1640: Der Aufstand der Katalanen
Aus dem Zug, der am Fronleichnamstag 1640 durch die Straßen von Barcelona marschiert, erklingen keine frommen Lieder. "Tod den Verrätern!", rufen die rund 500 Männer. Viele von ihnen halten Sicheln in ihren Fäusten. Es sind segadors, Schnitter. Mit den Tagelöhnern, die wie jedes Jahr um diese Zeit in die Stadt einziehen, um ihre Dienste für die Ernte anzubieten, sind auch Aufständische nach Barcelona gekommen: Seit Monaten kämpfen sie gegen den Beschluss der königlichen Regierung, in ihren Dörfern Truppen einzuquartieren.
Sie laufen zur Residenz des von Madrid entsandten Vizekönigs und tragen Holz zusammen, um das Gebäude in Brand zu stecken. Doch als Brüder des benachbarten Minoritenkonvents ein Kruzifix auf den Stapel stellen, wagen sie es nicht, diesen anzuzünden, und ziehen die Rambla hoch, damals eine Straße am Rande Barcelonas. Dort stürmen sie das Haus eines königlichen Richters und verbrennen dessen Möbel, Bücher und Papiere. Der Richter kann in ein Kloster entkommen, wird aber später am Tag von Rebellen entdeckt und erstochen.
Der Vizekönig flieht in die Werft am Hafen. Eine Galeere liegt für ihn bereit. Aber er zögert: Wenn er geht, ist die Stadt für die Zentralregierung in Madrid verloren. Da kommt das Gerücht auf, königliche Soldaten hätten einen Stadtrat von Barcelona getötet. Nun schließen sich den Rebellen vom Lande auch Handwerker und andere Unzufriedene aus der Stadt an. Gut 3000 Menschen dringen am Nachmittag zur Werft vor.
Gleichzeitig besetzen eininige den Turm der benachbarten Bastion. Mit vorgehaltenen Dolchen zwingen sie einen Offizier, Kanonenschüsse auf die Galeere abzufeuern – und vertreiben damit das Schiff. Mit wenigen Getreuen flieht der Vizekönig daraufhin entlang der Küste. An diesem 7. Juni 1640 erreicht der Aufstand, der in den Dörfern des Hinterlandes seinen Ursprung nahm, endgültig die Hauptstadt: Ganz Katalonien erhebt sich nun gegen die Regierung im fernen Madrid.
Jahrhunderte zuvor bleibt Katalonien lange unabhängig
Fast genau 500 Jahre zuvor hat sich das unabhängige Fürstentum Katalonien mit dem benachbarten Königreich Aragón vereinigt, als die aragonische Thronerbin im Jahre 1137 per Ehevertrag dem Grafen von Barcelona versprochen wurde. Im 14. Jahrhundert herrschten die Könige des Reiches über Sardinien, Sizilien und Teile Griechenlands. Die rund 50.000 Einwohner zählende Hauptstadt Barcelona wurde zu einem der wichtigsten Häfen im westlichen Mittelmeer.
Unter der Krone Aragóns behalten die Katalanen in den folgenden Jahrhunderten ihre Eigenständigkeit. Sie haben ein Ständeparlament, die corts, in dem Adelige, Kleriker und die Patrizier der Städte vertreten sind, sowie einen hohen Rat, die diputació, die Steuern eintreibt und die Provinz gegenüber dem Herrscher vertritt.
Vor allem besitzen die Katalanen die "Konstitutionen", eine Sammlung von Gesetzen und Privilegien. Jeder aragonische König muss bei Amtsantritt schwören, sie zu beachten – etwa, dass er nur mit Zustimmung der Corts Steuern erhöhen oder Gesetze erlassen kann. Und dass sich die Katalanen an den Kosten eines Krieges, den ihr König führt, nur dann beteiligen müssen, wenn ihr eigenes Territorium angegriffen wird.
Auch Ferdinand von Aragón, dessen Heirat mit Isabella von Kastilien zur Vereinigung der beiden großen spanischen Reiche führt, bestätigt 1479 die Konstitutionen. Katalonien prägt weiterhin eigene Münzen, Katalanisch bleibt Amtssprache.
Höchster Vertreter des spanischen Monarchen ist ein Vizekönig in Barcelona, dessen Macht aber durch die Konstitutionen stark eingeschränkt ist. Die anderen Teilreiche Spaniens – etwa die baskischen Provinzen und Navarra – verteidigen ebenfalls ihre Sonderrechte; nur in ihrem Kernland Kastilien herrschen die Könige nahezu uneingeschränkt.
