnde Boot geschafft. Martin Hauser, 1913 in Berlin geboren, emigrierte 1933 nach Palästina Nach meiner Heirat mietete uns mein Vater eine Wohnung in Jaffa. Sie lag neben dem arabischen Marktplatz. Es war ein elender Ort. Unsere Wohnung wurde von den umliegenden arabischen Häusern völlig verräuchert. Die Häuser standen viel zu dicht beieinander, und die Enge war unerträglich, besonders nachdem unser Sohn geboren war. Der Schmutz, das Fluchen, die Unarten der arabischen Kinder schufen keine gute Atmosphäre, um ein Kind aufzuziehen. Auch wir Erwachsenen fühlten uns in der fremden Umgebung isoliert; es gab kein kulturelles Leben, und die Juden wohnten über die ganze Stadt verstreut.

Rachel Massuda Danin (1872–1960), Mutter eines der Gründer des Mossad

Straßenszene in Jerusalem: Weltliche und ultraorthodoxe Juden haben fast nichts mehr miteinander gemein
Straßenszene in Jerusalem: Weltliche und ultraorthodoxe Juden haben fast nichts mehr miteinander gemein
© Serge Attal/Visum

Es gab weder fließend Wasser, Strom noch Telefon. Das Wasser kam aus einer großen Zisterne. In Dürrejahren füllten wir sie mit Hunderten Eselsladungen von Wasser, das wir einem Araber abkauften. Gershom Scholem (1897–1982), Professor für jüdische Mystik, kam 1923 aus Berlin Ich bin seit fast einer Woche hier in Jerusalem und versuche, etwas Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Es gibt nichts Demütigenderes als "unser" Jerusalem. Alles, was das Heilige entweihen und beschmutzen könnte, wurde getan. Man kann sich so viel Falschheit, Blasphemie, Gier und so viel Lüge kaum vorstellen. Es ist eine abscheuliche Stadt ohne die geringsten Annehmlichkeiten. Die in den Himmel ragenden Minarette, Glockentürme und Kuppeln legen schmerzlich Zeugnis davon ab, dass Jerusalem keine jüdische Stadt ist.

Chaim Weizmann (1874–1952) aus Weißrussland, Israels erster Staatspräsident

Wir hätten kaum zu einer schlechteren Zeit ankommen können. Die Luft, der Sand, die weißen Stuckhäuser glühten in der Mittagssonne. Wir warteten vergebens auf dem leeren Bahnhof auf Freunde, denen wir unsere Ankunft mitgeteilt hatten. Später erfuhren wir, dass sie gerade an diesem Tag nach Jerusalem gefahren waren, um die letzten Vorbereitungen zum Verlassen des Landes zu treffen.

Golda Meir

Als wir nach Ra'anana zogen, bestand das ganze Dorf aus einem Sandstreifen. Hier und da standen 30 bis 40 kleine Häuser. Wir kamen zu einer Hütte, die uns zugewiesen worden war. Ich erinnere mich noch gut, dass meine Mutter in die Hütte hineinging, wieder herauskam und sich auf das Bett setzte, das mitten im Sand stand. Sie fing an zu weinen.

Aharon Megged, Schriftsteller, 1920 in Polen geboren

Ich blieb allein. Allein suchte ich eine Milchstube in der Nähe auf. Allein blieb ich am Nachmittag über hebräische Lehrbücher gebeugt. Ebenso am Abend. Noch niemals hatte ich mich so einsam, so isoliert gefühlt. Auch in den nächsten Tagen wechselte meine Wirtin mit mir nur die nötigsten Worte. Es war keine Unfreundlichkeit; es war einfach Gleichgültigkeit. Diese Menschen gaben sich nicht die geringste Mühe, die Neueinwanderin heimisch zu machen. Meine Enttäuschung war bitter.

Lola Landau (1892–1990), Schriftstellerin, verließ Berlin 1936

500.000 Menschen, Holocaust-Überlebende aus Europa und Menschen aus den arabischen Ländern, kamen in ein oder zwei Jahren hierher. Die Atmosphäre wandelte sich sehr. Früher waren wir eine Gemeinschaft von Pionieren gewesen, von Freiwilligen. Jetzt entstand eine neue Ära. Wir wurden ein Staat. Für die Leute, die vor 1948 aufgewachsen waren, bedeutete dies eine Änderung der Überzeugun- gen. Alles wurde bürokratisiert, organisiert und von oben herab, von den Regierungsbehörden, angeordnet. Wir mussten uns an das neue Leben gewöhnen, unsere Mentalität ändern. Sehnsucht nach den Gründerjahren kam auf.

Aharon Megged

Die Juden aus Europa hatten entsetzliche Tragödien hinter sich; die Juden aus den arabischen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas hatten in ihrer Mehrheit ohne jede Ausbildung, in bitterer Armut und von ihrer Umwelt terrorisiert in den Ghettos und Kasbahs einiger repressiver Länder der Erde gelebt. Sie wussten wenig oder nichts über das Leben im 20. Jahrhundert. Sie hatte nur eines gemeinsam: Sie waren alle Juden, aber das bedeutete schon sehr viel; in Wahrheit alles.

Golda Meir

Im Kibbuz nahm man uns nicht freundlich auf. Die Lage war gespannt. Man war auf uns gar nicht vorbereitet. Untergebracht wurden wir auf Strohmatten auf dem nackten Boden eines gerade leer stehenden größeren Raumes, der nachher mit dünnen Bretterwänden in "Zimmer" geteilt wurde. Verletzt durch die abweisende Art, mit der wir aufgenommen wurden, sangen wir, um zu ärgern, Nazilieder. Das erhöhte natürlich die Spannung zwischen den Kibbuz-Leuten und uns. Auch war es grässlich heiß, es war im Mai mit Chamsin, das sind Wüstenwinde aus dem Nord- oder Südosten, es waren um die vierzig Grad, die erste Arbeit, die man uns gab, war das Sortieren von Kartoffeln in einem fensterlosen Raum.

Tuvia Rübner, geboren 1924 in der Tschechoslowakei, kam 1941 mit einem Flüchtlingstransport

Den vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von GEOEPOCHE "Israel" nachlesen.

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GEO EPOCHE Nr. 61 - 06/13 - Israel

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