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Irgendwann an diesem stürmischen Morgen ist mir der Hügel abseits unseres Kurses aufgefallen. An zahllosen Erhebungen sind wir in dem weit gedehnten Niemandsland vorbeigekommen, durch das wir seit Tagen ziehen. Aber dieser Hügel mit seiner steil abfallenden Ostwand hat etwas Besonderes. Ich halte an, lupfe den Riemen des Feldstechers über den Sattelknauf und schaue durchs Glas. Doch ich bin noch zu weit weg, trübe Sandschleier erschweren die Sicht. Zu erkennen ist, dass die Steilwand auf einem waagerechten Felsabsatz endet, der sich etwa fünf Meter über den Grund erhebt. Sollen wir dorthin? Erschöpft nach einer Nacht im Sandhagel muss ich mir einen Ruck geben, für einen Felshügel die Richtung zu ändern. Umwege überlegt man sich hier besser zweimal. Wir sind unterwegs in Richtung Gilf Kebir, tief in der Wüste Südwest-Ägyptens: Amur, Aschan und ich - zwei schwer beladene Kamele und ein Mann zu Fuß auf einem 440 Kilometer langen Marsch. Auf der Suche nach einer antiken Karawanenroute, genau genommen: einer zweiten. Auf meinen Kamelexpeditionen im Frühjahr 1999 und im darauffolgenden Winter hatte ich insgesamt 27 Depots frühzeitlicher Krüge und Scherbenplätze gefunden, Indizien für einen bisher unbekannten Karawanenweg.
Seit Jahren ziehe ich regelmäßig für Monate mit meinen Kamelen durch die Ostsahara. Auf die ersten Zeichen alter Wegstrecken war ich im Winter des Jahres 1986/87 per Zufall gestoßen: Scherbenplätze und versprengte Krugdepots. Verbunden durch einen hier und da noch sichtbaren Pfad ziehen sich die Kruglager über eine Entfernung von mehr als 350 Kilometern durch die totenstarre Einöde der Libyschen Wüste - von der Oase Dachla Richtung Südwesten über die Ortsmarke Abu Ballas bis zum Ostrand des Gilf-Kebir-Plateaus. Jahrtausende, nachdem keine Karawane mehr bei ihnen Rast gemacht hatte, liegen noch Hunderte der Tonkrüge im Sand. Allerdings gibt es in der Abfolge dieser antiken Versorgungs- und Lagerplätze eine Unregelmäßigkeit. Zwei Depots liegen etwas abseits, während die anderen sich wie Perlen auf einer Schnur aufreihen lassen. Gab es
damals einen weiteren Weg durch die Wüste? Die Frage ließ mich nicht mehr los. Wäre diese Trasse ein Eselskarawanenweg gewesen - Kamele sind in Ägypten erst seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. als Nutztiere im Einsatz -, dann wäre auch der Abstand zwischen weiteren Depots kalkulierbar, denn Esel brauchen regelmäßig Wasser.
Als wir dem Hügel nähergerückt sind, traue ich meinen Augen nicht: Am Ostrand zieht sich eine Mauer aus aufgeschichteten Steinen entlang. Ich kann es kaum glauben, brülle vor Jubel und umarme Amur, der neben mir hergestapft ist und mich mit ruhigem Auge ansieht. Nachdem die Tiere sich gesetzt haben, stürme ich los, ohne ans Abladen zu denken. Im Hang unterhalb des Absatzes liegen Scherben. Während ich in Richtung der Mauer aufsteige, verfärbt sich der Sand unter meinen Sohlen schwarz: Holzkohle von einer Feuerstelle - vielleicht gar von einem Lagerplatz aus pharaonischer Zeit? Von diesem Moment an bewege ich mich ganz vorsichtig.
Das Erste, was ich erblicke, als ich über die Mauer schaue, ist ein auf Schulterhöhe in den Fels gemeißelter Rahmen. Darin: ein Anch-Zeichen, eine Kartusche, weitere Hieroglyphen - alles sehr sorgfältig ausgeführt und vollkommen unberührt. Das Ensemble wirkt, als wäre es erst vor wenigen Jahren in den Stein geschnitten worden. Es kann sich nur um den Namenszug eines Pharaos handeln! Ich bin fassungslos vor Glück.