Am Königshof in Madrid steigt mit der Krönung Philipps IV. aber 1621 ein Mann auf, der genau das ändern möchte: der 34-jährige Gaspar de Guzmán, Graf von Olivares, der schon bald als Erster Minister für den schwachen König die Regierungsgeschäfte führt. Olivares ist ein rastloser Mann, getrieben von einem Ziel: Spaniens Teilreiche zu einem einheitlichen, modernen Staat zu verschmelzen, ohne Rücksicht auf die Sonderrechte.
"Das Wichtigste für Sie ist, König von Spanien zu werden“, mahnt er Philipp IV. in einem Memorandum. „Damit meine ich, dass sich Eure Majestät nicht damit zufriedengeben sollten, König von Aragón und Valencia und Graf von Barcelona zu sein. Sondern dass Sie daran arbeiten sollten, diese Königreiche den Gepflogenheiten und Gesetzen Kastiliens anzupassen, ohne jeglichen Unterschied."
Dazu plant der Minister eine Reform des Militärs. Er will die Reiche zu einer Verteidigungsunion zusammenschließen: Jedes soll eine bestimmte Zahl von Reservisten bereithalten; bei einem Angriff auf eine der Provinzen sollen ihr die anderen mit ihren Kontingenten zur Seite stehen.
Der Krieg entzweit Spanien und Katalonien
Bis dahin hat Kastilien stets den größten Teil der Kriegskosten getragen, doch nach fast 60 Jahren Kampf gegen die Rebellen in den Niederlanden ist es ruiniert. Nun sollen sich die anderen Teilreiche an den Kriegen beteiligen.
Im März 1626 reist Olivares gemeinsam mit dem König nach Barcelona und drängt die Corts, seinem Plan zuzustimmen. Als bekannt wird, dass Katalonien 16.000 Reservisten stellen und bezahlen soll, kommt es in der Versammlung zu Tumulten. Die Vertreter der Stände berufen sich auf die Konstitutionen – und lehnen ab. "Im Fürstentum von Katalonien sind die Einwohner frei", erklärt einer von ihnen, "und können nicht verpflichtet werden, Ihrer Majestät zu dienen."
Daraufhin fordert Olivares zumindest einen Ausgleich von 250.000 Dukaten pro Jahr. Eine gewaltige Summe – die katalanische Regierung nimmt jährlich nur rund 150.000 Dukaten Steuern ein. Erneut weigern sich die Corts. Tagelang debattieren sie darüber, wie viel sie zu zahlen bereit sind. Bis sie am Morgen des 4. Mai von der Nachricht überrascht werden, dass der König seinen Besuch abgebrochen hat. Ein Affront gegenüber den Katalanen, aber auch eine Niederlage für Olivares. Doch der gibt seinen Plan nicht auf.
13 Jahre später ist es so weit: Denn Frankreich hat 1635 Spanien den Krieg erklärt, und Olivares beschließt im Frühjahr 1639, in Katalonien eine neue Front gegen die Franzosen aufzubauen. Wenn aber ihr Territorium in den Krieg verwickelt wird, so seine Hoffnung, "werden sich die Katalanen schon als tapfere Kämpfer erweisen".
Er verlangt 14.000 katalanische Soldaten. Doch die Rekrutierungen sind mühsam: Als die Franzosen am 19. Juli die wichtige Grenzfestung Salses erobern, sind erst rund 7500 Katalanen unter Waffen. Dennoch schließen sie gemeinsam mit Truppen aus anderen Provinzen ihrerseits Salses ein. Bald aber brechen unter den Belagerern Krankheiten aus, darüber hinaus zermürben Unwetter die Soldaten. Tausende desertieren, die Straßen in Richtung Süden sind überfüllt mit Kranken und Sterbenden. Im November ist der katalanische Teil der Armee auf 2000 Mann geschrumpft.
Im Januar 1640 kapitulieren die Franzosen in Salses. Olivares ordnet nun an, die Soldaten der königlichen Armee für die nächsten Monate in Katalonien einzuquartieren – gut 9000 Mann in einem vom Krieg erschöpften Land. Zudem befiehlt er den Katalanen, die Soldaten zu verpflegen. Das aber ist ein Verstoß gegen die Konstitutionen.
Der katalanische hohe Rat, die Diputació, verfasst eine Protestnote. Daraufhin lässt der Vizekönig auf Anweisung aus Madrid ein Mitglied der Diputació verhaften, außerdem zwei Angehörige des Stadtparlaments von Barcelona, die versucht hatten, eine Art Staatstrauer auszurufen. Auf dem Land geraten gleichzeitig immer wieder Einwohner und Soldaten aneinander. Von wem die Gewalt ausgeht, bleibt oft unklar: Es gibt Plünderer unter den Soldaten, aber auch viele, die nur verzweifelt sind vor Hunger – und die Katalanen verweigern häufig selbst die geringste Unterstützung.
