
Der berühmteste aller schottischen Könige war ein blutrünstiger Thronräuber, der – von Hexen verführt – seinen Vorgänger eigenhändig erdolchte und sogar Frauen und Kinder umbringen ließ, ehe er dem Wahnsinn vollends verfiel und von rachsüchtigen Rivalen getötet wurde. So jedenfalls beschreibt William Shakespeare den schottischen Herrscher Macbeth in seinem gleichnamigen Drama. Doch das Theaterstück aus der Zeit um 1606 hat wenig mit der Wahrheit zu tun. Der Hofdichter will mit ihm vielmehr seinem wichtigsten Zuschauer gefallen, Englands König Jakob I. Geschickt verwebt Shakespeare in seinem Bühnenwerk Themen, die den Monarchen interessieren: Hexerei, Königsmord (Rebellen haben versucht, die königliche Familie in die Luft zu sprengen) sowie die schottischen Wurzeln der Dynastie des Herrschers.
Dennoch enthält die Geschichte einen wahren Kern. Im 11. Jahrhundert schwelt in Schottland tatsächlich ein brutaler Machtkampf: Mehrere Zweige des Adelshauses MacAlpin ringen um die Königskrone. 1034 verschärft sich die Krise, als König Malcolm II. stirbt, ohne einen Sohn zu hinterlassen. Die Krone erbt sein Enkel Duncan, ein direkter Nachfahre zwar, aber nur durch die weibliche Linie. Hinzu kommt, dass die Erbfolge zu dieser Zeit noch nicht eindeutig festgelegt ist. Der um 1005 geborene schottische Adelige MacBeth (gälisch Macbethad) fühlt sich wahrscheinlich übergangen – durchaus zu Recht. Denn auch er ist wohl ein Enkel des alten Herrschers. Zudem regiert er Moray, eine Provinz im Norden. Dort hat er sich einen Namen als entschlossener Anführer gemacht, während Duncan als Feldherr wenig Geschick beweist (was Shakespeare verschweigt). Macbeth unterwirft sich ihm nicht. Und so zieht Duncan 1040 nach Norden, um den Rebellen zu bezwingen. Doch er fällt im Kampf gegen Macbeth, der ihm auf den Thron folgt.
Anfangs regiert der neue Monarch mit harter Hand, so berichtet es später ein Chronist. Er verfolgt Gegner, beschlagnahmt deren Besitz, verbannt und tötet sie. Duncans Frau und Söhne aber können entkommen. Nachdem er seine Rivalen vernichtet hat, brechen friedlichere Zeiten an, in denen sich Macbeth um sein Seelen- heil sorgt. Er stiftet einer Klostergemeinschaft wertvolle Ländereien. Dafür muss vermutlich ein Priester für die Vergebung seiner Sünden beten. 1049 wohl pilgert der Herrscher sogar nach Rom, verteilt dort großzügig Almosen und nimmt möglicherweise an einer wichtigen Kirchenversammlung teil. Macbeth ist auf dem Gipfel der Macht. Doch sein Nachbar im Süden, Eduard von England, plant gemeinsam mit Duncans Sohn Malcolm bereits seinen Sturz. 1054 fällt Malcolm an der Spitze einer Armee in Schottland ein. Er siegt in einer Schlacht und lässt sich wahrscheinlich kurz darauf zum König ausrufen. Macbeth flieht nach Moray und verschanzt sich dort. Drei Jahre später, am 16. August 1057, dringt Malcolm mit seiner Armee nach Norden vor und besiegt ihn. Während Shakespeare in seinem Drama Macbeth durch einen Untergebenen töten lässt, um den neuen König nicht zum Mörder zu machen, bringt Malcolm seinen Rivalen persönlich um. So jedenfalls überliefern schottische Chroniken das Ende des Herrschers.
Doch als Tyrannen schmähen sie ihn zunächst nicht. Warum auch? Macbeth war nicht grausamer als andere Könige. Im Gegenteil: Er hat Schottland Stabilität und wachsenden Wohlstand gebracht. Wäre Macbeth wirklich so gewesen, wie von Shakespeare behauptet: Hätte man ihn dann nach seinem Tod nicht heimlich verscharrt? Stattdessen aber fand er seine letzte Ruhestätte in der Abtei von Iona, auf der heiligen Insel der Schotten. Berühmt, unsterblich gar, wird der Schottenkönig aber dennoch erst durch Shakespeares Rufmord.