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Keilschrift Poesie und Wissenschaft

Prof. Dr. Annette Zgoll
Prof. Dr. Annette Zgoll, Direktorin des Seminars für Altorientalistik der Universität Göttingen
© Tobias Brabanski
Eine Königstochter schreibt um ihr Leben: „Enheduana bin ich – ein Gebet will ich nun zu dir sprechen ... Oder muss ich sterben?“ In 153 poetischen Zeilen ruft die Prinzessin eine Göttin um Beistand an, als politische Unruhen ihre Heimatstadt erschüttern. Ihr Lied, das sie um 2250 v. Chr. in Mesopotamien im heutigen Irak niederschreibt, macht die Dichterin zur ersten uns bekannten Autorin der Geschichte. Auch die aktuelle Ausgabe von GEOEPOCHE „Mythos Babylon“ erzählt von ihrem dramatischen Leben.

Dass heute so viel über sie bekannt ist, verdankt Enheduana vor allem einer Frau, von der sie mehr als 4000 Jahre trennen. Prof. Dr. Annette Zgoll, die in Münster und München studiert und unter anderem in Leipzig, Oxford, Istanbul und Philadelphia geforscht hat, leitet das Seminar für Altorientalistik der Universität Göttingen. Dort untersucht sie etwa die ältesten Mythen, die die Menschheit niederschrieb, wie die Bewohner des Zweistromlandes ihre Götter verehrten, ja sogar, wie sie träumten. Und in ihrer Doktorarbeit ergründete und übersetzte sie anhand von über 100 Tontafeln Enheduanas Lied – dessen Inhalt zuvor in großen Teilen ein Rätsel gewesen war.

Eine Herausforderung, in mehrfacher Hinsicht. Denn das Lied ist in sumerischer Sprache und in Keilschrift verfasst, also mesopotamischen Schriftzeichen, die heute weltweit nur wenige Hundert Experten wie Zgoll zu entziffern wissen. Der Text gilt zudem als einer der schwierigsten der sumerischen Literatur. Und weil die Autorin eben nicht etwa ein Bürokrat war, der Getreiderationen notierte, musste Zgoll beim Übersetzen selbst zur Dichterin werden. Denn Enheduanas Worte sollten auch auf Deutsch ihre poetische Kraft entfalten.

Das klingt dann zum Beispiel so: „Wie eine Schwalbe hat er mich vom Fenster weggescheucht. Nachdem er dafür gesorgt hat, dass die Leute mein Leben vertilgt haben, lässt du zu, dass ich nun zum Dorngestrüpp des Feindeslandes gehen muss?“ In jahrelanger Arbeit gelang es Zgoll so, neue Erkenntnisse nicht allein über Enheduana zu gewinnen – sondern auch über die sumerische Sprache an sich. „Die Arbeit gleicht einer Entdeckungsreise“, sagt die Wissenschaftlerin: „Wenn man plötzlich, nach langem Ringen, einen Text versteht, dann ist es, als hätte man neues Land entdeckt.“

Eine Übersicht der Publikationen von Prof. Zgoll findet sich hier: https://www.uni-goettingen.de/de/publikationen/187623.html, u.a. mit der neuesten Übersetzung des Liedes der Enheduana im Beitrag „Nin-me-šara - Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin En-ḫedu-Ana“ von 2015.

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