Seit Oktober, mehr als zwei Monate schon, bin ich unterwegs. Am 17. November war ich in beträchtlicher Entfernung südlich von Dachla auf ein Krugdepot mit etwa 60 Gefäßen gestoßen - erstes Zeichen des geheimnisvollen zweiten Weges. Nur, wie ging er weiter? Mehrere alte Wegzeichen aus aufgeschichteten Steinen deuteten in alle Richtungen. Fünf Versuche, den alten Weg zu finden, waren in den letzten Wochen schon gescheitert. Nun, im sechsten Anlauf, der Treffer ins Schwarze. Die Tiere werden abgeladen, bekommen eine Sonderration getrockneter Bohnen und - Maulkörbe. Ich will mir in Ruhe das Entdeckte anschauen. Mehrere mit waagerechten Zickzacklinien verzierte Rahmen sind in den Fels geschlagen, manche rot eingefärbt. So etwas habe ich noch nie gesehen. Was hat man darstellen wollen? Wann? Aus welchem Anlass? Als ich ein paar Meter weiter links Steinritzungen finde, die wie Standarten aussehen, fährt es mir durch den Kopf: Das ist die Etappe eines Heerzuges! Hier muss die Armee des Kambyses Station gemacht haben! Jenes Heer der 50 000, das um 525 v. Chr. in Richtung Siwa unterwegs war und spurlos in der Wüste verschwand. Bin ich auf ihrer Spur?
Ein jahrtausendalter Rastplatz
Überall sind Hieroglyphen. Auf einem geglätteten Wandstück schimmert die Gestalt eines Pharaos in Rot: ein Gottkönig, der seine Feinde mit einer Keule erschlägt. Drumherum finden sich Motive aus einer nochmal tausende Jahre älteren Epoche: Petroglyphen, Steinbilder von Tieren, angebracht im Neolithikum. An diesem Platz müssen Menschen seit Urzeiten immer wieder Rast gemacht haben. Unterhalb eines Paares beeindruckend schön ausgeführter Giraffen stehen zwei Königskartuschen. Die Namenszüge sind identisch. Ich habe keine Liste mit Pharaonennamen bei mir. Wer hätte auch gedacht, mitten in diesem Gebiet, das als weitgehend erforscht gilt, einen solchen Fund zu machen? Einen halben Kilometer westlich von hier schlängelt sich ein Bündel alter Autospuren durch den Gesteinsschutt.
Aber es ist immer dieselbe Erfahrung: Wer finden will, was jene hinterließen, die zu Fuß durch die Wüste zogen, muss es ihnen gleichtun. Und sich in der gleichen Fortbewegungsart durch den Sand bemühen wie die Alten. Das Wandern erschließt mir ihre Gedankengänge. Ich kann nachvollziehen, was bei der Umgehung von Hindernissen oder bei der Auswahl von Rastplätzen den Ausschlag gab. Ich setze mich hin, ergriffen von der Unberührtheit dieses Platzes. Als hätte die Zeit den Atem angehalten. Während ich die Inschriften in mein Heft male, kommen mir alte Berichte aus pharaonischer Zeit in den Sinn über Expeditionen ins Land der Libyer - dorthin, wo einst in regenreicheren Zeiten fruchtbare Regionen gelegen haben könnten. Die Forscher des Kölner Heinrich-Barth-Institutes sind vor kurzem auf ein weiträumiges Gebiet voller verkohlter Baumstümpfe, Knochen, Scherben und Siedlungsreste nordwestlich von El-Atrun in der Wüste gestoßen. Anhand der gleichmäßigen Brandspuren schlossen die Kölner Wissenschaftler auf eine Feuersbrunst, die vermutlich um 2300 v. Chr. wütete - vielleicht, überlege ich, als Folge eines Raubzuges. Schließlich ist auch in antiken Quellen von pharaonischen Razzien in fernen Wüstengebieten die Rede. Aber ich kann die Inschriften nicht lesen - und muss weiterziehen. Acht Wochen lang, in denen ich keinen einzigen Menschen zu Gesicht bekommen werde, aber jede Nacht darüber spekuliere, was ich da entdeckt habe: das Lager des Kambyses? Eine pharaonische Heeresstation, angelegt zum Zweck einer Razzia? Es wird Monate dauern, bis das Rätsel endlich gelöst ist.

Im November 2001 wird eine Forscher-Gruppe des Heinrich- Barth-Instituts den Lagerplatz untersuchen. Als bisher einziger Wissenschaftler ist der deutsche Ägyptologe Klaus Peter Kuhlmann dort gewesen. Sein Urteil: eine "wissenschaftliche Sensation."
