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Religionsgeschichte: War Moses ein Ägypter?

In einem neuen Buch benennt der Berliner Ägyptologe Rolf Krauss das historische Vorbild des Mannes, der Israel aus der Knechtschaft geführt haben soll

Nach der biblischen Version war Moses der Sohn eines hebräischen Paares in ägyptischer Gefangenschaft; um dem Gebot des Pharaos zu entgehen, wonach jedes männliche jüdische Kind zu töten sei, überantwortete Moses’ Mutter den Säugling in einem Binsenkörbchen den Wellen des Nils. Doch die Tochter des Pharao fischte das Kind heraus, ließ es aus Mitleid am Leben und später gar am Hofe des Pharao aufziehen. Als junger Mann erschlug Moses eines Tages einen Ägypter, weil dieser einen Hebräer bei der Fronarbeit geprügelt hatte, floh vor dem Pharao, kehrte aber nach dessen Tod auf Geheiß Gottes zurück und führte sein Volk nach 430 Jahren Frondienst in die Freiheit.

Erfunden, sagen inzwischen die meisten Forscher; und "mehr als 90 Prozent aller Gelehrten stimmen darin überein", so der Archäologe Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv, "dass es keinen Exodus des Volkes Israel aus Ägypten gab". Grabungen in der Wüste Sinai, durch die das Volk Israel 40 Jahre geirrt sein soll, blieben ergebnislos. Und, so Krauss, "weder schriftliche noch archäologische Quellen lassen auf die Existenz einer Gruppe von staatlichen Zwangsarbeitern schließen, die zur fraglichen Zeit im östlichen Nildelta ansässig war".

Dennoch sei nicht alles fiktiv, schreibt Krauss in seinem neuen Buch "Das Moses Rätsel" (Ullstein Verlag). Der erdichteten Bibelfigur liege ein historisches Vorbild zugrunde: ein ägyptischer Vizekönig, der im 13. Jahrhundert v. Chr. Krieg gegen den Pharao Sethos II. (1203-1198 v. Chr.) führte.

Dabei hatte jener Mase-sa-ja, Vizekönig der ägyptischen Provinz Kusch, noch wenige Jahre zuvor den Pharao Mer-ne-ptah (1213-1203 v.Chr.) gegen Aufrührer verteidigt. In einer Tempel-Inschrift rühmt er seinen Triumph über die Rebellen mit rohen Worten: "Gewaltig ist der Sieg. Leichen häufen sich. Auf die Heerführer der Gegner fallen Feuer. Und die Sieger schneiden vielen Besiegten Hände und Ohren ab und reißen ihnen die Augen heraus. Wer überlebt, fristet fortan ein Leben als Sklave."

Nach seinem Sieg allerdings erhebt sich Mase-sa-ja gegen den neuen Pharao und beansprucht als Gegenkönig Amun-mase-sa den Thron. Die These von Krauss: "Der Jahwist - so nennen die Alt-Testamentler den ältesten biblischen Dichter, der über Moses schrieb - hat auf die Biografie dieses alten Ägypters zurückgegriffen, um seine Geschichte glaubwürdig zu machen."

Tatsächlich erzählen jüdische Sagen aus der gleichen Epoche, dass Moses in Äthiopien (Kusch) gelebt, eine Kuschitin geheiratet, Krieg geführt und ein Zerwürfnis mit dem Pharao gehabt habe. Für Krauss liegt es nahe, dass die Sagen und die Erzählung aus dem alten Testament miteinander verzahnt sind.

Die Liste der Gemeinsamkeiten zwischen Moses und Mase-sa-ja sei lang. Zum Beispiel sei der Name sehr ähnlich, der zudem beweise, dass Moses "ein waschechter Ägypter" war. Der ägyptische Namensteil Mase bedeute "ist geboren". Beide sollen zur Zeit Ramses II. geboren worden sein; beide Väter waren Neffen ihrer Ehefrauen. Beide waren Königskinder mit Thronanspruch, lebten zehn Jahre in Kusch, führten dort Krieg und erhoben sich gegen den Pharao.

Moses floh und führte angeblich später das Volk Israel in die Freiheit. Mase-sa-ja - beziehungsweise Amun-mase-sa - kämpfte, unterlag und verschwand aus der Geschichte; Sethos II. ließ den Namen des treulosen Prinzen aus vielen Wandtafeln herausmeißeln. Dass der geschlagene Gegenkönig ins Heilige Land zog, hält Krauss für ausgeschlossen. Und selbst wenn der gescheiterte Putschist mit den Kindern Israels zusammengetroffen wäre: "Weshalb sollte er die jüdische Nationalreligion gestiftet haben?"

Bleibt die Frage: Was bezweckte der Jahwist mit seiner Geschichte? Ziel des Dichters sei gewesen, so Krauss, eine national-religiöse Vergangenheit für die Juden zu erfinden. Und es gab wohl auch einen Konflikt zwischen dem frühen Volk Israel und der ägyptischen Herrschaft - allerdings direkt im Heiligen Land, was damals von Ägypten aus regiert wurde.

Von diesem Israel kündet eine Steleninschrift von Pharao Mer-ne-ptah: "Geplündert ist Kanaan mit allem Übel; erobert ist Askalon, gepackt wurde Gezer; Yanoam ist gemacht zu Nichtsseiendem; Israel liegt wüst, es hat keinen Samen."

Viele Wissenschaftler vermuten die Wurzeln Israels im Hügelland von Judäa und Samaria. Dort fanden Archäologen 300 unbefestigte Siedlungen aus der Zeit nach 1200 vor Christus. Israel Finkelstein, der die Funde ausgewertet hat, vermutet, dass die Bewohner sesshaft gewordene Nomaden waren. Die historische Figur des Mase-sa-ja, des späteren Amun-mase-sa, sei "brauchbares Rohmaterial" in der Gegnerschaft zum Pharao gewesen.

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