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Archäologie: Im Palast des Dschingis Khan

Mit ungeheurer Grausamkeit eroberten seine Reiter das größte Landreich der Geschichte. Er selbst wurde verehrt wie ein Gott: Dschingis Khan. Deutschen Archäologen wurde jetzt erlaubt, was für Ausländer zu Zeiten des Mongolenherrschers tabu war: die Residenz Karakorum zu entdecken. Und alle Schätze darin

Inhaltsverzeichnis

Der Airbus der Mongolian Airlines, der Berlin mit Ulaanbataar, der Hauptstadt der Mongolei, verbindet, trägt den Namen "Dschingis Khan". Dschingis Khan - so heißen außerdem das beste Hotel am Platz, der reinste Wodka und das gemütlichste Bierlokal der Stadt. Ein Bildnis Dschingis Khans ziert Geldscheine in der Landeswährung Tugrik sowie die Briefmarken. Gleich nach der politischen Wende 1990 und dem Abzug der Sowjettruppen rehabilitierten die Mongolen ihren Staatsgründer. Der war unter sowjetischer Herrschaft verschrieen als orientalischer Despot und grausamer Tyrann.

Deutsch-Mongolische Beziehungen

Dennoch interessierte sich schon Zar Peter der Große für den Hassgegner. Russlands Drang nach Osten führte auch viele Forscher im Auftrag der Zaren nach Sibirien und in die Mongolei. Manche von ihnen, wie Isaak Jakob Schmidt oder Wilhelm Radloff, waren deutsche Wissenschaftler in russischen Diensten. Die Beschäftigung mit den Mongolen und deren Kultur hat deshalb in Deutschland Tradition. Nach Russland besitzt kein Land so viele mongolische Handschriften und Drucke. Die alten Verbindungen waren der Grund, weshalb sich die Mongolische Akademie der Wissenschaften zuerst an die Deutschen wandte, als der Beschluss gefasst wurde, Karakorum auszugraben - die von Dschingis Khan gegründete, aber seit fünf Jahrhunderten verlassene Hauptstadt der Mongolen.

Erste Funde: ein goldener Armreif, daneben die Schablone; zwei bronzene Zierscheiben; eine glasierte Tierskulptur; ein Kultspiegel mit chinesischen Schriftzeichen; ein quadratisches Beamtensiegel
Erste Funde: ein goldener Armreif, daneben die Schablone; zwei bronzene Zierscheiben; eine glasierte Tierskulptur; ein Kultspiegel mit chinesischen Schriftzeichen; ein quadratisches Beamtensiegel
© Marc Steinmetz

Projektstart 1997

Im Herbst 1997 trafen sich deutsche und mongolische Forscher im Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Bonn, später stießen noch Experten des Deutschen Archäologischen Instituts hinzu. Im September 1998 wurde das Abkommen über die "Mongolisch-Deutsche-Karakorum-Expedition" (MDKE) unterzeichnet. Seitdem gräbt ein gemischtes Team aus deutschen und mongolischen Wissenschaftlern die alte Kapitale aus.

Einsatz im Orchon-Tal

Professor Hans-Georg Hüttel arbeitet hoch konzentriert. Stück für Stück nimmt er das Fundmaterial in die Hand, beschreibt kleine Zettel, auf denen er Objekt, Fundnummer und Datum vermerkt, und verpackt die Artefakte in Plastikbeutel. Oben auf einem sechs Meter hohen Hügel, unter dem die Reste der Residenz liegen, weist er die Besucher ein. Dschingis Khan hatte den Platz für seine Hauptstadt gut gewählt. Weit geschwungen ist das 1500 Meter hoch gelegene Orchon-Tal, der Fluss wird heute wie damals zur künstlichen Bewässerung genutzt.