Im Februar sterben mehrere wallonische Söldner bei einem Krawall in einer Küstenstadt. Am 27. April will ein Beamter des Vizekönigs in einem kleinen Ort rund 70 Kilometer nordwestlich von Barcelona weitere Einquartierungen durchsetzen. Die Einheimischen bedrohen ihn, er flüchtet in seine Herberge, die Einwohner zünden sie an, der Beamte verbrennt.
Nun schließen sich in den Nachbargemeinden viele Hundert Männer zusammen und greifen königliche Truppen an, die in der Umgebung einquartiert sind. Die Soldaten fliehen, setzen aber noch eine Dorfkirche in Brand, in der die Bewohner ihren Besitz gelagert haben. Für dieses Sakrileg exkommuniziert der Bischof von Girona die Soldaten. Für viele Katalanen ist der Kampf gegen die Zentralregierung nun auch ein Heiliger Krieg.
Immer mehr Landbewohner bewaffnen sich. Am Morgen des 22. Mai drängen sich etwa 2000 Männer mit Pistolen, Musketen und einem Christusbild in den Händen durch eines der Stadttore von Barcelona. Sie ziehen zum Gefängnis, reißen die Tore ein und befreien das Mitglied der Diputació und die beiden anderen Gefangenen. Der Bischof von Barcelona eilt herbei, die Rebellen küssen ihm die Hand – und lassen sich überzeugen, Barcelona wieder zu verlassen. Doch sie haben gezeigt, dass sie in der Stadt tun können, was immer sie wollen.
1640: Die Zentralregierung Katalonies bricht zusammen
Am Nachmittag des 7. Juni 1640, des Fronleichnamstags, brennt die Sonne heiß auf den felsigen Küstenstreifen, der vom Hafen Barcelonas weg in Richtung Süden führt. Nach der Flucht aus der Werft kommt der Vizekönig, ein korpulenter Mann, nur mühsam voran. Er stolpert, schwitzt und fällt bald hinter seine Begleiter zurück.
Immer wieder muss er sich ducken: Die Rebellen werfen Steine und schießen. Der Vizekönig klettert weiter über Felsbrocken. Rutscht schließlich aus, stürzt herunter und bleibt ohnmächtig auf dem Rücken liegen. Die Aufständischen sind schnell bei ihm. Ein Seemann zieht seinen Dolch, rammt ihn dem Vizekönig in den Bauch, danach sticht ein Segador noch mehrere Male zu. Der Stellvertreter seiner Majestät Philipps IV. von Spanien verblutet am Strand.
Mit dem Tod des Vizekönigs bricht die Macht der Zentralregierung in Katalonien vollständig zusammen. Vier Tage lang wüten die Rebellen in Barcelona, plündern die Häuser von Richtern, töten mehrere hochrangige Beamte. Als sie sich endlich zurückziehen, brechen im Rest des Landes weitere Aufstände aus. Sie richten sich gegen die Soldaten des Königs, gegen seine Vertreter, seine Beamten und Richter. Aber noch denkt niemand daran, sich vom König selbst loszusagen und Katalonien für unabhängig zu erklären.
Zum neuen Vizekönig wird ein schwer gichtkranker Mann ernannt, der bereits wenige Wochen später stirbt. Die einzige Autorität in Katalonien liegt nun bei der Diputació unter ihrem Vorsitzenden, dem Geistlichen Pau Claris. Der 54-Jährige ist ein stolzer, leicht reizbarer Mann, der in seiner Diözese seit Jahren den Widerstand gegen den königsfreundlichen Bischof anführt.
Claris und seine Kollegen müssen sich gegen eine doppelte Bedrohung wehren. Denn an den Grenzen der Provinz sammelt der König seine Truppen – und im Inneren richtet sich die Wut der Rebellen nun gegen die gesamte Oberschicht. Stadträte, Adelige, reiche Kaufleute: Alle sind in Gefahr, als Verräter angegriffen zu werden, gleichgültig ob sie königstreu sind oder nicht. Die Diputació will den katalanischen Aufstand gegen Madrid weiterführen. Und muss gleichzeitig darauf achten, von der rebellischen Gewalt nicht weggeschwemmt zu werden.
Claris weiß, dass er dafür einen Verbündeten braucht. Er wendet sich an den größten Feind des spanischen Königs: Frankreich. Ein Verwandter von ihm hat bereits Wochen zuvor begonnen, im Geheimen Kontakte zu den Franzosen aufzunehmen. Im September treffen sich in einem Kapuzinerkloster im Norden der Provinz Abgesandte beider Seiten. Die katalanischen Vertreter ersuchen den französischen König nun formell um Schutz und bitten um Soldaten, Waffen und Munition. Dafür bieten sie dem französischen Unterhändler Bernard du Plessis-Besançon "immerwährende Brüderschaft" an.