Descheret, "rotes Land", nannten die alten Ägypter die Wüste - und mieden die Glut der lebensfeindlichen Ödnis, wann immer sie konnten. Was gab es hier schon zu holen? Das Gleiche haben bis vor wenigen Jahrzehnten auch die meisten Ägyptologen gedacht. Seit Ankunft der ersten Forscher im Gefolge Napoleons konzentrierten sie sich auf das Niltal, wo sie die unzähligen Hinterlassenschaften eines Reiches mit über 3000-jähriger Geschichte studierten. Dann fegte im Winter 1947 ein Sandsturm drei Tage lang über Dachla, eine rund 350 Kilometer westlich des Nil gelegene Oase. Als der Staub sich legte, tauchten plötzlich Reste einer jahrtausendelang verschütteten Siedlung auf: ein Gouverneurspalast mit Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäuden, wie sich später herausstellen sollte. Bisher hatte es in den Oasen nur einige Hinweise auf pharaonische Besiedlung gegeben, die frühesten aus dem 11. Jahrhundert v.Chr. Die nun frei gewehten Gebäude aber, die seit den siebziger Jahren intensiv erforscht werden, sind rund 1200 Jahre älter, errichtet im Alten Reich. Weitere Funde haben inzwischen belegt, dass es damals, zur Zeit der sechsten Dynastie, enge Kontakte zwischen Oasen und Niltal gegeben haben muss. Hier wie dort wurden die Grabbauten im Verlauf dieser Dynastie kleiner, tauchten ohne Zeitunterschied die gleichen Keramiktypen auf. Mindestens seit 2350 v. Chr. müssen Nilägypter in den Oasen gelebt haben: Aus dieser Zeit stammt ein Tontäfelchen mit einem Namenszug des Teti, des ersten Herrschers der sechsten Dynastie, kürzlich von französischen Kollegen in Dachla entdeckt. Doch je mehr Funde wir Archäologen der Wüste abringen, desto mehr Fragen tauchen auf. Noch immer ist nicht eindeutig geklärt, was die Ägypter vor vier Jahrtausenden überhaupt hierher trieb. In eine Gegend, die bis in christliche Zeit hinein als Verbannungsort diente. Für die wenigen Millionen Einwohner, die das Land während des Alten Reichs zählte, existierte im Niltal Ackerland im Überfluss. In den Oasen konnte neben Wein nur die genügsame Gerste in größerem Umfang angebaut werden. Warum also kam es zur Übernahme der Oasen durch die pharaonische Verwaltung? Wie reagierten die libyschen Einheimischen?

Spuren einer vorchristlichen Handelsroute?
Altägyptische Quellen wie der Bericht des Expeditionsleiters Herchuf um 2280 v.Chr. erzählen, dass man über einen "Weg in die Oase" gen Süden Richtung Nubien zog. Expeditionen dorthin sind seit alters her gut verbürgt: Eine Inschrift aus der Zeit des Snofru (2639-2604 v.Chr.) rühmt, dass man 200000 Rinder und Schafe in Nubien erbeutet habe, und sein Sohn Cheops selbst ließ sich in einem Diorit- und Amethyst-Steinbruch nahe Abu Simbel verewigen. Im Westen aber, aus Wüste und Oasen, gab es nichts Neues aus der frühen Pharaonenzeit.