Professor Hüttel kennt alles Über 4000 chinesische Bauernfamilien siedelten die Mongolen hier um das Jahr 1220 an; sie sollten die für den täglichen Bedarf der Residenz nötigen Nahrungsmittel produzieren. Im unmittelbar angrenzenden Tschangai-Gebirge schlugen sie Holz, für Vieh und Pferde standen riesige Weideflächen zur Verfügung. Hüttel kennt die historischen Ortsbeschreibungen fast auswendig. Insbesondere die Reiseberichte Wilhelm von Rubrucks, eines Franziskaners, der Karakorum im Jahre 1254 besuchte - 27 Jahre nach dem Tod Dschingis Khans. Rubruck schilderte eine multikulturelle Stadt, die von Angehörigen aller Völker des Reiches bewohnt war. Er traf chinesische, persische und europäische Handwerker an, meist Kriegsgefangene, die für den Hof des Großkhans arbeiteten.

1220 wurde Karakorum gegründet. Ein Archäologe kartiert den bisherigen Befund. Offen gelegt sind die Hauptstraße sowie - im Vordergrund - eine Hausstelle mit Ofen
1220 wurde Karakorum gegründet. Ein Archäologe kartiert den bisherigen Befund. Offen gelegt sind die Hauptstraße sowie - im Vordergrund - eine Hausstelle mit Ofen
© Marc Steinmetz

Ein Ort für viele Religionen

Ungewöhnlich war das friedliche Nebeneinander der verschiedenen Religionen. Außer einer christlichen Kirche und zwei Moscheen zählte der Mönch zwölf "Götzentempel der verschiedenen Nationen". Zwei Jahre nach Rubrucks Abreise kam noch eine fünfstöckige buddhistische Pagode hinzu, die eine Höhe von fast 100 Metern gehabt haben soll.

Vom Aussichtspunkt auf dem Hügel hat man den besten Überblick über das ehemalige Stadtgebiet. Schnurgerade von Süd nach Nord zieht sich eine 1500 Meter lange Bodenwelle - der Rest eines Erdwalls, der Karakorum einst von allen vier Seiten umgab. Dieses Terrain von rund 1,3 Quadratkilometern nehmen Laien zunächst nur als leicht hügelige Wiese wahr.

500 Jahre lang unberührt

Doch darunter liegen Schätze für die Archäologen - man muss das Terrain nur zu deuten verstehen. Von einer sowjetischen Ausgrabung 1948 abgesehen, die den Palast und die zentrale Straßenkreuzung erstmals vage lokalisierte, ist Karakorum archäologisch noch unerforscht. Kein Raubgräber hat hier Totenstätten geplündert, kein Stadtplaner die Fläche überbaut. Alles was von Karakorum zu entdecken ist, liegt noch im Boden, unter anderthalb Meter Flugsand und einer dünnen Grasnarbe.

Eine Kreuzung zwischen Ethno-Vierteln Ehe die deutschen Archäologen zu graben begannen, machten sie sich 1999 an eine geophysikalische Untersuchung des gesamten Stadtgebiets. Die Messungen ergaben Aufschlüsse über den Verlauf von Fundamenten und andere Anomalien, etwa das Vorhandensein von Metallkonzentrationen im Boden. Gestützt auf diese Ergebnisse hat sich ein zweites Team unter den Bonner Wissenschaftlern Helmut Roth und Ernst Pohl eine Stelle im Stadtgebiet herausgesucht, an der eine Straßenkreuzung vermutet wird - möglicherweise die, an der das muslimische und das chinesische Viertel einst aufeinander trafen.

Jeder noch so kleine Knochensplitter wird eingetütet und erfaßt. Das Alter der Funde wird später im Labor bestimmt.
Jeder noch so kleine Knochensplitter wird eingetütet und erfaßt. Das Alter der Funde wird später im Labor bestimmt.
© Marc Steinmetz

Dominanz von zwei Völkern

Die Forscher wollen endlich ein klares Bild von der legendären Metropole in der Steppe bekommen, die zwar niemals die größte, für einen kurzen weltgeschichtlichen Moment aber wahrscheinlich die mächtigste Stadt der Erde gewesen ist.