Während die Franzosen heimreisen, um über Kataloniens Bitte zu beraten, versucht die Diputació, eine eigene Armee aufzustellen. Doch das Chaos im Land ist zu groß. Der hohe Rat kann sich kaum durchsetzen. Im Oktober reist du Plessis nach Barcelona und trifft mit der Diputació zusammen. Der Franzose spricht kein Katalanisch, die Katalanen sprechen kein Französisch, sie müssen auf Kastilisch miteinander reden, der Sprache des gemeinsamen Feindes.
Die Verhandlungen laufen zäh: Frankreich will sich einen dauerhaften Einfluss auf die Provinz sichern. Doch Claris und seine Kollegen sind noch nicht bereit, sich offiziell von Philipp IV. loszusagen. Sie erklären, dass die Katalanen nur einen Aufstand gegen die schlechte Regierung unter Olivares führen – an ihrer Treue zum König ändere das nichts.
Dennoch gelingt eine Einigung: Die Franzosen entsenden 3000 Soldaten, als Sicherheit erhalten sie neun katalanische Geiseln. Ende November marschiert die spanische Armee mit mehr als 20 000 Mann von Süden her in die Provinz ein. Schnell stößt sie in Richtung Norden vor, der Widerstand der Katalanen ist schwach.
Der französische Kommandeur ist von der mangelnden Kampfbereitschaft der Einwohner so entmutigt, dass er seine Männer abzieht und am 24. Dezember 1640 die Stadt Tarragona den Truppen Philipps IV. kampflos übergibt. In Barcelona geht daraufhin wieder das Volk auf die Straße, macht Jagd auf angebliche Verräter und wütet noch heftiger als am Fronleichnamstag.
Claris bittet die Franzosen dringend um neue Gespräche. Du Plessis verlangt den endgültigen Bruch mit Madrid, nur dann werde Frankreich Katalonien verteidigen. Er überbringt Claris ein Angebot von Kardinal Richelieu, dem Ersten Minister Ludwigs XIII.: Katalonien soll sich zu einer freien Republik unter dem Schutz des französischen Königs erklären. Claris ruft die Ständevertreter zusammen. Am 16. Januar 1641 stimmen sie zu. Katalonien ist nun ein unabhängiger Staat, ohne König oder Fürst. Genau eine Woche lang.
König Ludwig XIII. wird Graf von Barcelona
Denn du Plessis ist noch immer nicht zufrieden. Während Madrids Truppen immer näher an Barcelona heranrücken, fordert er, Katalonien solle sich dem König von Frankreich vollständig unterwerfen. Um den Druck zu erhöhen, hält er die eigenen Truppen zurück. Am 23. Januar, die spanische Armee hat Barcelona fast erreicht, stimmen die Katalanen zu und wählen Frankreichs König Ludwig XIII. zum Grafen von Barcelona.
Drei Tage später schlagen vor der Stadtmauer Franzosen und Katalanen gemeinsam die spanischen Einheiten zurück. Einige Wochen nach diesem Sieg stirbt Claris überraschend, möglicherweise vergiftet von einem spanischen Agenten. Er erlebt nicht mehr, wie die Franzosen nun noch rücksichtsloser hausen als zuvor die Männer des spanischen Königs, sich gewaltsam einquartieren, die hergebrachten Rechte missachten.
Bis 1652 gelingt es Philipp IV., die Provinz zurückzuerobern, in der die Franzosen mittlerweile ebenso verhasst sind wie einst die Abgesandten der Zentralregierung. Olivares ist da schon lange tot – und mit ihm seine Idee eines spanischen Einheitsstaates. Und trotz seines Sieges über die Katalanen ist der König bereit, weiterhin die Sonderrechte der Provinz zu achten.
Erst gut 60 Jahre später unternimmt sein Urenkel Philipp V. erneut einen Versuch, die Privilegien abzuschaffen – und hat Erfolg: Im Streit um den spanischen Thron hatten die Katalanen einen Gegner Philipps V. unterstützt, zur Strafe verlieren sie nun ihren jahrhundertealten Sonderstatus.
Doch das Bewusstsein der katalanischen Eigenständigkeit lebt weiter. Und so erinnert das "Lied der Segadors", heute die offizielle Hymne der Autonomen Region Katalonien, noch immer an den Aufstand vom Fronleichnamstag 1640. Dort heißt es: "Nun ist es Zeit, ihr Schnitter! Nun ist es Zeit, wachsam zu sein! Bis ein anderer Juni kommt, lasst uns die Werkzeuge schärfen gut!"
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