Bis eines Tages Carlo Bergmann bei mir in Kairo anruft, den ich seit Jahren gut kenne. Seine Stimme klingt aufgeregt. Er hat erneut eine Entdeckung gemacht, spricht von Kartuschen und langen Hieroglyphentexten, deutet vage die Lage des Fundorts an. Könnte dies ein Hinweis auf den Verlauf einer alten Karawanenstraße nach Westen sein? Vielleicht ein Hinweis auf Aktivitäten der Ammonier, jener Bewohner der Oase Siwa, die meiner Ansicht nach ab dem sechsten Jahrhundert v. Chr. begehrte Waren zwischen der griechischen Kolonie Kyrene (im heutigen Nordostlibyen) und Nubien durch die Wüste schleusten, vorbei an der Ägyptern und deren Handelsmonopol? Seit Jahren beschäftige ich mich mit dieser Hypothese, und wenn einer etwas finden könnte, um sie zu bestätigen, dann wohl der Wüsten-Wanderer Carlo Bergmann. Also sage ich zu, packe abends Zeichenfolie, Fotoapparat und hieroglyphisches Lexikon ein, greife an Verpflegung, was sich im Kühlschrank befindet - und fahre die Nacht hindurch zu Carlo nach Dachla, um einen Tag später mit ihm vor seiner Entdeckung zu stehen. Es ist ein Hügel wie zehntausend andere in der Großen Sandsee, aus zerklüftetem Fels, etwa 30 Meter hoch. Wieso hat der Mann ausgerechnet ihn für eine Erkundung auserkoren? Erst bei scharfem Hinsehen entdecke ich eine Mauer, die auf halber Höhe am Osthang entlang führt. Auf einem Pfad, gut erkennbar im Hangschutt, steigen wir empor. Die Mauer reicht uns bis zur Hüfte - dahinter erstreckt sich eine offenbar künstlich verbreiterte Terrasse. Ich schätze, sie ist rund 40 Meter lang und drei Meter tief. Eine Einfriedung, vielleicht zum Schutz für die Packesel und die als Verpflegung mitgenommenen Ziegen vor Hyänen und Schakalen? Spekulationen. Der Platz muss uralt sein, nicht erst in pharaonischer Zeit benutzt: Ich sehe Petroglyphen, geritzt und graviert, von Giraffen, Antilopen, Straußen, auch einen Löwen glaube ich auszumachen. Alles eindeutig neolithische Fauna, also Tiere aus der Feuchtphase vor mindestens 8000 Jahren, als sich in der Westwüste noch Savanne erstreckte. Dann das erste Bildnis: Auf der geglätteten Felswand prangt ein ganz in roter Farbe ausgeführter Pharao mit oberägyptischer Krone, Widdergehörn und Keule in der erhobenen Hand. Das Motiv "Pharao erschlägt die Feinde" - quasi der Stempel ägyptischen Herrschaftsanspruchs. Scheinbar wurde diese Gegend damals noch als "Feindesland" empfunden.
Was trieb die Nilägypter nach Westen?
Unweit davon treten, im härter werdenden Licht der Mittagssonne, die messerscharfen Umrisse eines gemeißelten Könignamens hervor. Die Inschrift lüftet schlagartig den Schleier der Ungewissheit: "Gold der Götter, Radjedef, möge er ewiglich mit seinem Leben, seiner Fortdauer und Freude begabt sein", lese ich begeistert. Radjedef bzw. Djedefre, wie sein geläufiger Name lautet, Sohn des berühmten Cheops, um 2580 v. Chr.! Vierte Dynastie - das Älteste, was uns bislang aus historischer Zeit aus der Westwüste und den Oasen bekannt ist!
Dass sich die Nilägypter schon so früh so weit über die Oasen hinaus nach Westen vorwagten, ist eine Sensation. Sofort stellt sich mir wieder die alles übergreifende Frage: Was trieb sie hierher? Nahe der Inschrift des Djedefre finde ich mehrere geritzte Rahmen, die mich an die Hieroglyphe für "Berg" erinnern, darin eingeschlossen Zickzacklinien, was wiederum für "Wasser" stehen dürfte. Also "lese" ich beides als Ortsbezeichnung: dschu mu als "Berg des Wassers" oder "Wasserdepot" und dschu Radschedef als "Berg des Radjedef". Während ich darüber nachsinne, führt mich Carlo schon zu einer weiteren Inschrift. Ein Königsname ist angegeben, aber über den genannten Pharao bin ich mir nicht sicher, obwohl ich ihm auf dem Bauch liegend Reverenz erweise. Doch dann: "Horus Medschedu" lese ich vor. Es ist einer der Namen des Cheops, Regierungsantritt etwa 2604 v.Chr! Der Erbauer der größten aller Pyramiden! Um die Inschriften unter optimalem Streiflicht kopieren zu können, müsste ich eigentlich nachts arbeiten. Generator und Lampen habe ich aber keine mitgebracht. Also fotografieren wir in der Dunkelheit, den Blitz schräg auf Darstellungen und Texte gerichtet, um eine möglichst plastische Reliefwirkung zu erzielen. Erstmals setze ich meine Digitalkamera im Feld ein und überspiele die Bilder anschließend gleich auf den Laptop. Im Sternenlicht betrachten wir sie vergrößert auf dem Bildschirm. Es ist jetzt nach Mitternacht. Ich bin seit etwa 24 Stunden auf den Beinen. Nur gut, dass ich mich aufgrund jahrzehntelangen Grabungslebens darauf verlassen kann, morgen früh, wie immer, kurz vor Sonnenaufgang aufzuwachen.