Wie sahen Stadt und Palast zur Zeit Dschingis Khans und seiner Nachfolger aus, als sich in Karakorum die Kulturen zweier Kontinente trafen und vermischten? Wer lebte hier? Wie lebten die Menschen? An was glaubten sie? Aber auch: Haben sich Spuren erhalten vom Niedergang Karakorums, der ebenso rasch und dramatisch gewesen sein muss wie einst der Aufstieg?

Der Sohn vollendete Karakorum

Wer vor Ort großzügiges Freilegen der Fundamente erwartet, sieht sich getäuscht. Hüttels Ehrgeiz besteht darin, die Grabungen so kleinflächig wie möglich zu halten, denn alles was abgetragen wird, ist unwiederbringlich dahin. "Maximaler Erkenntnisgewinn bei minimaler Zerstörung" - so lautet sein Credo.

Dschingis Khan gründete zwar die Stadt, überließ aber ihren Ausbau seinem Sohn Ögödai, der erst 1235, also 15 Jahre später, Karakorum mit einem Wall umgab und binnen eines Jahres den Palast nach Plänen eines chinesischen Baumeisters errichtete.

Im Schutt des Hügels stieß Hüttel auf große Mengen von Dachziegeln und schloss daraus, dass der Palast von einem grünen Dach mit Löwendrachen als Verzierung gekrönt wurde. 16 Granitplatten hat er vom Erdreich befreit - einen Teil der insgesamt 64 Fundamente, auf denen einst Säulen standen. Deutlich sind auf den Basen die geschwärzten Abdrücke der Säulen zu sehen - wie in der fernöstlichen Architektur üblich, waren sie aus Holz (und wurden in einem Brand zerstört). Rätsel gibt die westliche Säulenreihe auf. Dort ist jedes Fundament sorgfältig zerschlagen worden. Für den immensen Zerstörungsaufwand gibt es noch keine schlüssige Erklärung.

Der freigelegte Palastboden wird mit der Kamera dokumentiert. Vorne ist die Basis einer verschwundenen Säule sichtbar. Brandspuren deuten auf eine gewaltsame Zerstörung der Residenz
Der freigelegte Palastboden wird mit der Kamera dokumentiert. Vorne ist die Basis einer verschwundenen Säule sichtbar. Brandspuren deuten auf eine gewaltsame Zerstörung der Residenz
© Marc Steinmetz

Palastdach mit Löwendrachen

Im Schutt des Hügels stieß Hüttel auf große Mengen von Dachziegeln und schloss

daraus, dass der Palast von einem grünen Dach mit Löwendrachen als

Verzierung gekrönt wurde. 16 Granitplatten hat er vom Erdreich befreit - einen Teil

der insgesamt 64 Fundamente, auf denen einst Säulen standen.

Deutlich sind auf den Basen die geschwärzten Abdrücke der Säulen zu sehen -

wie in der fernöstlichen Architektur üblich, waren sie aus Holz (und wurden in

einem Brand zerstört). Rätsel gibt die westliche Säulenreihe auf. Dort ist jedes

Fundament sorgfältig zerschlagen worden. Für den immensen

Zerstörungsaufwand gibt es noch keine schlüssige Erklärung.

Den Spurenlesern entgeht kein Indiz

Die Ausgräber gehen systematisch, nach stratigraphischen Methoden vor: In

einem Raster aus 180 Quadraten wird jeder Nagel, jede Keramikscherbe, jedes

verkohlte Holzstück nach Lage und Schicht erfasst. Wichtige Fundstücke werden

vor Ort fotografiert, dann beschrieben und schließlich gezeichnet. Erst danach

wird der Fund geborgen. Vertikale Schnitte helfen, die Abfolge der einzelnen

Schichten zu erkennen. Im Ergebnis erhalten die Archäologen so eine

dreidimensionale Darstellung der Grabung, in dem alle Funde der jeweiligen

Schicht zugeordnet und damit zeitlich bestimmt werden können.

