Ausgerechnet ein Preuße liefert die treffendste Beschreibung dieses Münchner Originals: „Ein zaundürrer, langer Geselle, mit langen, spitzen Don-Quichotte-Beinen, mit winkligen, spitzigen Knien, einem Löchlein in der Hose, mit blankem, abgeschabtem Anzug. Er ist sanft und zerbrechlich, schillert in allen Farben wie eine Seifenblase; wenn er plötzlich zerplatzte, hätte sich niemand zu wundern“, schreibt der Berliner Kurt Tucholsky 1924. Und Bertolt Brecht stellt fest: „Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz.“
Für viele ist Karl Valentin der größte deutsche Komiker jener Jahre. Der sieht sich selbst eher als Volkssänger; als einen von vielen Kleinkünstlern, die mit humoristischen Auftritten die Münchner unterhalten. In Wirtshäusern und Singspielhallen parodieren sie typische Figuren der Hauptstadt wie den „Gigerl“, den Vorstadtgigolo, der nie arbeitet, aber trotzdem zu leben versteht.
Karl Valentin: absurder Körper- und Wortakrobat
Der Künstler, 1882 als Valentin Ludwig Fey in einer Münchner Vorstadt geboren, macht wohl seinem Vater zuliebe eine Schreinerlehre, doch ab 1907 präsentiert er seinen ausgezehrten Körper als „lebende Karikatur“ in immer neuen Rollen: etwa als „Barfußtänzerin“ in Strumpfhosen oder „Schwerer Reiter“, ein klapperdürrer Soldat.
Das Münchner Publikum ist begeistert von seinen Parodien. Und als seine Bühnenpartnerin und Geliebte Liesl Karlstadt ihn 1924 dazu überredet, die Einladung zu einem Gastspiel in Berlin anzunehmen, feiert ihn auch die Avantgarde der Reichshauptstadt.
Dass Valentin das bayerische Massenpublikum ebenso wie Berliner Intellektuelle begeistert, liegt an den zahlreichen Facetten seiner Bühnenpersönlichkeiten. Da ist das Münchner Urvieh, das in viel zu enger Kleidung das Publikum allein durch seine groteske Figur zum Lachen bringt. Oder der Wortakrobat, der Sprache bis zur Absurdität malträtiert, wenn er zum Beispiel in „wissenschaftlichen“ Vorträgen den Regen als „primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen“ bezeichnet.
Als Hypochonder scheut Valentin technische Entwicklungen
Die Berliner sehen in ihm einen sozialkritischen Tragiker – so wenn er als kleinbürgerlicher Vater die Firmung seines Sohnes in einem feinen Lokal feiern will, aber trunken und randalierend des Etablissements verwiesen wird. Valentin selbst ist ein Asthmatiker und Hypochonder, ein Exzentriker, der Veränderungen hasst und technische Entwicklungen wie das Auto für zu schnell hält.
Für seine Kunst aber nutzt er Neuerungen sofort. Schon 1912 richtet er sich ein Filmstudio ein. Bisweilen sind seine Stummfilme experimentell und surreal, 1922 etwa zeigt „Mysterien eines Frisiersalons“ einen Friseur, der einen Kunden mit dem Rasiermesser köpft, erschossen wird – und am Ende die tennisballgroße Kugel aus seiner Brust holt.
Die Münchner lassen sich bald lieber in Kinos als in Singspielhallen unterhalten, viele Traditionslokale müssen schließen. Auch der Tonfilm ist nichts für Valentin, denn der Freigeist lässt sich keine Texte vorsetzen, will lieber improvisieren – und findet kaum Regisseure und Produzenten, die da mitmachen.
Krieg beendet Valentins Karriere
Die Zensurbehörde des NS-Regimes erschwert seine Arbeit erheblich. Und nach dem Krieg ist schillernder Witz gar nicht mehr gefragt – zumal Valentins Humor immer grüblerischer wird, etwa den Schrecken der Atombombe behandelt. Die Deutschen wollen nun jedoch leichte Unterhaltung. Verzweifelt und verarmt stirbt Valentin 1948 in seinem Haus in Planegg an einer Lungenentzündung – „im Ausland“, wie der Urmünchner sein nur wenige Kilometer von der Stadt entferntes Wochenenddomizil stets genannt hat.
Doch schon zehn Jahre später entdecken die Deutschen den Künstler wieder. Bald schon erscheinen Valentins gesammelte Werke, entsteht ihm zu Ehren ein Museum, werden seine Stücke gespielt, seine Sketche im TV gezeigt. Valentins Humor ist fast zeitlos populär, wohl weil er in nüchternen Worten Situationen zusammenfasst, die jeder Mensch schon einmal erlebt hat, etwa wenn er so lakonisch wie präzise feststellt: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“