Ende einer alten Theorie
Etwa fünf Stunden später ziehen wir los, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen über die umgebende Hügelkette brechen. Die langen Inschriften liegen bald in gutem Licht. Schon in der ersten wartet eine weitere wissenschaftliche Sensation auf uns. Die Datierung lautet eindeutig auf das "Jahr nach dem 13. Mal des Zählens der Rinder und des Kleinviehs von Unter- und Oberägypten des Horus Medschedu", also des Cheops. Das ergibt beim üblichen zweijährigen Zensus ein 27. Regierungsjahr. Der Turiner Königspapyrus, eine der Hauptquellen für die Rekonstruktion des Chronologiegerüsts der ägyptischen Geschichte, erkennt dem berühmten Pharao aber nur 23 Jahre zu, und diese Zahl ist die akzeptierte Lehrmeinung. Bis jetzt. Und dann, in der selben Inschrift, entdecken wir den Grund, warum Cheops diese Expedition aussandte: "Der [oder die beiden] Aufseher der Rekruten-Schutztruppe [namens] Ii-Meri und Bebi kamen mit zwei Regimentern... um Pulver[?] herzustellen aus den Pigmenten des Wüsten-Distrikts". Zwei Regimenter - das waren immerhin 400 Mann. Einer weiteren Inschrift zufolge war schon zwei Jahre zuvor Bebi allein an diesen Ort gereist, ebenfalls "um jede Art von Pulver[?] zu produzieren". Das Wort, in dem ich eine Bezeichnung für "Pulver" vermute, mefat, existiert bisher allerdings in keinem hieroglyphischen Wörterbuch. Fünf Zeichen für Sandkügelchen oder Staubkörnchen sind ihm nachgestellt, und so sehe ich darin eine Ableitung der Begriffe fat und fa, die im "Wörterbuch der Ägyptischen Sprache", mit Fragezeichen versehen, als "Staub" und "zu Staub werden" übersetzt sind. Unserer Textstelle zufolge hege ich kaum Zweifel: Es muss sich um fein zerriebenes, sandiges oder toniges "Pigment" gehandelt haben, das später zu Farbe angerührt werden konnte. Dazu passen auch die Handwerkertitel, die ich an anderen Stellen am Felsen gelesen habe: chertiu netscher, "Steinmetze", wörtlich "zum Königsfriedhof Gehörige". Es waren also Handwerker anwesend, wie sie ansonsten auf dem Giseh-Plateau arbeiteten. Auch das passt in den Kontext. Offenbar wurden hier Pigmente für die königlichen Grabbauten gefördert.
In der Tat ist die Umgebung von Dachla für ihre eisenoxidhaltigen Buntsandsteine und Tonerden bekannt. Bruchstücke davon liegen auch am Fuß dieses Berges verstreut, zitronengelbe und dunkelbraune, auch fliederfarbige, bestechend schön. Sieben flache Reibsteine entdecke ich, allerdings keine Reibschalen. Auch sieben in den Fuß des Felsabbruchs getriebene Nischen erhalten so einen Sinn. Wurden darin vielleicht die Beutel mit dem Pigmentpulver oder Werkzeuge wie Metallmeißel und Kugelhämmer gelagert? Versteckt vor Nagetieren, welche die Lederbeutel hätten anfressen können? Die Pharaonen haben Prospektoren und Steinmetzen ausgeschickt, um die Rohstofflager der Wüste zu erkunden: nicht nur zur Beschaffung von Gold, sondern auch, um Material für die Verzierung ihrer gigantischen Grab- und Tempelstätten zu fördern - tonnenweise Farbe und erlesenste Bausteine. Was die Ostwüste und Unternubien anbelangt, so sind derartige Expeditionen gut dokumentiert. Dass sie auch in die Westwüste erfolgten, dafür liegt hier nun der bisher älteste bekannte Beweis vor. Und wir dürfen folgern, dass das ägyptische Interesse an den Oasen ursprünglich darin bestand, sie als "Basislager" für derartige Prospektionsunternehmen in der Wüste zu nutzen.