Der Palast diente als Empfangssaal

In Umrissen kann Hüttel schon jetzt eine Baugeschichte des Palastes liefern. Das

Gebäude war fast quadratisch, etwa 45 mal 40 Meter. Die 64 jeweils rund acht

Meter hohen verputzten Holzsäulen, rot lackiert mit Drachenbändern, teilten es in

sieben Schiffe. Ein zurückgesetztes oberes Stockwerk und der Turmaufbau des

Daches lassen vermuten, dass das Gebäude etwa 30 Meter hoch war. Der Palast

war nur im Frühjahr und Sommer bewohnt. Er diente vor allem als Empfangshalle

für Audienzen. Die Khane passten die überlieferte chinesische Architektur ihren

Bedürfnissen an und entwickelten so einen Palasttyp, der zum Vorbild aller

Repräsentationsbauten im mongolischen Kulturkreis wurde - auch des

Kaiserpalastes des Khubilai Khan in Beijing.

Wer Karakorum besaß, sollte Herrscher sein

Die Zahl der einstigen Einwohner Karakorums schätzt hält Ernst Pohl von der

Universität Bonn auf etwa 30 000, von denen viele wohl in Jurten gelebt haben. In

Gebäuderesten finden sich Öfen und Wärmebänke - Beleg dafür, dass die Stadt

ganzjährig bewohnt worden ist. Nichts überließen die mongolischen Herrscher in

dem planvoll angelegten Zentrum ihres neuen Reiches dem Zufall. Ohne Zweifel

knüpfte Dschingis Khan an die Tradition von Städten und Grabanlagen an, die

Türken, Uiguren und Hunnen zuvor im Orchon-Tal errichtet hatten. Und ebenfalls

nicht zufällig befahl er die Hauptstadt gerade in jenem Gebiet anzulegen, das von

seinem Sohn Ögödai beherrscht wurde. Ihn, den drittältesten, hatte er entgegen

der sonst üblichen Erbfolge als seinen Nachfolger designiert.

Neid ruinierte das Weltreich

Schon jetzt lässt sich vermuten, dass der "Palast des 10000fachen Friedens", wie

ihn die chinesischen Quellen bezeichnen, mit seinen Nebengebäuden und

Gartenanlagen eine Staatsideologie verkörperte: Die Gebäude des Palastes

gruppierten sich zum stilisierten Bild einer Schildkröte, dem Symbol von Dauer und

Langlebigkeit. Doch gerade Dauer und Langlebigkeit waren dem Reich Dschinghis

Khans nicht vergönnt. Nur 100 Jahre nach dessen Tod ging das Weltreich in

Bürgerkriegen rivalisierender Mongolenführer und im Aufbegehren der

unterworfenen Völker zugrunde. 1368 wurden die Mongolen aus China

vertrieben. Zurückgekehrt in die Steppe, erhoben sie Karakorum wieder zur

Hauptstadt. Doch ihren Anspruch auf den chinesischen Kaiserthron gaben sie

nicht auf. Nichts belegt das schlagender als jener bronzene Amtsstempel mit dem

kaiserlichen chinesischen Siegel, den Ernst Pohl bei der Stadtgrabung in

Karakorum zutage förderte.

Woher kommen die Totenschädel?

Dieser nie aufgegebene Herrschaftsanspruch auf das Reich der Mitte provozierte

eine chinesische Strafexpedition, die 1380 zur Zerstörung Karakorums führte.

Und mit der Vernichtung der Stadt, dem Symbol der mongolischen Weltherrschaft,

war das von Dschingis Khan begründete Reich vor aller Augen erledigt. Mit einiger

Wahrscheinlichkeit sind die verbrannten Holzsäulen des Palastes Spuren dieser

Katastrophe. Vom ebenso rätselhaften wie dramatischen Ende der letzten

Bewohner kündet noch ein weiterer Fund: In einer Ruine liegen zwei

Schädelkalotten. Aber keine Skelette. Auch das ein - noch - ungelöstes Rätsel.

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